Tibet — Vierzig Jahre autonome Region und umstrittene Provinz Chinas

China

T I B E T
Vierzig Jahre autonome Region und umstrit­tene Prov­inz Chi­nas — oder beset­ztes Land?

Karte Tibet Fläche: 1,22 Mio. km² (Region Tibet);
2,5 Mio. km² unter Berück­sich­ti­gung der eben­falls von eth­nis­chen Tibetern bewohn­ten Teile der chi­ne­sis­chen Prov­inzen Qing­hai, Gan­su und Sichuan
sowie den unter indis­ch­er Ver­wal­tung ste­hen­den Teilen der indis­chen Prov­inz Arunachal Pradesh
Bevölkerung: autonome Region Tibet: ca. 2,5 Mio. — davon 2,4 Mio. Tibeter und ca. 160.000 Chi­ne­sen
“Großti­bet” ca. 6 Mio. eth­nis­ch­er Tibeter und ca. 7,5 Mio. eth­nis­ch­er Chi­ne­sen
Haupt­stadt: Lhasa
Sta­tus: Autonome Prov­inz der Volk­sre­pub­lik Chi­na
Reli­gion der heimis­chen Tibetan­er: Lamais­mus — eine auch in der Mon­golei ver­bre­it­ete beson­dere Form des Bud­dhis­mus
Religiöse Ober­häupter:
Dalai Lama, resi­diert im indis­chen Exil und ist in dieser Funk­tion auch Ober­haupt der tibetis­chen Exil­regierung — ursprünglich ein­er Mönchshier­ar­chie aus dem Kloster Gan­den (östlich von Lhasa) entstam­mend
Pantschen Lama, zwei­thöch­ster religiös­er Wür­den­träger, unter Betreu­ung des chi­ne­sis­chen Staates
ursprünglich ein­er Mönchshier­ar­chie aus dem Klosters Tashil­hün­po bei Shi­gatse entstam­mend,
(Der XIV. Dalai Lama hat Ged­hun Choekyi Nyi­ma am 15. Mai 1995 als Reinkar­na­tion des X. Panchen Lama (gest. 1989) anerkan­nt. Die Chi­ne­sen reagieren darauf mit der Instal­la­tion Gyalt­sen Nor­bus als XI. Panchen Lama (29.11.1995) und ver­schlep­pen Ged­hun Choekyi Nyi­ma und seine Fam­i­lie an einen unbekan­nten Ort).

Quelle und extern­er Link:
Wikipedia — Tibet

Intern­er Link: Län­der­dossier Chi­na — Teil 1 ‑Im Schat­ten des Auf­schwungs (Rand­prov­inzen)

Im Novem­ber 2005 ist Tibet für den inter­essierten Beobachter gle­ich mehrfach in das Blick­feld gerückt. Die Volk­sre­pub­lik Chi­na feierte vier Jahrzehnte “Befreiung” der Autonomen Region Tibet, und spendierte dem Land gle­ichzeit­ig einen Bah­nan­schluss, der zunächst Lhasa über Gol­mut in der chi­ne­sis­chen Prov­inz Quing­hai mit dem chi­ne­sis­chen Eisen­bahn­netz verbindet. 

Die FAZ — im Hin­blick auf die Regierung in Peking sich­er nicht der Unter­wür­figkeit verdächtig — bringt die Fra­gen, die sich für den Betra­chter ergeben, auf den Punkt. Sie schreibt (Zitat):
“Die höch­ste Eisen­bahn­strecke der Welt ist fer­tig, Tibet ist an das Netz der Volk­sre­pub­lik ange­bun­den. Die chi­ne­sis­che Regierung bejubelt den Sieg des Fortschrittes, die Exil-Tibeter fürcht­en dage­gen eine neue Bedro­hung der tibetis­chen Kul­tur und die Aus­beu­tung tibetis­ch­er Reichtümer durch Chi­na.“
Quelle: Die höch­ste Eisen­bahn — (www.faz.net)

Und eine Ver­längerung ist bere­its im Bau: bis 2015 soll das auf dem Weg zur indis­chen Gren­ze gele­gene Xigaze, Tibets zweit­größte Stadt, über die Eisen­bahn von gut 250 km Länge mit Lhasa ver­bun­den sein — mit ein­er max­i­malen Jahreska­paz­ität von sog­ar 8,3 Mio. Ton­nen Fracht. Von Lhasa aus ist zudem ein Abzweig nach dem östlich gel­ge­nen Nyingchi in Pla­nung — mit einem Fer­tig­stel­lung­ster­min nach 2015 (Quelle: Chi­na Tibel online)

Wozu dient jet­zt die Eisen­bahn — der zunehmenden Anbindung der Region an die chi­ne­sis­che Wirtschaft, der damit ein­herge­hen­den weit­eren Unter­drück­ung der tibetis­chen Bestre­bun­gen auf (ins­beson­dere religiöse) Unab­hängigkeit — oder der Öff­nung eines über lange Jahrzehnte im Däm­mer­schlaf gehal­te­nen Gebi­etes an die Welt? Umgerech­net 3,3 Mil­liar­den Euro lies sich Peking diese Bahn kosten, eine gewaltige Summe für die Anbindung ein­er mit nur 2,5 Mil­lio­nen Bewohn­er dünn bevölk­erten Prov­inz — und etwas viel Geld, um nur dem Wohl der Tibeter zu dienen; die hät­ten sich­er mehr Freude daran gehabt, wenn jedem Tibeter sein Anteil an den Baukosten in bar­er Münze aus­gezahlt wor­den wäre.

Zunächst: Jedes Jahr sollen nun nach offiziel­er Mel­dung eine Mil­lion Pas­sagiere und 2,5 Mil­lio­nen Ton­nen Fracht trans­portiert wer­den. Daraus ergeben sich zwei Ansätze:

1) Bei 2,5 Mio. Ein­wohn­ern ist die Zahl von 1 Mio. Pas­sagieren etwas hoch gegrif­f­en. Diese Zahl macht nur “Sinn”, wenn die Bahn in großem Umfang von Touris­ten (und Sol­dat­en?) genutzt wird — oder von Arbeit­sim­mi­granten, also entwed­er von Han-Chi­ne­sen, die Tibet besiedeln, oder von armen Tibetern, die als “Wan­der­ar­beit­er” in Chi­nas boomenden Küsten­prov­inzen einen Arbeit­splatz suchen. Tat­säch­lich erwarteten chi­ne­sis­che Behör­den alleine im Jahr 2007 bis zu 3 Mio. Touris­ten in Tibet — und damit vor allem in Lhasa. Ein nicht unbe­deu­ten­der Teil dürfte die Zugstrecke über die höch­ste Bahn­lin­ie der Welt nutzen.

2) Tibets große Vorkom­men an Eisen­erz, Kupfer, Blei und Zink kön­nen seit dem Bau der Eisen­bahn im indus­triellen Maßstab aus­ge­beutet wer­den. Bei gutem Wet­ter dauert die alter­na­tive Last­wa­gen­fahrt auf dem 1115 Kilo­me­ter lan­gen Gol­mud-Lhasa High­way, der einzi­gen auch im Win­ter offe­nen Land­verbindung von Chi­na nach Tibet, 30 Stun­den. Bei schlechtem Wet­ter kon­nte die Fahrt auch schon ein­mal drei Tage beanspruchen — ein müh­samer und teur­er Weg, um Boden­schätze zu transportieren.

Bestätigt wird diese Auf­fas­sun­gen durch Mel­dun­gen über eine Ver­längerung der Bahn­strecke: Im Feb­ru­ar 2012 began­nen die Arbeit­en zur Ver­längerung zur Zangge Potash Co., Ltd in Qaidam basin, Qing­hai Prov­inz. 3,5 Mio. t. Pot­tasche sollen kün­ftig jährlich für Chi­nas land­wirtschaftlichen Bedarf abtrans­portiert werden.

Die Bahn­lin­ie ermöglicht also die inen­si­vere Anbindung Tibets an Chi­na und dient vor allem die wirtschaftliche Aus­beute der Boden­schätze aus Tibet. Aber — reicht die Nutzung für Pas­sagi­er und die Aus­beute der Boden­schätze als Argu­ment, um solche Kosten in Kauf zu nehmen?

Um der Lösung dieser Frage näher zu kom­men, zitieren wir noch ein­mal die FAZ:
“1142 Kilo­me­ter ist die Strecke lang, davon führen 960 Kilo­me­ter über eine Höhe von mehr als 4000 Metern. Der Welt höch­ster Bahn­hof wurde hier gebaut, in Tang­gu­la, auf 5068 Metern. Auf fast der Hälfte der Strecke mußte die Bahn auf Dauer­frost­bo­den gebaut wer­den. Als näch­stes ist eine Ver­längerung der Eisen­bahn­strecke bis zum Gren­z­posten Yadong an der indis­chen Gren­ze vorge­se­hen. Und dann werde es endlich zum Ware­naus­tausch mit Indi­en und der Volk­sre­pub­lik Chi­na eine Eisen­bahn­strecke geben.”

Eine ähn­liche Mel­dung bringt die Schweiz­er news.ch — web­site: Chi­na will seine neue Eisen­bahn nach Tibet auch nach Nepal ver­längern. … Bish­er geplant waren lediglich eine Ver­längerung über die zweit­grösste tibetis­che Stadt Xigaze (Shi­gatse) nach Chomo an die indis­che Gren­ze von Sikkim sowie eine Anbindung nach Nyingchi im Osten des Hochlandes.…”

 

Da liegt also der tief­ere Sinn dieses gigan­tis­chen Bah­n­pro­jek­ts:
- Chi­na möchte eine Bah­n­verbindung mit Südasien, es will sich offen­bar von den Seewe­gen unab­hängiger machen, einen “Bypass” leg­en für den Fall, dass der notwendi­ge Ware­naus­tausch ein­er zunehmend expandieren­den Wirtschaft auf dem Seeweg in Frage gestellt wird,
- Chi­na bedi­ent sich dabei (nicht nur) sein­er bish­eri­gen Ver­bün­de­ten Pak­istan und Bur­ma (Bir­ma, Myan­mar), über die bere­its entsprechende Straßen­verbindung führen, son­dern strebt auch eine inten­sive nutzbare Verbindung mit seinem drit­ten, südasi­atis­chen Nach­barn, mit Indi­en an.

Für Chi­na ist Tibet ein Teil des chi­ne­sis­chen Ter­ri­to­ri­ums, und Chi­na ist sich sein­er Herrschaft so sich­er, dass es Mil­liar­den investiert, nicht nur um die Region als Tran­sit­strecke zum indis­chen Nach­barn auszubauen. Chi­na fürchtet inzwis­chen offen­bar wed­er den oft als destruk­tiv emp­fun­de­nen Ein­fluss von Touris­ten (die über das Land bericht­en kön­nen) noch ver­steck­te Botschaften, die Besuch­er, Händler oder andere Reisende von der Exil­regierung des Dalai Lama ins Land schmuggeln könnten.

Team GlobDef

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