Die Ereignisse um die “Freedom Flotilla” pro-palästinensischer Aktivisten haben die internationalen Schlagzeilen der abgelaufenen Woche dominiert.
Der Ablauf soll an dieser Stelle nicht wiederholt werden; jeder interessierte Leser hat die Ereignisse verfolgt. Einige Anmerkungen sollen aber das wie im Nahen Osten üblich von sehr viel — sowohl pro-israelischer als auch pro-palästinensischer — Propaganda begleitete Geschehen aus einigen ausgewählten Blickwinkeln beleuchten, die in Berichterstattung mancher Medien zu kurz kommen.
Bildquelle: IDF |
Die im Gaza-Streifen herrschende Hamas ist nicht nur stärkste politische Kraft (mit viel kommunalem Engagement) im Gazastreifen, sondern vor allem auch Terrororganisation. Sie spricht Israel jedes Existenzrecht ab und verweigert jeden Dialog. Nach eigenem Sprachgebrauch befindet sie sich mit Israel „im Krieg“. Hamas nutzt jede Gelegenheit, ihr Waffenarsenal zu verstärken, sei es durch Tunnel nach Ägypten, sei es durch versteckte Lieferungen über See. Um dies zu unterbinden, hat Israel u.a. eine seeseitige Blockade von Gaza verhängt. Über die 12 sm Territorialgewässer hinaus gehend, wurde vor einigen Jahren eine insgesamt etwa 20 sm auf See hinaus reichende Maritime Exclusion Zone erklärt und durchgesetzt — übrigens mit Beteiligung auch der benachbarten ägyptischen Marine.
Die israelische Blockade des Gazastreifens zielt sicher primär darauf ab, Waffenlieferungen an Hamas und andere pro-palästinensische Terrororganisationen im Gazastreifen (u.a. Islamischer Dschihad) zu unterbinden. Durch Abschneiden Gazas von wesentlichen (auch humanitären) Versorgungsgütern erhofft Israel sich davon aber auch schwindenden politischen Rückhalt der Hamas bei der Bevölkerung – etwas, das weltweit in der Geschichte noch nie funktioniert hat, die mehrheitlich unschuldige Zivilbevölkerung aber in „Sippenhaft“ für die Terroristen nimmt und Israel nicht nur in der internationalen Meinung, sondern auch nach Völkerrechtsprinzipien ins Abseits stellt.
Jede in der Vergangenheit von Israel, teils auch nur nach gehörigem internationalen Druck, gewährte Lockerung der Blockade wurde von Hamas sofort als Gelegenheit zu vermehrtem Waffenschmuggel und Vorbereitung von Terroranschlägen in Israel begriffen. Hamas ist ausschließlich daran gelegen, die Blockade zu beseitigen. Die Organisation ist nicht daran interessiert, Hilfsgüter (auch humanitäre) erst nach Kontrolle durch Israel zu erhalten. Erklärtes Ziel der von pro-palästinensischen Aktivisten – übrigens gemeinsam mit der Hamas – organisierten „Freedom Flotilla“ war denn auch das demonstrative Durchbrechen der Blockade. Der Transport von Hilfsgütern nach Gaza auf dem Umweg über Israel stand für die Aktivisten nie als Alternative zur Debatte.
Laut Israels Generalstabschef Ashkenazi war offenbar von Beginn an bekannt, dass an der Aktion primär auch die türkische Organisation Insani Yardim Vakfi beteiligt war. Obwohl diese in Israel als „extremistisch“ eingestuft wird und zuvor auch lautstark angekündigt hatte, ein Aufhalten des Konvois „um jeden Preis“ zu verhindern, gingen die Planer des militärischen Einsatzes von einem „compliant boarding“ ohne jeden Widerstand aus. Ausgerechnet auf die MAVI MARMARA — das größte Schiff mit mehr als 300 Aktivisten an Bord – wurden Kampfschwimmer einzeln und ohne jede erkennbare äußere Sicherung aus einem Hubschrauber mitten unter auf sie wartende Aktivisten abgeseilt – und natürlich sofort angegriffen.
Dass die – mit Eisenstangen tödlich bedrohten — israelischen Soldaten sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten (Schusswaffen) wehrten, ist verständlich. Hier aber ein „Recht auf Selbstverteidigung“ geltend zu machen, darf sicher hinterfragt werden. Der Einsatz der israelischen Marine erfolgte eindeutig in internationalen Gewässern. Er richtete sich gegen in der Türkei registrierte Schiffe unter türkischer Flagge. Auch dem solchermaßen Angegriffenen darf man sicher ein gewisses „Recht auf Selbstverteidigung“ zugestehen.
Der Einsatz der israelischen Marine wirft weitere Fragen auf, denen sich Marinechef RAdm Eli Marom sicher in einer (internen) Untersuchung stellen muss. Warum erfolgte der „Zugriff“ weit von Gaza entfernt mitten in internationalen Gewässern; warum wurde nicht bis zum versuchten Eindringen in die erklärte Sperrzone gewartet? Gab es außer bloßer verbaler Aufforderung zum Abdrehen auch andere Versuche, die MAVI MARMARA zu stoppen. Die Bandbreite der Möglichkeiten reicht doch von Abdrängen, Kurs blockieren, Warnschüssen vor den Bug bis hin zu „Immobilisierung“ der Schiffes durch z.B. Werfen von Netzen oder Leinen in die Schrauben. Einige Medienmeldungen lassen übrigens darauf schließen, dass israelische Agenten mehrere Boote der „Freedom Flotilla“ auch schon im Hafen in Zypern technisch sabotiert haben, was im Ergebnis dann allerdings nur die Abfahrt um einige Tage verzögerte.
MAVI MARMARA Bildquelle: Free Gaza |
Einmal mehr stehen die Ereignisse um die „Freedom Flotilla“ auch für die Unfähigkeit einer israelischen Regierung oder der militärischen Führung zu einem asymmetrischen Konflikt (Einsatz militärischer Mittel in einem zivilen Umfeld) angemessener Medienpolitik. Wie bei fast allen derartigen Situationen in den letzten Jahren (zuletzt beim Gaza-Krieg) wird das Feld der Öffentlichkeitsarbeit zunächst ausschließlich dem „Gegner“ überlassen, der dies auch weidlich ausnutzt und mangels Gegenstimme schnell „seine“ Plattform findet. Auf israelischer Seite findet pro-aktive Medienarbeit nicht statt. Aktivitäten werden immer erst im Nachhinein entwickelt, wenn es darum geht, eigene Aktionen gegen eine international bereits gebildete Meinung zu rechtfertigen. Dabei kann man nur den Kürzeren ziehen.
Nicht nur jedem an der Materie interessierten Zeitungsleser und Internetnutzer, sondern weltweit auch allen politisch mit der Lage im Nahen Osten befassten Regierungsbehörden musste schon lange vor dem Aufbrechen der „Freedom Flotilla“ klar sein, dass die Aktion in einer scharfen Konfrontation der israelischen Marine mit den Aktivisten enden würde (wenn vielleicht auch nicht mit Toten). Trotzdem gab es keinerlei Meldungen über Versuche hochrangiger Politiker, durch Einflussnahme auf die israelische Regierung und Vermittlung mit den Organisatoren der „Freedom Flotilla“ zu einem Kompromiss zu kommen, also z.B. einigen kleinen Booten die symbolische Durchfahrt nach Gaza zu erlauben (was früher bereits erfolgte) und das Material der großen Schiffe in Ashdod umzuschlagen. Fast alle, die sich jetzt mit lautstarker Kritik am israelischen Vorgehen zu Wort melden, blieben im Vorfeld der Aktion stumm. Krisenmanagement sieht gewiss anders aus.
Man kann sich nicht des Eindrucks verwehren, dass verantwortliche Politiker (vor allem in den USA und in der EU) eine „seit Monaten starrsinnig jeden Kompromiss verweigernde und damit politik-unfähige“ israelische Regierung vielleicht ganz bewusst „ins offene Messer“ laufen ließen, um nun aus dem für Israel entstandenen internationalen „Public Relations Desaster“ mit drohender weltweiter diplomatischer Isolierung politisches Kapital zu schlagen und den Nahost-Friedensprozess wieder in Gang zu setzen. Die Chancen dafür dürften nicht einmal schlecht stehen. Es gibt erste Hinweise auf eine möglicherweise schon demnächst gelockerte Gaza-Blockade (nachdem Ägypten diese ohnehin erst einmal abgebrochen hat). Unübersehbar ist aber auch die Gefahr, dass die „Märtyrer“ der MAVI MARMARA zum Zündfunken für eine neue Intifada werden könnten. Hamas und natürlich auch alle anderen extremistischen Palästinensergruppen sowie die libanesische Hisbollah dürften an diesem Ziel „emsig werkeln“.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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