Allgemein — Piraterie 2009 — Erfolg sieht anders aus

Dieser Artikel wird mit fre­undlich­er Genehmi­gung der “Marine­Fo­rum — Zeitschrift für mar­itime Fra­gen” veröf­fentlicht.

Marineforum

ERFOLG SIEHT ANDERS AUSPIRATERIE VOR SOMALIA IM ERSTEN QUARTAL 2009

(Dr. Michael Stehr ist in der Redak­tion des Marine­Fo­rum zuständig für Fra­gen des See- und Völkerrechts) 

Neuer Reko­rd: 80 Über­fälle und 15 Ent­führun­gen bis inklu­sive 27.April 2009. Und das IMB ver­meldete Anfang April für das erste Quar­tal 2009 mit 62 Über­fällen und 9 Ent­führun­gen die höch­sten Zahlen, die jemals im Ver­gle­ich­szeitraum vor Soma­lias Küsten zu ver­melden waren, zehn­mal mehr als im ersten Quar­tal 2008. In die Zahlen des IMB sind nicht alle Über­fälle einge­gan­gen, u.a. fehlt der Angriff auf das Ver­sorgungss­chiff SPESSART der Deutschen Marine. 

Man­dat für Geleitschutz und Abwehr von akuten Angrif­f­en
Das Man­dat für die Deutsche Marine sieht den Geleitschutz für WFP-Schiffe und für andere Han­delss­chiffe sowie die Abwehr von akuten Angrif­f­en vor. Die Suche nach Mut­ter­schif­f­en oder Piraten­booten gehört nicht zu den von der Bun­desregierung for­mulierten Auf­gaben. Der Geleitschutz in der Mar­itime Secu­ri­ty Patrol Area im Osten des Golfs von Aden und für die zwis­chen Mom­basa und Mogadis­chu verkehren­den WFP-Schiffe funk­tion­iert bish­er durch­weg erfol­gre­ich, viele Angriffe kon­nten durch die Seestre­itkräfte abgewehrt, eine kleine Anzahl von Pirat­en festgenom­men und an die keni­an­is­che Jus­tiz über­stellt wer­den. Ein Wer­mut­stropfen stellt in diesem Zusam­men­hang die Kape­rung des deutsch bereed­erten Getrei­de­frachters MV PATRIOT am 25. April dar, der unter mal­te­sis­ch­er Flagge fährt. Die Pirat­en haben das Schiff im Golf von Aden knapp 300 Kilo­me­ter südöstlich der Küsten­stadt Mukalla (Jemen) in ihre Gewalt gebracht. Das Schiff war in der Mar­itime Secu­ri­ty Patrol Area im Golf von Aden gefahren, war auch angemeldet bei der dafür zuständi­gen Kom­man­dostelle der US-Stre­itkräfte in Bahrain und hielt sich an die gel­tenden Selb­stschutzregeln in diesem Seege­bi­et. Der Über­fall ist den obi­gen Zahlen hinzuzuad­dieren – und es ist der erste erfol­gre­iche Über­fall auf ein Schiff, das unter dem Schutz der inter­na­tionalen Seestre­itkräfte fuhr. 

In dem begren­zten Schutzge­bi­et liegt die Ursache für die Erfolge der Pirat­en, denn die See vor den Ostküsten Soma­lias, Kenias und Tansa­nias ist weit, die Über­fälle find­en eben nicht mehr allein im Golf von Aden und nahe der Ostküste Soma­lias statt. Die Pirat­en fahren seit Anfang März 2009 sig­nifikant häu­figer weit hin­aus in den Indis­chen Ozean und ent­fer­nen sich dabei bis zu 900 Seemeilen von ihren Basen bis vor die Küsten Kenias und Tansa­nias. Der Über­fall auf das Kreuz­fahrtschiff MS MELODY Ende April spielte sich rund 645 Seemeilen südöstlich von Mogadis­chu ab. Sie bedi­enen sich wieder ver­stärkt ver­schieden­er kleiner­er hochseefähiger Schiff­stypen als Mut­ter­schiffe, die die kleinen schnellen Skiffs für die Angriffe weit hin­aus auf die hohe See mit­nehmen. Von der zehn Meter lan­gen Dhau bis zum gekaperten Fis­chtrawler von gut fün­fzig Meter Länge (und mit Radar und Auto­mat­ic Iden­ti­fi­ca­tion Sys­tem, AIS, aus­gerüstet) wird alles genom­men, was in der Region häu­fig genutzt wird und unauf­fäl­lig ist. 

Kom­pe­ten­zgerangel und Ver­sagen?
Mit dem abgewehrten Über­fall auf den Marine­tanker SPESSART war die Bun­desre­pub­lik Deutsch­land erst­mals direkt betrof­fen. Gekapert haben Pirat­en Anfang April den deutschen Con­tain­er­frachter HANSA STAVANGER mit fünf deutschen Seeleuten an Bord. Ger­adezu skan­dalös in diesem Zusam­men­hang ist die Art und Weise, wie eine Befreiungsak­tion durch die GSG 9 nicht zus­tande kam. Für einen Abbruch des Ein­satzes durch den Ein­sat­zleit­er bei vor­liegen­der zu großer Gefährdung für die Geiseln hätte sich­er jed­er Ver­ständ­nis – aber für das Kom­pe­ten­zgerangel zwis­chen zwei ver­ant­wortlichen Min­is­te­rien kann es wohl nur die Prämierung mit dem Verdikt »Ver­sagen« geben. 

Die Ban­den ler­nen dazu, wer­ben stets neue Mithelfer an, die neu benötigte Fähigkeit­en ein­brin­gen. Lösegelder fließen nicht nur in den Wohl­stand aller Beteiligten, deren erfol­gre­ich­ste u.a. in Nairo­bi im Nach­bar­land Kenia Immo­bilien erwer­ben. Lösegelder wer­den auch zur Finanzierung neuer Aus­rüs­tung und zur Aufrüs­tung der die Ban­den deck­enden in den Haup­torten der Pira­terie jew­eils herrschen­den Bürg­erkriegsmilizen ver­wen­det. Die offene Gren­ze zu Kenia ist die ide­ale Schmuggel­route für alle tech­nis­chen Aus­rüs­tungs­ge­gen­stände, die von den Piraten­ban­den »importiert« wer­den müssen: Waf­fen, Sat­Com-Tele­fone, GPS-Geräte und neuerd­ings ange­blich auch AIS-Anzeige-Geräte, wie sie auf kleineren pri­vat­en Jacht­en einge­set­zt werden. 

Die spek­takuläre Selb­sthil­fe der Besatzung der MAERSK ALABAMA ragt her­aus aus der Vielzahl gelun­gener Selb­stschutza­k­tio­nen ange­grif­f­en­er Han­delss­chiffe, auch weil der Kapitän schließlich doch noch in Geisel­haft geri­et und wieder befre­it wurde. Die nicht min­der spek­takuläre Befreiungsak­tion der US-Navy hat anders als ver­gle­ich­bare Aktio­nen Frankre­ichs, bei denen auch schon Pirat­en ums Leben kamen, erst­mals zu Vergel­tungsrufen der Piratenor­gan­i­sa­tio­nen geführt, in die islamistis­che Pro­pa­gan­datöne hineingemis­cht wur­den. Den­noch muss man fes­thal­ten, dass es den Ban­den selb­st nur um Beute geht, und dass die Geld­spritzen an islamistis­che Milizen in Soma­lia der Bürg­erkriegsarith­metik geschuldet sind. Es ist aber ger­ade deshalb nicht auszuschließen, dass islamistis­che Ter­ror­grup­pen durch Pira­terie indi­rekt begün­stigt wer­den. Zudem gilt: Das Bemühen der soma­lis­chen Zen­tral­regierung um den Auf­bau ein­er funk­tion­ieren­den Staats­ge­walt mit Stre­itkräften, Küstenwache und Polizei wird mit jed­er Lösegeldzahlung erneut untergraben. 

Poli­tis­che Entschei­dun­gen notwendig
Vor diesem Hin­ter­grund ist eines klar: Poli­tis­che Entschei­dun­gen ste­hen aus, die keinen Auf­schub dulden. Die Geschichte der europäis­chen Seemächte vom 17. bis 19. Jahrhun­dert lehrt die Vorteile des Fahrens im Kon­voi, sie lehrt aber auch, dass man die Pira­terie nur nach­haltig been­den kann, wenn man Pirat­en offen­siv bekämpft und ihnen ihre Basis an Land nimmt. Es ist Zeit für offen­sives Vorge­hen – und das muss schnell geschehen. Die poli­tisch Ver­ant­wortlichen kom­men um eine rasche Entschei­dung nicht herum, für die Pflege des deutschen Phleg­mas in Sachen Seesicher­heit fehlt die Zeit. Jed­er Monat, der ungenutzt ver­stre­icht, ver­schlim­mert die Sit­u­a­tion, und die Auf­gabe der Befriedung Soma­lias und der angren­zen­den See­han­del­srouten wird schwieriger. 

Die Bun­desre­pub­lik Deutsch­land ist als Export- und Import­na­tion exis­ten­ziell auf die Sicher­heit der Seev­erkehr­swege angewiesen. In der glob­alen Wirtschaft­skrise stellt sich die Aufrechter­hal­tung viel­er tran­skon­ti­nen­taler Güter­lin­ien­di­en­ste ohne­hin als schwierig dar, mit wirtschaftlich beden­klichen Auswirkun­gen auf die Logis­tikket­ten viel­er Indus­trie­un­ternehmen. Da stellt eine Ver­längerung der Reise Asien-Europa um zehn Tage – die mit­tler­weile von eini­gen Reed­ereien wegen der Über­fall­risiken im Golf von Aden in Kauf genom­men wird – eine echte Her­aus­forderung für das Sup­ply Chain Man­age­ment dar. 

Team GlobDef

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