Piraterie — Seesicherheit — Anmerkungen zu einem komplexen Thema

Fehlende Seesicher­heit fern von uns bedro­ht uns den­noch direkt

Auch wenn ein Teil der Bedro­hun­gen der Seesicher­heit zurzeit für uns in weit ent­fer­n­ten Gebi­eten der Welt geschieht, ist es notwendig zu erken­nen, dass diese Bedro­hung Deutsch­land und Europa direkt bet­rifft. Wer sich noch an die Schließung des Suezkanals 1956 und nach dem Sech­stagekrieg 1967 für eine Dauer von 10 Jahren erin­nert oder um die Bedro­hung der Straße von Hor­muz während des ersten Golfkrieges im Jahr 1984 weiß, hat selb­st erlebt, wie lebenswichtig für uns in Europa z.B. der sichere und zeit­gerechte Trans­port von Rohöl und Gas sind. 

Dass unsere Abhängigkeit von ein­er sicheren Energiev­er­sorgung, für die Rohöl und Erdgas die wichtig­sten Rohstoffe sind, auch in über­schaubar­er Zeit beste­hen bleiben wird, zeigte sich exem­plar­isch beim Umgang der Rus­sis­chen Föder­a­tion mit der Ukraine in dieser Frage. Insofern hat diese erneute Erfahrung der Abhängigkeit nicht nur deut­lich gemacht, wie groß das Risiko ein­er zu starken Konzen­tra­tion auf einen monop­o­lis­tis­chen Hauptliefer­an­ten ist, son­dern auch die Frage aufge­wor­fen, ob eine ganz über­wiegende Aus­rich­tung auf den Trans­port durch Pipelines nicht der falsche Weg ist. Richtig ist vielmehr, dass der Trans­port über See mit Schif­f­en in jed­er Hin­sicht flex­i­bler ist, kostengün­stiger und auch die Umwelt deut­lich­er geringer belastet. 

Die Erfahrung der älteren und jün­geren Geschichte zeigt aber auch deut­lich, dass bei Bedro­hun­gen der Seewege häu­fig die Schiff­fahrt selb­st adäquate Lösun­gen gefun­den hat. Im Fall der Schließung des Suezkanals waren es die Super­tanker, deren Route dann um das Kap der Guten Hoff­nung – um Südafri­ka – herumge­führt wurde. Solche Lösung im Zusam­men­spiel mit der Sicherung von Han­delss­chif­f­en durch die inter­na­tionale Staatenge­mein­schaft – im Fall des ersten Golfkrieges war es 1984 die Esko­rtierung der Tanker aus dem Per­sis­chen Golf durch die Meerenge der Straße von Hor­muz in den Golf von Oman und den Indis­chen Ozean durch amerikanis­che, britis­che und franzö­sis­che Kriegss­chiffe – zeigt auch für die Zukun­ft einen guten Weg auf. Dieses Zusam­men­spiel von pri­vater Ini­tia­tive der Schiff­seign­er, Char­ter­er und der Reed­er mit den Energiev­er­sorg­ern und anderen Beteiligten ein­er­seits und den Regierun­gen ander­er­seits hat ver­hin­dert, dass aus Ver­sorgungsen­g­pässen Krisen oder Not­la­gen entstanden. 

Heute hat sich für uns die Lage aus unter­schiedlichen Grün­den verän­dert. Wenn wir damit richtig umge­hen, hat sie sich sog­ar ein­deutig verbessert. Es beste­ht große Übere­in­stim­mung dahin gehend, dass Bedro­hun­gen aller Art nur durch gemein­sames Han­deln zu begeg­nen ist. Dies gilt nation­al und inter­na­tion­al. Diese gemein­same Ein­schätzung muss nun endlich Ein­gang in das nationale Han­deln find­en, so wie dies im beachtlichen Maß schon im inter­na­tionalen Rah­men stattge­fun­den hat. Es gibt gute Beispiele dafür, dass die verbesserte Zusam­me­nar­beit der Mari­nen und der Küstenwachen (soweit vorhan­den) schon deut­liche Erfolge zeigt. Hier ist auf die Region Südostasien zu ver­weisen. Die bis vor eini­gen Jahren noch nicht vorstell­bare Zusam­me­nar­beit von Indone­sien, Malaysia und Sin­ga­pur hat zumin­d­est die Bedro­hung der inter­na­tionalen Schiff­fahrt in der Straße von Malak­ka und Sin­ga­pur stark reduziert. Das Thai­land den getrof­fe­nen Vere­in­barun­gen beitreten will, ist ein weit­eres Zeichen für den Erfolg der Bemühun­gen. Auch haben zahlre­iche staatliche und nicht­staatliche Organ­i­sa­tio­nen ein belast­bares Net­zw­erk zum Aus­tausch von Infor­ma­tio­nen und zur Aus­bil­dung geschaffen. 

Marineforum - deutsches Boarding-Team stellt Piraten (Foto: Dt. Marine)
Deutsches Board­ing-Team stellt Pirat­en
Bildquelle: Dt. Marine

In diesem Zusam­men­hang ist die Notwendigkeit ein­er gut organ­isierten, zen­tral geführten und gut aus­gerüsteten Küstenwache zu beto­nen. Dass diese dann in klar­er Aufteilung der Fähigkeit­en und Kom­pe­ten­zen mit der jew­eili­gen Marine, dem Zoll und den Hafen­be­hör­den zusam­men­wirken muss, ist von beson­der­er Bedeu­tung für die Seesicher­heit. Bei allen Anstren­gun­gen, die Sicher­heit auf See zu gewährleis­ten und zu verbessern, spie­len in allen Regio­nen die Küstenwachen eine sehr wichtige Rolle. Dort, wo es bish­er diese staatlichen Sicher­heit­skräfte nicht gibt, wer­den derzeit poli­tis­che Entschei­dung für ihre Begrün­dung getrof­fen. Ihre Zuständigkeit liegt in erster Lin­ie in den ter­ri­to­ri­alen Gewässern des jew­eili­gen Küsten­staates, kann aber mit Ein­schränkun­gen auf die erweit­erten Ter­ri­to­ri­al­gewäss­er, bis zu 24 sm erweit­ert wer­den. Die Überwachung der sou­verä­nen Rechte eines Küsten­staates in der Auss­chließlichen Wirtschaft­szone (AWZ) bis zu 200 sm ist von beson­der­er Wichtigkeit. Die Lage vor Soma­lia mit der unkon­trol­lierten Aus­beu­tung der Fis­chgründe ist hier ein überdeut­lich­es Beispiel. Dadurch ergibt sich in allen Küsten­staat­en die Notwendigkeit ein­er klaren Verteilung der Kom­pe­ten­zen an die ver­schiede­nen staatlichen Organe, die auf See oder bess­er – auf dem Wass­er – zuständig sind. Je nach Staats­form und Ein­schätzung der Bedeu­tung der Seesicher­heit find­en sich weltweit sehr unter­schiedliche Regelungen. 

Um die Dimen­sion der Lage, unab­hängig von den oben genan­nten Kri­te­rien zu schildern, möchte ich schema­tisierend die sicher­heit­srel­e­van­ten Schnittstellen der Trans­portkette kurz aufzeigen. 

  • Die erste sicher­heit­srel­e­vante Schnittstelle ist der Zugang zum Ausgangshafen.

  • Der zweite wichtige Abschnitt ist die Lagerung der Waren und die Beladung des Schiffes.

  • Der dritte Bere­ich ist die Sicher­heit an Bord und im Hafen.

  • Der vierte Abschnitt ist die Sicher­heit im Revi­er, bei uns zum Beispiel auf der Elbe, der Weser, der Jade, dem Rhein und in den Ans­teuerun­gen der Ost­see­häfen Kiel, Lübeck und Rostock.

  • Den fün­ften Bere­ich bilden die Ter­ri­to­ri­al­gewäss­er des jew­eili­gen Küsten­staates, hier die 12 sm der Bun­desre­pub­lik Deutschland.

  • Die sech­ste Schnittstelle ist die Sicher­heit auf der Hohen See bis zu Gren­ze von 200 sm, also der AWZ.

  • Der siebente Abschnitt ist dann das, was man als Hohe See bezeichnet.

Die bei­den zulet­zt genan­nten Seege­bi­ete liegen ein­deutig in der Zuständigkeit und Ver­ant­wor­tung der jew­eili­gen Marine. In den Ter­ri­to­ri­al­gewässern geht es um Regelun­gen, die Fähigkeit­en und Kom­pe­ten­zen zusam­men­zuführen. Auf der Hohen See wird es kein­er Marine gelin­gen, Seesicher­heit alleine herzustellen und aufrecht zu erhal­ten. Der inter­na­tionale Kon­sens darüber, dass dies eine gemein­same Auf­gabe ist, greift weit und ist ermuti­gend. Um an dieser inter­na­tionalen Auf­gabe mitwirken zu kön­nen, benötigt die Bun­desre­pub­lik Deutsch­land eine leis­tungsstarke und ein­satzfähige Marine. 

Marineforum - Ausbildung Boarding Team (Fot: US-Navy)
Aus­bil­dung Board­ing Team
Bildquelle: US-Navy

Es ist abzuse­hen, dass die strate­gis­che und oper­a­tive Bedeu­tung der Meere in den kom­menden Dekaden zunehmen wird, nicht nur aus Grün­den der Seesicher­heit. Diese nun auch in Europa erkan­nte Entwick­lung erfordert auch ein Umdenken in Deutsch­land, z.B. eine Verän­derung in der Gewich­tung der Teil­stre­itkräfte, und ganz bes­timmt nicht nur dort, und mit Verän­derung meine ich nicht die bish­er über Jahrzehnte eingeübten Verkleinerun­gen der Per­son­alum­fänge. Wenn die Sol­dat­en der Marine durch die hohe Ein­satz­be­las­tung sozusagen am Anschlag sind, dann müssen Per­son­alver­stärkun­gen entsch­ieden wer­den. Und die Durch­hal­te­fähigkeit ist nicht nur eine Frage der Qual­ität, son­dern auch eine Frage der Quan­tität. Auch dies sind Auf­gaben, die das Par­la­ment als eine beson­dere Form der Für­sorge sehr wohl wahrnehmen sollte. Und die reflexar­tige Antwort, dann eben inter­na­tionale Beteili­gun­gen zu reduzieren, wer­den uns unsere Ver­bün­de­ten auf Dauer nicht mehr durchge­hen lassen. 

Es ist unschw­er zu erken­nen, dass diese Betra­ch­tung den nationalen und inter­na­tionalen Hand­lungs- und Entschei­dungs­be­darf sehr deut­lich macht. Dabei muss es bei allen Entschei­dun­gen um Lösun­gen gehen, die den dann han­del­nden Sicher­heit­sor­ga­nen auch den oper­a­tiv­en Spiel­raum gibt, den sie zur Aufrechter­hal­tung der Sicher­heit benöti­gen. Es ist sehr wichtig, ein­er­seits die täglichen, eher rou­tinemäßi­gen Sicher­heit­sauf­gaben zu regeln, ander­er­seits aber für den Fall von großen Schadensereignis­sen, Katas­tro­phen und Bedro­hun­gen über eine Struk­tur zu ver­fü­gen, die auch und ger­ade unter Zeit- und Ereignis­druck han­deln kann. 

Entsprechende Struk­turen sind in Europa und weltweit in sehr unter­schiedlichem Maße ver­wirk­licht. Über­all dort, wo sie verän­dert wer­den müssen, weil sie den jet­zi­gen und vorherse­hbaren Sicher­heit­san­forderun­gen nicht entsprechen, wird dieser Verän­derung­sprozess gegen viele Wider­stände durchzuset­zen sein. Ein großes Behar­rungsver­mö­gen und die ewigen Argu­mente »es war schon immer so« und »es funk­tion­iert doch her­vor­ra­gend« sind dabei eher der Ver­such, sich der sach­lich notwendi­gen und gebote­nen Anpas­sung an neue und auch unbekan­nte Bedro­hun­gen nicht zu stellen. Sicher­heit mit all ihren unter­schiedlichen Facetten eignet sich nicht zur Ver­wal­tung, son­dern erfordert Führung, poli­tisch und praktisch. 

Prozesse und Ver­fahren, die unter äußerem Druck funk­tion­ieren sollen, erfordern eine klare Führungsstruk­tur und ein­deutige Ver­ant­wortlichkeit­en. Dies muss in der täglichen Rou­tine geübt, einge­spielt und weit­er­en­twick­elt wer­den. Die Ver­ant­wortlichen müssen in der Lage leben und nicht erst unter realen Bedro­hun­gen ein Bild der Lage erstellen müssen. Dies alles ist Kon­sens, aber im Fall der Umset­zung fehlt oft der poli­tis­che Wille, um auch unpop­uläre, aber für die Sicher­heit notwendi­ge Entschei­dun­gen tre­f­fen zu können. 

Aber es man­gelt auch am Bewusst­sein für die Dringlichkeit von Entschei­dun­gen, die nicht erst in ein­er Krise, son­dern vor ein­er Krise notwendig sind. Diese Entschei­dun­gen sind in Europa in vie­len Län­dern gefall­en, in Deutsch­land ste­hen sie noch aus. Daran ändert auch die Tat­sache nichts, dass erste, richtige Entwick­lun­gen sich bere­its bewähren. Die notwendi­ge Zusam­me­nar­beit der für die Sicher­heit zuständi­gen Bun­des- und Lan­desmin­is­te­rien und der dazu gehören­den Behör­den ist auf den guten Willen angewiesen und fußt lei­der nicht auf ein­er klaren Führungsstruktur. 

Diese Sach­lage wird sich aber schon in näch­ster Zeit verän­dern, da der Druck aus der Europäis­chen Union und den inter­na­tionalen Verpflich­tun­gen das erzwin­gen wird. Diese Beschrei­bung gilt für die Bere­iche der zuvor beschriebe­nen Schnittstellen der Sicher­heit vom Hafen bis in die Ter­ri­to­ri­al­gewäss­er. Aber schon in diesem sicher­heit­srel­e­van­ten Ver­ant­wor­tungs­bere­ich der Bun­desregierung ist eine den Erfordernissen und Fähigkeit­en Rech­nung tra­gende Regelung zwis­chen der Deutschen Marine und den wie auch immer geord­neten Kräften des Bun­des und der Län­der von Nöten. Diese Regelung ste­ht noch aus. Dazu bedarf es poli­tis­ch­er Entschei­dun­gen, die sich daran ori­en­tieren, was für die Sicher­heit auf See erforder­lich ist. 

Team GlobDef

Seit 2001 ist GlobalDefence.net im Internet unterwegs, um mit eigenen Analysen, interessanten Kooperationen und umfassenden Informationen für einen spannenden Überblick der Weltlage zu sorgen. GlobalDefence.net war dabei die erste deutschsprachige Internetseite, die mit dem Schwerpunkt Sicherheitspolitik außerhalb von Hochschulen oder Instituten aufgetreten ist.

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