Piraterie — Update — Noch immer kein wirkliches Nachlassen der Aktivitäten von Piraten festzustellen

Obwohl allein im März und April etwa 50 so genan­nte „Pirate Action Groups“ (PAG) in See gestellt wur­den, ist noch immer kein wirk­lich­es Nach­lassen der Aktiv­itäten von Pirat­en festzustellen. Zum einen spielt dabei die unverän­dert sehr ruhige See eine Rolle; saisonbe­d­ingt dürfte das gute Wet­ter in der Region auch noch einige Wochen anhal­ten. Ein Grund ist sich­er aber auch die Tat­sache, dass die weitaus meis­ten Ver­brech­er nach ihrem Ergreifen sofort wieder auf freien Fuß geset­zt wer­den. Natür­lich wird ihre Aus­rüs­tung kon­fisziert, wer­den „überzäh­lige“ Boote zer­stört. Die Neuaus­rüs­tung an der heimis­chen Küste bere­it­et aber kein­er­lei Schwierigkeit­en. Da Pirat­en in See prak­tisch keine Risiken einge­hen und in ihren Hochbur­gen an Land (fast, s.u.) ungestört bleiben, sehen sie sich in ein­er „Win-Win“ Sit­u­a­tion, bei der ihnen trotz aller Kriegss­chiff­pa­trouillen immer wieder mal die Kape­rung eines Schiffes gelingt – und dies sog­ar im Golf von Aden. So wurde hier am 4. Mai ein klein­er jemeni­tis­ch­er Küsten­frachter ent­führt und unter die soma­lis­che Küste gesteuert. 

Da bei der erhöht­en Marinepräsenz und gesicherten Kon­vois die „Erfol­gsquote“ im Golf von Aden aber deut­lich rück­läu­fig ist, weichen zumin­d­est die größeren Piratenor­gan­i­sa­tio­nen zunehmend auf die nicht lück­en­los zu überwachen­den Seege­bi­ete des Ara­bis­chen Meeres und des offe­nen Indik (Soma­li­abeck­en) aus. Abseits von Marinepa­trouillen kon­nten sie am 8. Mai nach­mit­tags – etwa 120 sm südlich von Salalah (Oman) – den für eine deutsche Reed­erei fahren­den (Flagge: Mar­shal Islands) Chemikalien­tanker MARIDA MARGUERITE mit 22 Mann Besatzung (meist Inder) kapern. Das Schiff war auf dem Weg von Indi­en nach Bel­gien – und wird jet­zt in Rich­tung soma­lis­che Küste ges­teuert. Fast zur gle­ichen Zeit ent­führte eine andere Piraten­gruppe in der Region der Sey­chellen das tai­wane­sis­che Fis­chereis­chiff TAIYUAN 227 (26 Mann Besatzung). 

Im Ara­bis­chen Meer — 350 sm östlich von Soco­tra — war Pirat­en am 5. Mai auch der rus­sis­che Tanker MOSCOW UNIVERSITY in die Hände gefall­en. Das mit 86.000 t Rohöl beladene Schiff hat­te auf dem Weg vom Sudan nach Chi­na den „gefährlichen“ Golf von Aden bere­its passiert. Sofort nach bekan­nt wer­den des Über­falls nahm der im Golf von Aden einge­set­zte rus­sis­che Zer­stör­er MARSHAL SHAPOSHNIKOV Kurs auf den Tanker und kon­nte ihn auch am näch­sten Tag abfan­gen. Inzwis­chen stand fest, dass für die 23 Mann Besatzung keine Gefahr bestand. Sie hat­ten sich im offen­bar als „Pan­ic Room“ vor­bere­it­eten Rud­er­maschi­nen­raum ver­schanzt und über Funk ein Aufk­lärungs­flugzeug der EU Nav­For informiert, dass sie dort unan­greif­bar sich­er seien. Sofort nach Ein­tr­e­f­fen startete der rus­sis­che Zer­stör­er denn auch die Befreiung des Tankers. Von diesem wurde der anfliegende Bor­d­hub­schrauber zwar beschossen, aber die Lan­dung von Kom­man­dotrup­pen let­z­tendlich nicht ver­hin­dert. In „nur 22 Minuten“ war das kleine Gefecht been­det. Ein mut­maßlich­er Pirat wurde getötet, zehn weit­ere (teils ver­wun­det) gefan­gen genommen. 

Rus­sis­che Medi­en über­schlu­gen sich mit patri­o­tis­chen Erfol­gsmeldun­gen; Präsi­dent Med­wed­jew erk­lärte sofort, man werde die gefassten Ver­brech­er ihrer gerecht­en Strafe zuführen. Nie­mand zweifelte daran, dass die mut­maßlichen Pirat­en zur Strafver­fol­gung nach Rus­s­land gebracht wür­den (Angriff auf ein rus­sis­ches Schiff mit rus­sis­ch­er Besatzung, Befreiung durch ein rus­sis­ches Kriegss­chiff). Umso größer war die Über­raschung, als nur einen Tag später die Freilas­sung aller zehn Män­ner gemeldet wurde. Ein Sprech­er des rus­sis­chen Vertei­di­gungsmin­is­teri­ums erk­lärte, dass es derzeit lei­der kein­er­lei geset­zliche Hand­habe gebe, sie vor Gericht zu stellen; sie kön­nten wed­er unter nationalem noch unter inter­na­tionalem Recht angeklagt wer­den. Ein­er rus­sis­chen Tageszeitung zufolge sollen die gefassten Män­ner behauptet haben, sie seien selb­st nur Geiseln gewe­sen und von den eigentlichen Pirat­en zum Über­steigen auf den gekaperten Tanker gezwun­gen wor­den. Die wirk­lichen Pirat­en hät­ten bei Ein­tr­e­f­fen der MARSHAL SHAPOSHNIKOV das Weite gesucht. Zweifel an dieser Darstel­lung sind dur­chaus ange­bracht, aber die Beweis­lage ist offen­bar zu dürftig für einen Prozess mit Aus­sicht auf Erfolg. 

Rus­s­land dürfte den für sein nationales Selb­stver­ständ­nis pein­lichen Vor­fall sich­er nutzen, um die Ende April im UN Sicher­heit­srat zur Strafver­fol­gung und Inhaftierung mut­maßlich­er Pirat­en beschlossene Schaf­fung eines „regionalen oder inter­na­tionalen Gericht­shofes mit unmit­tel­bar angegliederten Gefäng­nis­sen“ zu beschle­u­ni­gen. Den­noch dürfte bis zur Umset­zung noch ger­aume Zeit (vielle­icht sog­ar Jahre) verge­hen. Unab­hängig von dieser Ini­tia­tive haben die Sey­chellen am 5. Mai die Ein­rich­tung eines „Region­al Cen­ter for Pros­e­cu­tion of Sus­pect­ed Pirates” angekündigt. Mit finanzieller Unter­stützung der Vere­in­ten Natio­nen will man hier dem Beispiel Kenias fol­gen. Unklar ist aber, wer und unter welchen Voraus­set­zun­gen hier gefasste mut­maßliche Pirat­en „abgeben“ kann. 

Weit­ere im Ver­lauf der Woche gemeldete ver­suchte Über­fälle scheit­erten. 200 sm nord­west­lich der Komoren kon­nte ein süd­ko­re­anis­ch­er Frachter am 5. Mai angreifende Piraten­boote aus­man­övri­eren. Dies gelang am gle­ichen Tag auch einem anderen Frachter im Golf von Aden. Hier wur­den die mut­maßlichen Täter anschließend sog­ar von ein­er griechis­chen Fre­gat­te gestellt, nach Beschlagnahme ihrer Aus­rüs­tung allerd­ings sofort wieder in Rich­tung soma­lis­che Küste ent­lassen. Einen Über­fall vere­it­elt haben will auch die iranis­che Marine. Staatlichen iranis­chen Medi­en zufolge sollen Pirat­en mit gle­ich 22 (!) Skiffs ver­sucht haben, im Golf von Aden einen Frachter zu entern. In ein­er „Schlacht mit der her­bei eilen­den iranis­chen Flotte“ seien sie abgewehrt wor­den und in oman­is­che Hoheits­gewäss­er geflo­hen. Die nach allen bish­eri­gen Erfahrun­gen mit Pirat­en (meist ein Mut­ter­boot mit zwei oder drei Skiffs) weit über­zo­ge­nen Zahlen mag man glauben oder nicht. Offen­bar wurde aber kein einziges Skiff zer­stört und auch kein einziger Pirat fest­ge­set­zt. Andere Quellen erwäh­nen den Zwis­chen­fall gar nicht. Einen weit­eren Kaper­ver­such hat die iranis­che Marine nach eige­nen Angaben am 8. Mai im östlichen Golf von Aden vere­it­elt. Esko­rtiert von iranis­chen Kriegss­chif­f­en sei der ange­grif­f­ene Frachter anschließend zu seinem Bes­tim­mung­shafen in Oman gefahren. 

Marineforum - TONNERRE bringt mutmaßliche Piraten auf
TONNERRE bringt mut­maßliche Pirat­en auf
Bildquelle: franz. Marine

Auch in dieser Woche wur­den wieder mehrere mut­maßliche PAG in See ent­deckt und vor­beu­gend aus dem Verkehr gezo­gen. Am 1. Mai fing der franzö­sis­che Hub­schrauberträger TONNERRE (derzeit als Schulschiff im Indik unter­wegs) 450 sm von der soma­lis­chen Küste ent­fer­nt eine PAG ab (Mut­ter­boot, zwei Skiffs, 11 mut­maßliche Pirat­en); einen Tag später war die franzö­sis­che Fre­gat­te LA FAYETTE zwis­chen Mogadishu und den Sey­chellen erfol­gre­ich (Mut­ter­boot, zwei Skiffs, 9 mut­maßliche Pirat­en); die US Fre­gat­te NICHOLAS stellte dichter unter der soma­lis­chen Küste ein mut­maßlich­es Mut­ter­boot (3 Män­ner). Am 4. Mai zog die griechis­che Fre­gat­te ELLI (geleit­et von einem japanis­chen Marine­hub­schrauber) im Golf von Aden ein mit sieben mut­maßlichen Pirat­en beset­ztes Skiff aus dem Verkehr. Am 5. Mai war 400 sm nord­west­lich der Sey­chellen erneut die LA FAYETTE erfol­gre­ich (Mut­ter­boot, zwei Skiffs, 12 mut­maßliche Pirat­en), am 7. Mai und eben­falls im Soma­li­abeck­en schließlich das nieder­ländis­che Dock­lan­dungss­chiff JOHAN DE WITT (Mut­ter­boot, zwei Skiffs, 11 mut­maßliche Piraten). 

In allen Fällen wur­den die mut­maßlichen Pirat­en zwar zunächst fest­ge­set­zt; ohne Beweise für eine bere­its began­gene spez­i­fis­che Straftat nach Beschlagnahme von Aus­rüs­tung und „überzäh­li­gen“ Booten dürften sie aber durch­weg schnell wieder frei gelassen wor­den sein – und schon in weni­gen Tagen mit neuen Skiffs und Waf­fen wieder auf Kaper­fahrt gehen. 

Am 26. April hat­ten Medi­en von einem Vor­marsch islamistis­ch­er Al Shabaab Milizen auf die Piraten­hochburg Harad­here und von dort aus weit­er in Rich­tung Hobyo berichtet. Inzwis­chen ist klar, dass es nicht Al Shabaab war, son­dern die gle­ich­falls islamistis­che Hizbul Islam Miliz. Den Pirat­en wird’s egal sein. Sie wer­den von bei­den Organ­i­sa­tio­nen gle­icher­maßen bedro­ht („Pira­terie ist nicht mit dem Koran vere­in­bar“) und haben denn auch Harad­here aufgegeben. Der kleine Ort ist jet­zt unter Kon­trolle der Hizbul Islam; zum Schick­sal der zuvor dort vor Anker gemelde­ten gekaperten Schiffe gibt es keine Infor­ma­tio­nen. Unklar ist, wie es nun weit­er geht. Zwar hat die Hizbul Islam erk­lärt, sie werde die Pirat­en an der ostafrikanis­chen Küste aus­rot­ten und alle gefan­genen Schiffe befreien; vor einem Vor­marsch auf andere Piraten­hochbur­gen müsse sich aber zunächst die Lage in Harad­here sta­bil­isieren. Let­zteres dürfte prob­lema­tisch wer­den. Der Ort gehört näm­lich zum erk­lärten „Zuständigkeits­ge­bi­et“ der Al Shabaab, und die bei­den islamistis­chen Milizen sind alles andere als befre­un­det. Vielle­icht sind ja die aus sicher­er Dis­tanz die weit­ere Entwick­lung abwartenden Pirat­en let­z­tendlich „lachende Dritte“. 

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