Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Orientierungslosigkeit in der maritimen Außenpolitik
Wer in der jüngeren Geschichte unseres Landes nach orientierenden Worten stöbert, stößt auf eine Aussage von Willy Brandt. Ihm wird folgendes Zitat zugeschrieben: »Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.« Im 21. Jahrhundert sucht man in der deutschen Außenpolitik – und in der veröffentlichten Position der Bundesregierung – die Quintessenz dieses Zitats vergebens. Gestaltungswillen à la Brandt ist abgelöst durch Moderation ohne Weitblick, prinzipientreuer Pragmatismus eingetauscht gegen Regieren auf Sicht. Im Trommelfeuer innenpolitischer Auseinandersetzungen kommt die große strategische Leitlinie, die Einordnung in einen größeren Zusammenhang, längst zu kurz. Deutschland ist, abseits sich wiederholender Allgemeinplätze, ideenarm, strategie- und damit orientierungslos.
Sebastian Bruns M.A. Doktorand an der Christian-Albrechts-Universität Kiel |
Was ist wie und womit zu tun? Das gilt im Besonderen für die maritimen Aspekte der Außen- und Sicherheitspolitik. Dass es uns nicht gelingt, Anspruch und Wirklichkeit miteinander zu vereinbaren, zeigte uns zuletzt der Bericht des Wehrbeauftragten. Aus Angst vor unpopulären Entscheidungen notwendige strategische Diskussionen nicht zu führen, zeugt aber von politischer Kurzsichtigkeit. Dabei ist die Frage drängender denn je: Wie ist es heute um unsere maritime Ausrichtung bestellt? Die regelmäßig stattfindenden hochrangig besetzten Konferenzen, die Jahresberichte des Flottenkommandos, die Beiträge der sicherheitspolitischen Community in Fachzeitschriften sind begrüßenswerter Ausdruck eines Voranschreitens. Sie können aber nicht verhehlen, dass es so etwas wie eine aufgeklärte Grand Strategy der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, die mehr ist als vage formulierte Staatsräson und gebetsmühlenartig wiederholte Bündnisverpflichtungen, nicht gibt. Ein Weißbuch wirkt eben nicht identitätsstiftend. Eine politisch beförderte maritime Grundsatzdiskussion findet abseits der öffentlichkeitswirksamen, aber strategiefreien »Piratenjagd am Horn von Afrika« nicht statt.
Obwohl Deutschland sich substanziell bei verschiedenen maritimen Militäroperationen weltweit engagiert, einen Großteil der weltweiten Frachtschiffflotte unterhält bzw. finanziert und zahlreiche Arbeitsplätze von der See abhängen, findet keine grundsätzliche Debatte über Chancen und Herausforderungen des maritimen 21. Jahrhunderts statt. Ein Beispiel: Im Indischen Ozean zeigt sich wie unter dem Brennglas die neue multipolare Welt, in der sämtliche arrivierten und kommenden Seemächte kooperieren und konkurrieren. Was das wiederum für EU,NATO und Republik, für Energieversorgung, Geopolitik und Sicherheitspolitik bedeuten könnte – das alles ist bestenfalls Randnotiz auf unserer Insel der Glückseligen.
Gerade Deutschland als Handels- und Industrienation müsste zu einem breit angelegten Verständnis dieser Möglichkeiten und Risiken gelangen. Die Dimensionen maritimer Sicherheit weltweit und vor Deutschlands Küsten sind bis heute beileibe nicht ausreichend durchdrungen, die Aufgaben der Streitkräfte dabei nicht erklärt worden. All dies wäre niederzuschreiben in einer formalen Sicherheitsstrategie und nicht nur das: Es müsste öffentlich diskutiert, gestritten, versöhnt, erklärt werden. Das »learning-by-doing« aus abgeschlossenen und laufenden Einsätzen muss mit einer strategischen Zukunftsperspektive vereinbart werden. Im Jahr 2010 und darüber hinaus würde uns solch eine Debatte endlich gut tun. Wie wollen wir zukünftig leben, handeln, arbeiten, politischen Einfluss ausüben, Schutzbedürfnisse befriedigen – und was ist dafür jetzt für die maritimen Fähigkeiten zu tun? Mehr noch: Wie viel Unangenehmes müssen wir gegebenenfalls bereit sein zu tun, um letztendlich Gutes zu erreichen?
Man sehnt sich geradezu nach einer lebhaften, ergebnisorientierten Diskussion über die Themen maritimer Außen- und Sicherheitspolitik, mit gehörig frischem Wind aus den Denkfabriken und hoch motivierten Zirkeln unser Republik, eingebettet in die Entwicklung einer praktizierten strategischen Kultur. Diese fände nicht nur im akademischen Betrieb und hinter verschlossenen Türen statt, sondern würde auch in die politische und allgemeine Bildung getragen, die breite Öffentlichkeit beteiligen. Andernfalls bleibt die Bundesrepublik auf absehbare Zeit Seemacht wider Willen. Durch die maritime Wirtschaft zwar potent, aber maritim anfällig und abhängig; durch das Engagement in den Bündnissen zwar eingebunden, aber ohne wirksame Stimme. So hat der zu oft kultivierte, historisch begründete Fluchtreflex vor einer Diskussion über unsere nationalen Interessen zu einer behandlungsbedürftigen Seeblindheit geführt, auf die wir gerne verzichten können. Niemand sagt, dass deren Behandlung einfach wäre. Es aber gar nicht erst zu versuchen, ist grob fahrlässig.
Zum Autor
Sebastian Bruns M.A., Doktorand an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, promoviert zur US-Marinestrategie und arbeitet als Analyst für ein maritimes Sicherheitsunternehmen.