Globale Seemacht“ – oder Randmeer-Marine? — Russlands Marine zwischen Anspruch und Realität

Die Ver­legung des nuk­lear­getriebe­nen Kreuzers „Petr Velikiy“ und des welt­größten U‑Bootes „Dmitrij Don­skoy“ von der Nord­flotte in die Ost­see, nur um dort an der Parade zum diesjähri­gen Tag der Marine teilzunehmen, sollte der rus­sis­chen Bevölkerung die „Seemacht Rus­s­land“ vor Augen führen. Aus­ländis­che Experten waren sich dage­gen einig, dass die spek­takulären „Super­ein­heit­en“ im Rand­meer Ost­see bloße Staffage für eine poli­tis­che Show waren. Als Beweis für eine „Seemacht Rus­s­land“ kon­nten sie nicht herhalten.

Seemacht“ im Blick …

Eine generelle Def­i­n­i­tion sieht in „Macht“ die „Fähigkeit, ein­seit­ig definierte Ziele durchzuset­zen, ohne sich selb­st äußeren Ansprüchen zu unter­w­er­fen“. „Seemacht“ war für den US-Admi­ral Alfred Thay­er Mahan (1840–1914) u.a. „ein Land, das ozeanis­chen See­han­del betreibt, über eine große Han­dels­flotte ver­fügt und zu deren Schutz eine Marine unter­hält“. Heute gehören im all­ge­meinen Ver­ständ­nis zu ein­er Seemacht auch Wille und Fähigkeit, mit ein­er glob­al autark operieren­den Marine eigene mar­itime und sicher­heit­spoli­tis­che Inter­essen durchzuset­zen; und dies nicht nur auf Hoher See, auf den ozeanis­chen See­han­del­swe­gen, son­dern auch vor ein­er Küste (Pow­er Pro­jec­tion from the Sea). Glob­ale Reich­weite und bloße Präsenz auf den Welt­meeren allein begrün­den ganz sich­er nicht einen Anspruch auf Anerken­nung als „Seemacht“, und auch der Unter­halt ein­er seegestützten nuk­learen Zweitschlags­fähigkeit definiert eine Nation nicht per se schon also solche.

Dieser Artikel wird mit fre­undlich­er Genehmi­gung der „Marine­Fo­rum – Zeitschrift für mar­itime Fra­gen“ veröf­fentlicht.
Marineforum

Riesen-U-Boot „Dmitrij Donkskoy“ auf dem Weg in die Ostsee (Foto: Michael Nitz)
Riesen-U-Boot „Dmitrij Donkskoy“ auf dem Weg in die Ost­see (Foto: Michael Nitz)

Als Zar Peter I. 1696 die rus­sis­che Marine grün­dete, hat­te er dur­chaus den Auf­bau ein­er Seemacht im Blick, wie sie Mahan etwa 200 Jahre später definieren sollte. Zwis­chen Atlantik und Paz­i­fik war Rus­s­land glob­ale Ent­fer­nun­gen umspan­nende Land­macht, aber Zar Peter sah die Zukun­ft seines Lan­des in einem sich über die Rand­meere hin­aus auf die Welt­meere entwick­el­nden See­han­del, mit ein­er durch eine Marine zu schützen­den Han­dels­flotte. Er fokussierte sich auf die Ost­see, wo seine Marine tat­säch­lich auch die dama­lige regionale Vor­ma­cht­stel­lung Schwe­dens brechen kon­nte – wen­ngle­ich Kon­trolle der Ost­seezugänge und damit wirk­lich freier Zugang zu den Welt­meeren Wun­schtraum bleiben sollte.
50 Jahre später gewann Zarin Katha­ri­na II. mit Eroberung der Krim über das Schwarzmeer Zugang zum Mit­telmeer; die Kon­trolle der Türkischen Meeren­gen blieb ihr jedoch ver­wehrt. 1860 wurde im Fer­nen Osten Wladi­wos­tok gegrün­det und entwick­elte sich als Zen­trum für den Asien-Han­del. 1916 wurde schließlich im Nor­den das durch den Golf­strom fast ganzjährig eis­freie Mur­man­sk Hafen für die rus­sis­che Han­dels­flotte und Stützpunkt der Marine.

Eurasische Landmacht Russland – heutige Militärbezirke (Grafik: stratfor.com)
Eura­sis­che Land­macht Rus­s­land – heutige Mil­itär­bezirke (Grafik: stratfor.com)

Rus­s­land hat­te damit im Nor­den, West­en, Süden/Südwesten und Osten – teils mit­tel­bar über Rand­meere – Zugang zu den Welt­meeren und zum glob­alen See­han­del. Der Traum von Peter I. war also erfüllt. In allen vier Rich­tun­gen aufgestellte Flot­ten gaben der Marine allein schon wegen der geografis­chen Aus­dehnung Rus­s­lands und später der Sow­je­tu­nion qua­si glob­ale Reich­weite. Mit hochseefähi­gen Schif­f­en war sie auf den Ozea­nen präsent, besuchte weltweit befre­un­dete Mari­nen, ver­legte auch schon mal Ver­bände in ein Krisen­ge­bi­et, griff jedoch nie aktiv in heimat­ferne Kon­flik­te ein. In Kriegen blieben die Flot­ten oper­a­tiv weit­ge­hend auf das nähere Umfeld ihrer jew­eili­gen Regio­nen beschränkt (ein Ver­such im Rus­sisch-Japanis­chen Krieg, der Paz­i­fik­flotte die Baltische Flotte zur Hil­fe zu schick­en, scheit­erte kläglich). Ohne überseeis­che Kolonien bestand für sie let­z­tendlich auch nie Notwendigkeit, tran­sozeanis­che Seev­erkehr­swege schützen oder heimat­ferne hoheitliche Ansprüche durch Ein­satz der Marine mil­itärisch vertei­di­gen zu müssen.
Ungeachtet aller marki­gen Bekun­dun­gen von Poli­tik­ern ist die mil­itärische Durch­set­zung nationaler Inter­essen fernab der Heimat­gewäss­er (Expe­di­tionary War­fare) ganz offen­sichtlich nicht Auf­trag der Marine. Ein Grund dafür mag sein, dass Rus­s­land sich trotz aller erk­lärten mar­iti­men Ambi­tio­nen doch eher als kon­ti­nen­tale Land­macht begreift, die zwar glob­ale Dis­tanzen umspan­nt, deren sicher­heit­spoli­tis­che Pri­or­itäten aber mehr der heimatlichen Land­masse als den Welt­meeren gel­ten. Die das riesige Land exis­ten­ziell bedro­hen­den Inva­sio­nen Napoleons und Hitlers mögen hier noch nachwirken.

… aber Pri­or­ität hat die „Rod­i­na“

Ober­ste Auf­gabe der rus­sis­chen Stre­itkräfte ist der Schutz der Heimat, der „Rod­i­na“, wobei die Marine mit ihren Flot­ten die see­seit­i­gen Flanken zu einem geschützten Raum – ein­er für einen Feind unein­nehm­baren „Bas­tion“ – machen soll. In einem Küsten­vertei­di­gungskonzept mit erweit­erten Fähigkeit­en zu Anti-Access/Sea Denial soll sie mit mehreren in der Tiefe gestaffel­ten „Vertei­di­gungslin­ien“ feindliche See- und Luft­stre­itkräfte möglichst weit vor dem rus­sis­chen Fes­t­land abfan­gen. Bis heute basieren nahezu alle größeren Übun­gen auf an diesem Konzept ori­en­tierten Szenarien.
Sich­er auch in Rem­i­niszenz an sow­jetis­che Zeit­en betra­chtet Rus­s­land das Schwarze Meer und die Ost­see als von ihm (allein) zu beherrschende Puffer­zo­nen vor der eige­nen Küste. Nicht zulet­zt die Reich­weit­en mod­ern­er Waf­fen­sys­teme bedin­gen eine zunehmende räum­liche Aus­dehnung der regionalen „Bas­tio­nen“, die an der Nord­flanke und im West­paz­i­fik im Rah­men der nuk­learen Abschreck­ung (Zweitschlags­fähigkeit) vor allem auch die Bedro­hung für eigene nuk­lear-strate­gis­che U‑Boote min­imieren sollen. So kön­nen sich die vorder­sten der in der Tiefe gestaffel­ten „Vertei­di­gungslin­ien“ dur­chaus am Bosporus und an den Dänis­chen Meeren­gen find­en, ja über Let­ztere hin­aus sog­ar in der Nord­see und im offe­nen Nor­dat­lantik (Unterbindung von NATO-Nach­schub stärkt die Defen­sive an den eige­nen Landgrenzen).
Macht­pro­jek­tion in Rich­tun­gen West­en (Europa) und Süd­west (Mit­telmeer/­Nah-Mit­telost) fand im Kalten Krieg an den von NATO-Staat­en beherrscht­en Dänis­chen Meeren­gen und am Bosporus Gren­zen. Zwar operierte die sow­jetis­che Marine über diese hin­aus, aber in einem Kon­flik­t­fall wäre die Rück­kehr zu den für „rück­wär­tige Dien­ste“ (Werftka­paz­ität) unverzicht­baren Stützpunk­ten in Ost­see und Schwarzem Meer versper­rt. Im Mit­telmeer trug die sich logis­tisch auf Häfen und Anker­plätze in bzw. vor verbündeten/befreundeten Län­dern abstützende „5. Eskadra“ noch über den Zer­fall der Sow­je­tu­nion hin­aus bis 1993 diesem Prob­lem Rechnung.

Per­ma­nente Aus­lands-Präsenz stößt an Grenzen

Die let­zten Jahre lassen ein Bemühen zur Rück­kehr zu einem solchen Konzept erken­nen. Ein 2012 vorgestell­ter Plan sah für alle Flot­ten die Auf­stel­lung von Flot­tillen vor, mit denen rund um die Welt in mar­iti­men Schlüs­sel­re­gio­nen Präsenz gezeigt und wo erforder­lich rus­sis­che Inter­essen auch durchge­set­zt wer­den sollen. Noch im gle­ichen Jahr wurde das „Ständi­ge Mit­telmeergeschwad­er“ (Mediter­ranean Squadron — Med­Sqn) aufgestellt.
Die Med­Sqn bleibt bis heute der einzige „per­ma­nent in außer­heimis­chen Gewässern präsente“ Ver­band, wobei nicht ver­wun­dern kann, dass die diesen Ver­band oper­a­tiv führende Schwarzmeer­flotte im Konzept von 2012 Pri­or­ität erhal­ten hat. Das Schwarzmeer ist für Rus­s­land mar­itimes Sprung­brett ins Mit­telmeer und darüber hin­aus bis in den Indis­chen Ozean – eine geostrate­gisch wichtige Region, in der man beträchtlich­es Poten­zial für poli­tis­che Ein­flussnahme sieht; auch der im Früh­jahr 2011 begonnene syrische Bürg­erkrieg dürfte bei Auf­stel­lung der Med­Sqn eine Rolle gespielt haben.
Dass neben der Med­Sqn bish­er noch keine weit­eren „Präsenz-Flot­tillen“ aufgestellt wur­den, hat sich­er mehrere Gründe. Zum einen find­et die rus­sis­che Marine im syrischen Tar­tus ihren weltweit einzi­gen per­ma­nen­ten aus­ländis­chen Abstützpunkt. Alle Ver­hand­lun­gen zu ver­gle­ich­baren Stützpunk­trecht­en auch in anderen Teilen der Welt blieben bish­er erfol­g­los. Sich­er ist Nachver­sorgung auch in zivilen Häfen möglich (so nutzt die Med­Sqn auch regelmäßig Limas­sol in Zypern), aber dies kostet Devisen und dürfte in Kriegszeit­en schnell Gren­zen finden.
Zum anderen zeigt die Ver­legung von Ein­heit­en der Nord­flotte und der Baltischen Flotte, ja sog­ar der Paz­i­fik­flotte zur Med­Sqn aber auch, dass die rus­sis­che Marine bei der Assig­nierung von Schif­f­en zu per­ma­nen­ten außer­heimis­chen Präsen­zver­bän­den an ihre Gren­zen stößt. Die Schwarzmeer­flotte allein ist zurzeit nicht in der Lage, per­ma­nent eine aus­re­ichende Anzahl von Kampf- und Hil­f­ss­chif­f­en zur Med­Sqn abzustellen. Bei auch in den anderen Flot­ten nur begren­zten „Kampfk­er­nen“ ein­satzk­lar­er Schiffe dürfte die Auf­stel­lung weit­er­er, ähn­lich­er Ein­satz­grup­pen sehr schnell zu Kräfteüberdehnung führen.
Der oper­a­tive Wert der Med­Sqn und auch eventuell weit­er­er „Präsen­zflot­tillen“ bleibt begren­zt. Sie dienen neben poli­tis­ch­er Sol­i­dar­itäts­bekun­dung oder Beobach­tung ein­er krisen­haften Entwick­lung de fac­to nur bloßer Abschreck­ung. Die rus­sis­che Marine ste­ht hier in direk­ter Nach­folge der sow­jetis­chen Marine, die sich in zahlre­ichen Kon­flik­ten immer auf bloße Präsenz beschränkt und nie wirk­lich von See her aktiv in einen Kon­flikt einge­grif­f­en hat­te. In den Nahostkriegen zog sie sich sog­ar räum­lich zurück und ver­sagte den Ver­bün­de­ten Syrien und Ägypten den zuvor öffentlich ver­sproch­enen mil­itärischen Bei­s­tand. Dies war ganz sich­er keine „Feigheit vor der eige­nen Courage“ son­dern die sach­liche Fest­stel­lung ein­er unter real­er Bedro­hung fernab von Heimat­gewässern nicht gegebe­nen Durchhaltefähigkeit.

Reale „Pow­er Pro­jec­tion“ – oder bloße Fähigkeitsdemonstration?

Seit 2016 soll die Med­Sqn mit direk­tem Ein­greifen in den syrischen Bürg­erkrieg poli­tisch wie mil­itärisch ein Umdenken sig­nal­isieren und zeigen, dass auch die rus­sis­che Marine „auf Augen­höhe“ mit der US-Navy und anderen Mari­nen dur­chaus zu „Pow­er Pro­jec­tion from the Sea“ fähig ist. Öffentlichkeitswirk­sam wurde der Flugzeugträger „Admi­ral Kuznetsov“ zum Ein­satz sein­er Kampf­flugzeuge ins Mit­telmeer ver­legt, und FK-Korvet­ten und U‑Boote schossen aus dem Mit­telmeer und dem Kaspis­chen Meer Marschflugkör­p­er auf Landziele in Syrien.

Korvette schießt Marschflugkörper Kalibr auf Ziele in Syrien (Foto: MoD Russia)
Korvette schießt Marschflugkör­p­er Kali­br auf Ziele in Syrien (Foto: MoD Russia)

Real betra­chtet war dies jedoch wenig mehr als bloße Fähigkeits­demon­stra­tion, teils sich­er auch prak­tis­che Erprobung von Waf­fen­sys­te­men und oper­a­tiv­en-/tak­tis­chen, auch teil­stre­itkraft-gemein­samen Konzepten. Für die Oper­a­tions­führung in Syrien spielte und spielt die rus­sis­che Marine nur eine sehr nach­ge­ord­nete Rolle. In den drei Monat­en vor der syrischen Küste wur­den von der „Admi­ral Kuznetsov“ wenig mehr als 100 Flugzeugein­sätze (am unteren Ende der Tages-Rate eines US-Flugzeugträgers) ges­tartet, wobei die Trägerkampf­flugzeuge zeitweise sog­ar von Land­basen in Syrien einge­set­zt wur­den; im gle­ichen Zeitraum flo­gen in Syrien sta­tion­ierte Kampf­flugzeuge der rus­sis­chen Luft­waffe mehr als 10.000 Ein­sätze. Im Ver­gle­ich mit den von diesen abge­wor­fe­nen Bomben ist auch die Wirkung der von See geschosse­nen Marschflugkör­p­er Kali­br verschwindend.
Pow­er Pro­jec­tion „From the Sea“ sieht sich­er anders aus, zumal die Ein­heit­en im östlichen Mit­telmeer unter Friedens­be­din­gun­gen, völ­lig unge­hin­dert und abseits jed­er realen Bedro­hung operierten, teils sog­ar aus vorher angekündigten Warnge­bi­eten operierten.
Klas­sis­ches Ele­ment ein­er zu glob­aler Pow­er Pro­jec­tion fähi­gen Seemacht ist eine starke amphibis­che Kom­po­nente. Bei der rus­sis­chen Marine sind zurzeit nur die teils 40 Jahre alten Lan­dungss­chiffe der ROPUCHA- und ALLI­GA­TOR-Klasse über die Rand­meere hin­aus ver­leg­bar. Das neue Lan­dungss­chiff „Ivan Gren“ ist im Zulauf, ein Schwest­er­schiff im Bau, aber auch mit diesen Neubaut­en hält die rus­sis­che Marine an einem ver­al­teten Konzept fest. Angesichts der Reich­weite mod­ern­er Küsten­vertei­di­gungssys­teme sind alle anderen glob­al operieren­den Mari­nen inzwis­chen dazu überge­gan­gen, große amphibis­che Ein­heit­en „hin­ter dem Hor­i­zont“ zu hal­ten, Trup­pen und Fahrzeuge von dort aus mit Hub­schraubern und Lan­dungs­booten an Land zu set­zen und die ganze Oper­a­tion mit ein­er organ­is­chen Luftkom­po­nente zu sichern.
Die rus­sis­che Marine muss dage­gen selb­st bei ein­er See­landung an ein­er vertei­digten Küste ihre amphibis­chen Trans­ports­chiffe direkt an einen Strand fahren; Trans­porthub­schrauber oder Lan­dungs­boote wer­den an Bord nicht mit­ge­führt. Zur Luftraum­sicherung muss bor­dgestützte Flu­gab­wehr reichen. Dieses Konzept mag für heimat­na­he Rand­meer­op­er­a­tio­nen tau­gen, wo landgestützte Kampf­flugzeuge auch sub­stanzielle Unter­stützung geben kön­nen. Fernab der Heimat, ohne Abstützung auf ein Gast­land (Flug­plätze) und in einem Umfeld hoher Bedro­hung dürfte es zur Erfol­glosigkeit ver­dammt sein.

Seelandung: amphibische Transportschiffe entladen direkt am Strand (Foto: MoD Russia)
See­landung: amphibis­che Trans­ports­chiffe ent­laden direkt am Strand (Foto: MoD Russia)

Dieses Dilem­ma ist schon länger erkan­nt und sollte durch die Beschaf­fung von Hub­schrauberträgern der franzö­sis­chen MIS­TRAL-Klasse beseit­igt wer­den. Nach Scheit­ern dieses Vorhabens (Ukraine-Sank­tio­nen) sollen nun ab etwa 2019 Hub­schrauberträger im Eigen­bau entste­hen. Bis zu deren oper­a­tiv­er Ver­füg­barkeit dürfte allerd­ings noch ein volles Jahrzehnt vergehen.
Mit dem Ein­greifen in Syrien hat Rus­s­land nur demon­stri­ert, dass die Marine „es kann“ – aber es will mehr. 2015 forderte eine Neu­fas­sung der Marine­dok­trin einen Aus­bau zur „Seeemacht“. Zukun­fts­gerichtete Vorhaben wür­den die Fähigkeit­en zu „aus­re­ichen­der“ Präsenz in der Ark­tis und im Atlantik, vor allem aber im Mit­telmeer sich­er­stellen. Mit Blick auf let­ztere Region soll die Schwarzmeer­flotte ver­stärkt und ihre Infra­struk­tur aus­ge­baut wer­den. Auch diese Dok­trin zielt primär noch auf die Rand­meere, berück­sichtigt vor allem die wach­sende Bedeu­tung der ark­tis­chen Küstengewäss­er. Bezüglich der Welt­meere bleibt sie nur vage: Man werde hier „wo nötig“ operieren (z.B. bei der Bekämp­fung von Piraterie).
Ein­satz der Marine als Expe­di­tionary Force in einem heimat­fer­nen Kon­flikt ste­ht hier offen­sichtlich noch nicht zur Debat­te, aber die Ambi­tio­nen gehen inzwis­chen weit­er. Im Juli dieses Jahres unterze­ich­nete Präsi­dent Putin ein neues Doku­ment zu „Grund­la­gen der staatlichen Marinepoli­tik bis 2030“, in dem es heißt, man werde eine über­wälti­gende Über­legen­heit fremder Län­der (Mari­nen) nicht hin­nehmen. Rus­s­lands Marine werde in Fähigkeit­en und Kampfkraft den „zweit­en Platz“ (also nach der US-Navy, aber vor der chi­ne­sis­chen Marine) anstreben.

Zahlen­spiele

Zahlen­spiele sollen der eige­nen Bevölkerung zeigen, dass man auch schon auf dem besten Wege dor­thin ist. So verkün­dete die Jahres­bi­lanz für 2016 die Indi­en­st­stel­lung von „mehr als 80 Kriegss­chif­f­en“. Dass 70 dieser „Kriegss­chiffe“ nur kleine Hafen­schlep­per oder Taucher­hil­fs­boote waren, durfte den „riesi­gen Fortschritt“ nicht schmälern und wurde denn auch nur am Rande erwähnt.
Solche regelmäßig zum Jahre­sende und Ende Juli zum „Tag der Seestre­itkräfte“ verkün­de­ten Erfol­gsmeldun­gen weck­en Erin­nerun­gen an kom­mu­nis­tis­che Zeit­en, als bei solchen Gele­gen­heit­en die Über­erfül­lung des poli­tisch geforderten Plan­solls beschworen wurde. Auf west­liche Experten wirken die für die eigene Bevölkerung bes­timmten Zahlen lächer­lich, erin­nern sog­ar an die berühmten „Potemkin­schen Dörfer“.
Sie dür­fen allerd­ings nicht darüber hin­wegtäuschen, dass tat­säch­lich eine ganze Serie von neuen Schiff­baupro­gram­men geplant oder auch schon ange­laufen ist. Schw­er­punk­te liegen dabei zurzeit auf für ozeanis­che Ein­sätze geeigneten („blue water capa­ble“) Über­wasserkampf­schif­f­en und U‑Booten, die ihren oper­a­tiv­en Platz aber auch in Rand­meer-Konzepten vor der eige­nen Küste find­en. Zu ihnen gehören – um nur einige zu nen­nen – neue Fre­gat­ten der ADMIRAL GORSHKOV- und GRIG­OROVICH-Klasse, Korvet­ten der STEREGUSHCHIY‑, BUYAN-M‑, BYKHOV- und KARAKURT-Klasse und U‑Boote der KILO-III-Klasse.
Sie alle ver­fü­gen über aus­re­ichende Seeaus­dauer/-fes­tigkeit, oper­a­tive Durch­set­zungs­fähigkeit (mod­ern­ste Waf­fen­sys­teme) und kön­nen mit Marschflugkör­pern Kali­br von See her bis zu 1.500 km ent­fer­nte Ziele effek­tiv angreifen und so auch region­al über ihre heimatlichen Rand­meere hin­auswirken. Mit Pri­or­ität wer­den diese Schiffe zurzeit für Rand­meer­flot­ten (vor allem Schwarzmeer­flotte, aber auch Baltische Flotte und KaspiSee-Flotille) gebaut, aber auch Nord­flotte und Paz­i­fik­flotte sollen von den Pro­gram­men prof­i­tieren. Vor­rang haben auch vornehm­lich bei der Nord­flotte zu sta­tion­ierende Kampf- und Hil­f­ss­chiffe für die Ark­tis, von denen mehrere Klassen im Bau sind. Schutz der unter dem Kli­mawan­del zunehmend zugänglicheren Polargewäss­er vor Rus­s­lands Nord­küste ist aber eben­falls eher einem Rand­meerkonzept zuzuord­nen als dem Auf­bau ein­er glob­al operieren­den Seemacht.
Bei primär für Oper­a­tio­nen in ozeanis­chen Gebi­et aus­gelegten Ein­heit­en ist die Lage nicht rosig. Zwar wer­den neue strate­gis­che U‑Boote der BOREJ-Klasse (Erhalt nuk­lear­er Zweitschlags­fähigkeit hat höch­ste Pri­or­ität) und nuk­lear­getriebene U‑Boote der YASEN-Klasse nach und nach in Dienst gestellt, aber bei großen Über­wasserkampf­schif­f­en über­wiegen noch aus sow­jetis­chen Zeit­en stam­mende „Alt­las­ten“, die durch Ein­rüs­tung mod­ern­er Waf­fen (Flugkör­p­er) „zukun­fts­fähig“ wer­den sollen. Der Kreuzer „Mar­shal Usti­nov“ (SLA­VA-Klasse) ist nach mehrjähriger Mod­ernisierung wieder bei der Nord­flotte in Dienst; die begonnene „Wieder­bele­bung“ das jahre­lang aufgelegten Kreuzers „Admi­ral Nakhi­mov“ der KIROV-Klasse kommt nur schlep­pend voran; zurzeit geht man von Wiederin­di­en­st­stel­lung in 2021 aus.
Teils mehr als 30 Jahre alte Zer­stör­er der SOVREMENNIY- und UDALOY-Klasse müssen – sofern sie nicht schon aufgelegt sind – als Arbeit­spferde für Aus­land­sreisen („Botschafter in Blau“) und ‑ein­sätze (Pira­terie-Bekämp­fung) her­hal­ten. Ihre angekündigte Mod­ernisierung kommt nur sehr schlep­pend voran. Der einzige – begren­zt zu „Pow­er Pro­jec­tion from the Sea“ taugliche – Flugzeugträger „Admi­ral Kuznetsov“ ste­ht vor ein­er mehrjähri­gen Werftüber­hol­ung. In der Marine­pla­nung find­en sich zwar neue Zer­stör­er (LID­ER-Klasse) und sog­ar Flugzeugträger. Mit dem Bau soll aber wohl erst nach Ablauf des derzeit­i­gen, bis 2025 reichen­den Schiff­bau­planes begonnen werden.

einziger Flugzeugträger „Admiral Kuznetsov“ (Foto: russ. Marine)
einziger Flugzeugträger „Admi­ral Kuznetsov“ (Foto: russ. Marine)

Haupthin­dernisse auf dem verkün­de­ten Weg zu ein­er glob­al operieren­den Seemacht bleiben neben knap­pen Bud­gets und extrem schlechter Zahlungsmoral des Vertei­di­gungsmin­is­teri­ums aber Defizite in der Kriegss­chiff­bauin­dus­trie. Nahezu alle Kriegss­chiff­baupro­gramme unter­liegen großen zeitlichen Verzögerun­gen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Werften sind infra­struk­turell herun­tergewirtschaftet, und ihr Man­age­ment gerät wegen Kor­rup­tion und Unfähigkeit zu real­is­tis­ch­er Pla­nung immer wieder in die Schlagzeilen; es man­gelt an Qual­ität­skon­trolle; Sub­un­ternehmen haben Liefer­prob­leme. Noch aus Sow­jet­zeit­en stam­mende Abhängigkeit­en zu früheren Repub­liken wur­den nicht beseit­igt, und beim nach 1990 möglichen Zugang zu west­lichen Sys­te­men wurde auf vie­len Gebi­eten Eige­nen­twick­lung ver­nach­läs­sigt. Bei­des rächt sich jet­zt nach den im Zuge der Ukraine-Krise ver­hängten Sanktionen.

Faz­it

Rus­s­land ist mit sein­er Posi­tion im UN-Sicher­heit­srat, seinen Stre­itkräften und Atom­waf­fen ohne jeden Zweifel eine „Super­ma­cht“. Zur See kann es aber trotz aller gegen­teili­gen poli­tis­chen Bekun­dun­gen dem erk­lärten Anspruch auf Anerken­nung als auch „glob­ale Seemacht“ (noch) nicht gerecht wer­den. Sich­er wird die rus­sis­che Marine in den kom­menden Jahren zunehmend Präsenz auf den Welt­meeren zeigen und ver­fügt auch über einen Kern dazu geeigneter Kriegss­chiffe, wie z.B. den Kreuzer „Petr Velikiy“ – mit dessen Namensge­bung sich der Kreis zu Zar Peter I. schließt.

Kreuzer „Petr Velikiy“ (Foto: Michael Nitz)
Kreuzer „Petr Velikiy“ (Foto: Michael Nitz)

Keine der vier Flot­ten ist heute allerd­ings in der Lage, fernab der Heimat­gewäss­er unter Kriegs­be­din­gun­gen mit real­er Bedro­hung autark und durch­set­zungs­fähig län­gere Ein­sätze durchzuführen. Ohne jeglich­es Konzept und Mit­tel für „Sea Bas­ing“ kann der Marine „Pow­er Pro­jec­tion“ nur im Einzelfall bei Abstützung auf ein Gast­land und selb­st dann auch nur räum­lich begren­zt möglich sein. Dies mag sich ab Mitte der 2020er Jahre ändern. Zurzeit sind die Ozeane für die rus­sis­chen Stre­itkräfte unverän­dert wenig mehr als Teil ein­er bedarf­sweise über die Rand­meere hin­aus vorgeschobe­nen Heimatvertei­di­gung – und hier wird sich abse­hbar auch weit­er­hin der Haup­tauf­trag der rus­sis­chen Marine find­en. Selb­st wenn die Oper­a­tions­ge­bi­ete der Flot­ten von Europa bis Ostasien reichen und damit glob­ale Ent­fer­nun­gen umspan­nen: Rus­s­land wird sich vor­erst mit dem Sta­tus ein­er glob­al zur See fahren­den und dabei ggf. durch bloße Präsenz Akzente set­zen­den Rand­meer­ma­rine beg­nü­gen müssen.

 

Kurz­fas­sung
„Globale Seemacht“ – oder Randmeer-Marine? - Russlands Marine zwischen Anspruch und Realität
Artikelüber­schrift
„Glob­ale Seemacht“ – oder Rand­meer-Marine? — Rus­s­lands Marine zwis­chen Anspruch und Realität 
Erk­lärung
Ober­ste Auf­gabe der rus­sis­chen Stre­itkräfte ist der Schutz der Heimat, der „Rod­i­na“, wobei die Marine mit ihren Flot­ten die see­seit­i­gen Flanken zu einem geschützten Raum – ein­er für einen Feind unein­nehm­baren „Bas­tion“ – machen soll. In einem Küsten­vertei­di­gungskonzept mit erweit­erten Fähigkeit­en zu Anti-Access/Sea Denial soll sie mit mehreren in der Tiefe gestaffel­ten „Vertei­di­gungslin­ien“ feindliche See- und Luft­stre­itkräfte möglichst weit vor dem rus­sis­chen Fes­t­land abfan­gen. Bis heute basieren nahezu alle größeren Übun­gen auf an diesem Konzept ori­en­tierten Szenarien.
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