Eine Europäische Marine?

Dieser Artikel wird mit fre­undlich­er Genehmi­gung der “Marine­Fo­rum — Zeitschrift für mar­itime Fra­gen” veröf­fentlicht.

Marineforum

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Mari­ne­of­fiziere begin­nen einen Vor­trag zumeist damit, auf die Bedeu­tung des Meeres zu ver­weisen – 70 Prozent der Ober­fläche der Erde beste­ht aus Wass­er und ein Großteil der inter­na­tionalen Waren- und Rohstoff­ströme, von denen Deutsch­land im Hin­blick auf Im- und Export so abhängig ist, ver­laufen über See. Irgend­wann kommt man auch auf die Deutsche Marine und damit zwangsläu­fig auf deren Umfang zu sprechen! 

Aber: Welch­er Zusam­men­hang beste­ht eigentlich zwis­chen den mar­iti­men Inter­essen Deutsch­lands und dem geplanten Umfang sein­er Marine? Die Kluft zwis­chen mar­iti­men Inter­essen und wirtschaftlich­er Leis­tungs­fähigkeit ein­er­seits und den vorhan­de­nen und geplanten Umfän­gen der Deutschen Marine erscheint erheblich. 

Ist Europa die Lösung? Vor dem Hin­ter­grund knap­per Kassen liegt es nahe, mil­itärische Fähigkeit­en in Europa zu bün­deln und deren Beschaf­fung effizien­ter zu gestal­ten. Mehr noch: Mar­itime Sicher­heit, wie Sicher­heit über­haupt, kann nicht aus der nation­al- staatlichen Per­spek­tive gestal­tet wer­den, son­dern sie bedarf eines europäis­chen und darüber hin­aus eines atlantis­chen Rah­mens. Wäre es somit nicht an der Zeit, über die Schaf­fung ein­er europäis­chen Marine nachzudenken? 

Nun, eine europäis­che Marine set­zt ein Europa voraus. Aber was charak­ter­isiert die Europäis­che Union zurzeit? Sie ist ein Staaten­bund mit nahezu 30 Mit­gliedern, von denen die meis­ten auf ihre Sou­veränität großen Wert leg­en und diese zumin­d­est im Kern nicht an die Gemein­schaft abtreten wollen. Den­noch deuten einige gemein­schaftliche Insti­tu­tio­nen eine Entwick­lung zu einem supra­na­tionalen Gesamt­staat an: Es gibt ein Par­la­ment ohne Staatsvolk, einen Präsi­den­ten ohne Staat, eine Außen­min­is­terin ohne gemein­schaftliche Außen­poli­tik, eine Exeku­tive, die oft­mals wie eine Regierung in Erschei­n­ung tritt, aber von keinem Sou­verän beauf­tragt ist. Kurzum, es gibt Insti­tu­tio­nen, die eine Final­ität vor­weg­nehmen, zu der die Mehrzahl der Mit­glied­staat­en und ihrer Völk­er erk­lärter­maßen derzeit nicht bere­it ist. Also doch keine europäis­che Marine? 

Nun, eine Europäis­che Union, die einen gemein­samen Lebens- und Wirtschaft­sraum bietet, kann den Schutz dieses Raumes und die Wahrung gemein­samer Inter­essen eigentlich nicht dem Nation­al­staat des 19. Jahrhun­derts über­lassen. Und in der Tat ist die Europäis­che Union in viel­er­lei Hin­sicht bere­its viel weit­er. Dessen ungeachtet erscheint eine europäis­che Marine erst in langfristiger Per­spek­tive denkbar. Es mag kün­ftig vielle­icht ein Marinekomi­tee in Brüs­sel und andere Gremien geben, aber auf abse­hbare Zeit keine Europäis­che Admi­ral­ität, kaum mehr Befehls­befug­nisse als heute bere­its, und die Europaflagge dürfte die nationalen Flaggen in dieser und der näch­sten Gen­er­a­tion kaum erset­zen. Es bedarf eben zunächst ein­er gemein­samen Vertei­di­gungspoli­tik, der dann die gemein­samen Stre­itkräfte dienen. 

Auch wenn es noch einige Zeit dauern wird, bis wir eine gemein­same Flotte sehen, bedeutet dies nicht, dass es nicht gemein­sam operierende Flot­ten geben kön­nte. Dies ist vielfach heute bere­its der Fall und bietet gle­ichzeit­ig erhe­blich­es Aus­baupoten­zial. Unter Wahrung nationaler Eigen­heit­en und spez­i­fis­ch­er Inter­essen beste­hen viele Möglichkeit­en der engeren Zusam­me­nar­beit, die an dieser Stelle nicht aufgezählt wer­den kön­nen. Hier soll jedoch auf ein möglich­es Missver­ständ­nis hingewiesen wer­den: Eine europäis­che Marine wird sich nicht als Sparpro­gramm gestal­ten und primär zur Ent­las­tung nationaler Haushalte nutzen lassen. 

Vielmehr geht es um nichts Gerin­geres als das Selb­stver­ständ­nis Europas. Falls Europa auf Augen­höhe mit den großen beste­hen­den und kom­menden Seemächt­en der Welt agieren will, benötigt es eine voll entwick­elte Seemacht. Dieses Selb­stver­ständ­nis nährt sich weniger aus der Analyse möglich­er Bedro­hun­gen – diese muss zur Aus­gestal­tung spez­i­fis­ch­er Fähigkeit­en erfol­gen – als vielmehr aus der Bedeu­tung von Seemacht in inter­na­tionalen Beziehun­gen. Europa wird sich langfristig auf die Seemacht USA nur in dem Maße abstützen kön­nen, in dem es eigene Fähigkeit­en zum Tra­gen bringt. Und gle­ichzeit­ig wird es eigene Inter­essen wahren müssen, auch wenn die USA mal nicht zur Ver­fü­gung ste­hen. Jedes Mit­glied­s­land wird sich im Rah­men sein­er eige­nen Inter­esse­n­analyse und sein­er wirtschaftlichen Leis­tungs­fähigkeit entsprechend in die enge Zusam­me­nar­beit nationaler Mari­nen und den Auf­bau europäis­ch­er Seemacht einzubrin­gen haben. »Bil­lig« wird man nicht davon kommen. 

Was bleibt ist nicht die Frage nach »Ein­er Marine«, son­dern diejenige nach »Einem Europa«. Eine imma­nent poli­tis­che Frage, die wed­er von den Stre­itkräften noch von der Indus­trie beant­wortet wer­den kann. Wohl aber ver­mö­gen Stre­itkräfte und Indus­trie auf Vorteile und Zweck­mäßigkeit eines weit­eren europäis­chen Zusam­menwach­sens hinzuweisen. 

Zum Autor
Pro­fes­sor Dr. Hol­ger Mey leit­et den Bere­ich »Advanced Con­cepts« der Fir­ma Cas­sid­i­an. Er gibt hier auss­chließlich seine per­sön­liche Mei­n­ung wieder. 

Team GlobDef

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