Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen” veröffentlicht.
Auch im 100sten Jahr ihres Bestehens war die Marineschule Mürwik der Geburtsort eines neuen Offizierjahrgangs, in der Marine traditionell als »Crew« bezeichnet. Am 01. Juli 2010 durchschritten knapp 200 Offizieranwärter der Crew VII/2010 zum ersten Mal das markante Eingangsportal des »Roten Schlosses am Meer«, um ihre fast einjährige Erstausbildung aufzunehmen. Bevor jedoch die darin enthaltene, klassische Fach- und Führungsausbildung beginnt, steht zunächst die sechswöchige Soldatische Basisausbildung auf dem Programm.
Diesem Ausbildungsabschnitt kommt eine ganz besondere und prägende Bedeutung zu, denn hier werden die Grundlagen für den Beruf des Soldaten und die weitergehende Ausbildung gelegt – in diesen ersten, entscheidenden Wochen sollen die jungen Männer und Frauen vom Zivilisten zum Soldaten geführt und geformt werden. In der Vergangenheit wurde aus allen Teilen der Marine für die Durchführung dieser Ausbildung Personal an der MSM zusammengezogen, da ausreichend infanteristische Expertise nicht im Lehrkörper vor Ort abgebildet war.
Dieses Prinzip funktionierte zwar im Grundsatz, bedeutete aber meist eine Orientierung am Angebot und nicht an der Nachfrage nach externem Personal. Die Qualitäten der externen Ausbilder waren damit bei jeder Planung nur schwer zu bestimmende Faktoren. Ein Kernteam, auf das stets aufgebaut werden konnte, existierte dabei nicht. Mangels eigener Erfahrungen konnte auch keine stetige Verbesserung in Ablauf und Inhalt der Ausbildung erreicht werden. Qualität und Ergebnis der Soldatischen Basisausbildung hingen in der Folge in unerwünscht hohem Maße vom Engagement und dem ausgeprägten Improvisationsvermögen einzelner Ausbilder ab. Im Zuge zunehmender Verpflichtungen der aushelfenden Dienststellen ging darüber hinaus das Angebot verfügbarer Ausbilder stetig zurück.
Insgesamt entsprach das Konzept der so wichtigen Soldatischen Basisausbildung immer weniger dem hohen Qualitätsanspruch, den die Offiziersausbildung verdient. In Erkennung der Lage fasste die Marineschule daher den Entschluss, zu handeln und diesen Ausbildungsabschnitt neu zu konzipieren.
Folgende Eckpfeiler sollten dabei das neue Konzept stützen: * Verstärktes Nutzen von schulinternem Personal (damit Aufbau eigener Expertise) * Gleichzeitige Reduzierung externer Unterstützung * Beibehaltung des Führungspraktikums für die Kadetten der Vorjahres-Crew, also deren Einbindung als Gruppenführer * Förderung der Bindung zur Crew, zur Marine und zum maritimen Umfeld durch Sondervorhaben.
Soldatische Basis 2010
Die Bestrebungen der Marineschule fanden sofort die Unterstützung der vorgesetzten Dienststellen, sodass, in enger Abstimmung mit dem Marineamt, im vierten Quartal 2009 ein Konzept für die Soldatische Basis im Juli 2010 erstellt und anschließend intern ausgeplant wurde.
Bereits zu Beginn des Jahres 2010 legte das Planungsteam in regelmäßigen Sitzungen Ausbildungsinhalte und deren Ausgestaltung fest, plante und organisierte Sondervorhaben und konnte so die Marschroute für eine erfolgreiche Ausbildung abstecken. Höhepunkt der mehr als sechsmonatigen Vorbereitungsphase bildete ein zweiwöchiges, praxisorientiertes Ausbilderseminar, um die frisch beförderten Seekadetten der Vorjahres-Crew auf ihre verantwortungsvolle und herausfordernde Aufgabe als Gruppenführer für die neuen Rekruten vorzubereiten.
Foto: Bundeswehr / Helge Adrians) |
Im Folgenden ein kurzer Blick zurück auf den Verlauf der Ausbildung ab dem 1. Juli 2010, dem Tag des Eintreffens der neuen Crew:
Berufsfeldeinweisung |
Fregatte zum Anfassen |
Keine zweite Chance für einen ersten Eindruck – diese Einstellung wird nicht nur von angehenden Offizieren erwartet. Auch die Schule trägt diesem Anspruch mit eigenem, gut vorbereitetem und ausgesuchtem Personal an den entscheidenden Stellen Rechnung. So verwundert es nicht, dass die ersten Vorgesetzten bereits am Flensburger Bahnhof für den richtigen Eindruck bei den jungen Männern und Frauen sorgen. Spätestens aber beim ersten Anblick der Marineschule mit ihrem ganz eigenen Flair ist jedem Offizieranwärter bewusst, dass hier ein neuer Abschnitt seines Lebens beginnt.
Nachdem der »Kulturschock« des ersten Tages überwunden ist und man sich an das neue Klima zu gewöhnen beginnt, sind die weiteren Tage gefüllt mit medizinischen Untersuchungen, der obligatorischen Einkleidung, Fitness- und Englischtest sowie offiziellen Einweisungen in administrative Dinge. Nach der ersten Woche endet die »Schonzeit« der Rekruten und es geht an die militärische Grundlagenausbildung: Formaldienst, Handwaffenausbildung, ABC-Schutzausbildung, Rechtsunterricht und sehr viel Sport verlangen den Soldaten viel ab. Der Marineoffizier ist vor allem auf dem Wasser in seinem Element, deswegen geht es während der Ausbildung mehr als einmal auf die Förde, zum klassischen Kutterpullen und sogar zum Wettschwimmen.
Das erstmals durchgeführte Sondervorhaben Biwak auf der Großen Ochseninsel stellt dabei ein maritim-infanteristisches Highlight dar. Neben Marsch‑, Feld- und Ruderausbildung steht hier vor allem das Gemeinschaftserlebnis der gesamten Crew im Vordergrund, noch dazu bewusst außerhalb der inzwischen vertrauten Umgebung der Schule. Den Weg zur naturbelassenen Insel in dänischen Hoheitsgewässern muss dabei eine Hälfte der Offizieranwärter von Hand mit Marinekuttern (ca. 3 Seemeilen), die andere zu Fuß (9 Kilometer Marschstrecke) einschließlich einer kurzen Fährüberfahrt bewältigen. Nach zünftigem Feld-Abendessen vom Esbitkocher, Zeltbau und der ersten kurzen Nacht unter freiem Himmel verlegt die Gruppe am nächsten Morgen zurück zur Schule – um die Blasen an Händen oder Füßen gleichmäßig zu verteilen, bekommt nun die jeweils andere Hälfte die Chance, den Kutter oder die Marschstrecke zu nutzen. Einzige Kritik der Rekruten – das ganze Vorhaben war viel zu schnell vorbei …
Gegen Ende der Basisausbildung steht schließlich ein weiteres Sondervorhaben an: die Berufsfeldeinweisung, erstmalig seit Längerem und in diesem Umfang auf dem Gelände der Marineschule Mürwik durchgeführt.
Hinter dem nichtssagenden Begriff verbirgt sich ein wahres Großaufgebot der Flotte, die sich den jungen Männern und Frauen zu einem frühen Zeitpunkt in all ihrer Vielfalt präsentieren will – und damit einen Ausblick auf die möglichen späteren Arbeitsplätze oder eben Berufsfelder eines Marineoffiziers gibt.
Die erste Kontaktaufnahme zwischen zahlreichen jungen Offizieren aus der Flotte und den Offizieranwärtern findet bei einem kameradschaftlichen »Einlaufbier« statt – das bricht das Eis zu den vielen höheren Dienstgraden und weckt die Neugier.
Am nächsten Tag gibt es dann Marine zum Ansehen und vor allem Anfassen – ein sechs Stationen umfassender Präsentations- Parcours: Auf einer »Informationsmeile« im Innern der Schule sind die beiden Einsatzflottillen mit eigenen Messeständen vertreten. Hier können die Offizieranwärter nach Lust und Laune in Prospekten blättern, an Schiffsmodellen fachsimpeln oder die Offiziere des Vorabends über Karrierechancen und Tätigkeitsfelder an Bord ausfragen – was reichlich genutzt wird.
Draußen warten dann die eigentlichen Highlights: von Ausrüstung und Gerät der Marineschutzkräfte und der Spezialisierten Einsatzkräfte der Marine, über ein im Bootshafen vertäutes Minenjagdboot und zwei auf der Wiese geparkten Hubschraubern, bis hin zur in Wurfweite ankernden Fregatte bleiben kaum Wünsche offen – alles zum Anfassen, selbstverständlich.
Die Idee der Berufsfeldeinweisung ist zwar nicht neu, hat aber durch den Umfang und vor allem die Idee der Messe-Präsentation einen riesigen Potenzialzuwachs erhalten. Das neue Konzept ersetzt z.B. die bisherigen mehrstündigen Vortragsreihen in der Aula der MSM und bietet, bei deutlich geringerem Ermüdungspotenzial, eine fragenfreundlichere Umgebung und eine weit individuellere Ausrichtung auf die Offizieranwärter. Die positiven Rückmeldungen bestätigen schließlich die Intention: Auch dieses Sondervorhaben ist ein voller Erfolg – und hat Begeisterung für den neuen Beruf geweckt.
Formalen Höhepunkt und würdigen Abschluss der Soldatischen Basisausbildung bildete schließlich am 13. August 2010 die Vereidigung der neuen Offizieranwärter. Zum 100sten Geburtstag der Schule hat man als Ehrengast und Festredner den Bundespräsidenten Christian Wulff gewinnen können. Über 2.000 weitere Angehörige und Besucher begleiten die festliche Veranstaltung, die durch perfektes Wetter und die im Hintergrund liegende GORCH FOCK gekrönt wird.
Im Anschluss an die Vereidigung trennen sich zunächst die Wege der Crew – ein Drittel beginnt die seemännische Ausbildung auf der GORCH FOCK (siehe hierzu Kasten unten), ein weiteres Drittel bekommt eine weitergehende infanteristische Ausbildung an der Marineunteroffizierschule und das letzte Drittel verbleibt an der Marineschule für die nautische Basisausbildung. Nur noch alle sechs Wochen werden sie sich kurz begegnen – immer dann, wenn die Drittel die Ausbildungsstätten durchtauschen.
Erst im Januar 2011 wird die Crew wieder vereint sein und den Hauptteil der Erstausbildung, den Offizierbasislehrgang mit Fach- und Führungsausbildung, absolvieren.
Fazit
Die Neukonzeption der Soldatischen Basis an der Marineschule Mürwik ist ein voller Erfolg. Durch starke Vereinfachung der Organisationsform in 2010 ist es gelungen, die Ausbildung mit deutlich geringerem personellen und materiellen Aufwand durchzuführen.
Mit dem gewählten langen Planungsvorlauf, in dem das durchführende Personal durchweg zur Verfügung stand, war eine sehr gute inhaltliche und planerische Vorbereitung der Soldatischen Basis möglich, auch wenn nur wenige Fachkräfte aus dem infanteristischen Bereich zur Verfügung standen.
Durch die Einbindung einiger neuer Elemente und Vorhaben ist es gelungen, die Offizieranwärter von Anfang an für ihren neuen Beruf und das maritime Umfeld zu begeistern. Bester Beweis: die »friedliche Besetzung« der Großen Ochseninsel, anstelle eines Truppenübungsplatzaufenthalts – hier wurde nicht nur Geld gespart, sondern auch vorhandene Mittel wie der Bootsfuhrpark noch sinnvoller genutzt und gleichzeitig das maritime Element in den Fokus genommen.
Die hier dargestellte erfolgreiche Lösung des eingangs skizzierten Ressourcenproblems, gemeinhin als »Münchhausenmethode« (sich ohne fremde Hilfe am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen) bekannt, war natürlich nicht zum Nullkostentarif zu bekommen. Sowohl die hohe Motivation des eingesetzten Personals als auch die Bereitschaft, auch an einer Landdienststelle auf einen Sommerurlaub zu verzichten, spielte eine ganz wesentliche Rolle, ohne die eine erfolgreiche Durchführung nicht möglich gewesen wäre.
Wie der Presseberichterstattung zu entnehmen war, setzten die Offizieranwärter (OA), zu denen die am 07.11.2010 bei einem Sturz aus der Takelage tödlich verunglückte Obermaat Sarah Lena Seele gehörte, ihre Ausbildungsreise auf dem Segelschulschiff nicht wie geplant fort.
Die OA traten den Rückflug von Salvador de Bahia (Brasilien) nach Deutschland an und setzten ihre Ausbildung an der Marineschule Mürwik in Flensburg fort.
Die vorzeitige Rückführung des dritten Törns der OA aus Salvador de Bahia erfolgte, da aufgrund der vor Ort durchgeführten Untersuchungen zum Unfall die Offizieranwärter das angestrebte Ausbildungsziel in der verbleibenden Zeit nicht mehr erreichen konnten. Somit hat diese Untersuchung naturgemäß auch einen sehr großen Einfluss auf alle weiteren Ausbildungsvorhaben hinsichtlich dieser Ausbildungsreise, welche bis Juni 2011 geplant war.
Der Hauptaspekt, die Ausbildung an Bord des Segelschulschiffes GORCH FOCK abzubrechen, ist auch, dass einige OA unter einem besonderen emotionalen Druck im Hinblick auf den tragischen Unglücksfall ihrer Crew-Kameradin vom 7. November 2010 stehen.
Es ist in dieser Situation nicht sichergestellt, dass die gesetzten Ausbildungsziele erreicht werden können. Die Fürsorge für die Soldatinnen und Soldaten an Bord hatte Vorrang.
Zum Autorenteam
Die Autoren im Team waren FKpt Axel Herbst (Kommandeur Lehrgruppe A), KptLt Carsten Schlüter (Koordinationsoffizier Soldatische Basis), KptLt Sebastian Giegerich und OLtzS Astrid Jung (beide HSL)