Die gute Nachricht zuerst: in der abgelaufenen Woche gelang somalischen Piraten keine neue Kaperung. Ein wirkliches Nachlassen der Überfälle ist aber vorerst nicht festzustellen. Allein am 25. April versuchten Piraten es gleich vier mal. Weit östlich von Socotra, mitten im Arabischen Meer, wurde zunächst ein voll beladener japanischer Supertanker und kurz danach (möglicherweise von den selben Piraten) ein malaysischer Chemikalientanker angegriffen. Im westlichen Teil des Golfs von Aden versuchten Piraten derweil, einen indischen Frachter und einen jemenitischen Chemikalientanker in ihre Gewalt zu bringen. Alle vier Überfälle scheiterten an Ausweichmanövern, Fahrterhöhung und anderen bordeigenen Abwehrmaßnahmen der angegriffenen — und dabei auch mit Panzerfäusten und Handwaffen beschossenen — Schiffe.
Erneut wurden mehrere Piratengruppen „vorbeugend neutralisiert“. So stieß der französische Hubschrauberträger TONNERRE (derzeit als Schulschiff im Indik unterwegs, hat sich vorübergehend der EU NavFor angeschlossen) am 24. April auf eine mutmaßliche „Pirate Attack Group“ (PAG). Piratenausrüstung wurde beschlagnahmt, zwei Skiffs zerstört. Die zehn mutmaßlichen Piraten durften anschließend mit ihrem Mutterboot nach Somalia zurück kehren; ihnen war ja kein bereits begangenes, spezifisches Verbrechen nachzuweisen. Nicht ganz so „zimperlich“ war man offenbar auf der Fregatte NIVOSE (EU NavFor), die am 29. April mitten im Somaliabecken eine PAG stellte. Auch hier wurden Ausrüstung beschlagnahmt und Boote versenkt; die insgesamt elf mutmaßlichen Piraten blieben allerdings an Bord in Gewahrsam. Sie werden vermutlich in Puntland an Land gesetzt, wo örtliche Behörden sie in der Regel sofort festnehmen und für längere Zeit aus dem Verkehr ziehen. In einer gemeinsamen Operation vom US Zerstörer COLE und der britischen Fregatte CHATHAM (NATO) im Somaliabecken aufgebrachte Piraten wurden an Bord des britischen Schiffes festgesetzt, nachdem ihr Skiff zerstört worden war. Am 27. April übergab die CHATHAM überdies sechs mutmaßliche Piraten in Mombasa an die kenianischen Behörden (die damit nach kurzer Pause offenbar wieder Piraten zur Strafverfolgung „aufnehmen“).
Mehr Glück hatte eine mutmaßliche PAG, die am 25. April von der spanischen Fregatte VICTORIA aufgebracht wurde. Ihr Mutterboot und ein Skiff wurden zwar versenkt, die insgesamt acht Männer aber nur kurzzeitig festgesetzt und dann mit dem verbliebenen Skiff in Richtung somalische Küste entlassen.
Landungsboot der JOHAN DE WITT mit Piratenmutterboot Bildquelle: EU NavFor |
An die Küste zurück kehren durfte auch eine am 24. April vom niederländischen Docklandungsschiff JOHAN DE WITT aufgebrachte PAG. Die mutmaßlichen Piraten hatten sich von ihrem Stützpunkt gerade auf den Weg ins „Einsatzgebiet“ gemacht, als sie auch schon von einem kleinen Landungsboot der JOHAN DE WITT gestellt wurden. Boot und Ausrüstung wurden konfisziert und die Männer dann an Land gesetzt. Dies war bereits die zweite PAG, die binnen weniger Tagen von der JOHAN DE WITT aus dem Verkehr gezogen wurde. Ihre mitgeführten Landungsboote patrouillieren direkt vor zuvor aus der Luft aufgeklärten Piratenstützpunkten und sind dabei bemüht, alle von dort in See stechenden Boote abzufangen und zu durchsuchen. Hubschrauber geben bei Bedarf Unterstützung.
Die diversen Vorfälle verdeutlichen einmal mehr das Fehlen einheitlicher Rechtsnormen bei der Behandlung von in internationalen Gewässern angetroffenen mutmaßlichen Piraten. Noch immer bestimmen nationale Gesetze den Umgang mit Piraten, und je nachdem von welchem Kriegsschiff welcher Nation die mutmaßlichen Verbrecher gestellt werden, müssen sie mit Festnahme und Übergabe zur Strafverfolgung rechnen oder dürfen völlig unbehelligt ihres Weges ziehen. Dies ist als unhaltbarer Zustand erkannt, und zunehmend bemüht sich die internationale Gemeinschaft denn auch um Schaffung von abgestimmten, Rechtssicherheit gebenden Rahmenbedingungen und einheitlichen Verfahren. Am 27. April verabschiedete der UN Sicherheitsrat einstimmig einen von Russland erarbeiteten Resolutionsentwurf zur Schaffung eines „regionalen oder internationalen Gerichtshofes mit unmittelbar angegliederten Gefängnissen“ zur Inhaftierung und Strafverfolgung von mutmaßlichen Piraten. In drei Monaten soll der UN Generalsekretär dazu Optionen erarbeiten und vorstellen. Bis zur realen Umsetzung dürfte jedoch noch geraume Zeit vergehen.
Grundsätzliches Ziel ist Strafverfolgung in der Region, aber dazu müssen die regionalen Staaten durch Ausbau ihrer Justizinfrastruktur oft erst einmal in die Lage versetzt werden. Am 24. April haben zehn Nationen insgesamt 2,1 Mio. US-Dollar für mehrere Vorhaben auf den Seychellen aber auch in den somalischen Provinzen Puntland und Somaliland bewilligt. Mit den Geldern sollen Gerichte und Gefängnisse gebaut sowie Gehälter für zusätzliche Richter, Staatsanwälte und Polizei bezahlt werden. Weit wird man mit dieser doch recht kläglichen Summe — entspricht ungefähr einem durchschnittlichen Lösegeld für ein gekapertes Schiff – wohl nicht kommen. Im Mai will die EU „Außenministerin“ Catherine Ashton mehrere regionale Staaten besuchen, um in persönlichen Gesprächen die Bereitschaft zur Strafverfolgung von durch europäische Kriegsschiffe festgesetzten mutmaßlichen Piraten zu erhöhen.
Auch der Europarat hat einen neuen Ansatz zur Bekämpfung der Piraterie unterbreitet; dieser dürfte allerdings eher „untauglicher Natur“ sein. Am 29. April schlug das EU Gremium vor, die Piraten doch einfach durch ein gesetzliches Verbot der Zahlung von Lösegeld finanziell auszutrocknen. Zu internationaler Rechtsverbindlichkeit einer solchen Bestimmung, vor allem aber zu Möglichkeiten sie auch durchzusetzen, schwieg man sich allerdings aus. Tatsächlich sind Lösegeldzahlungen (illegale Geldtransfers) in den meisten Ländern der Region schon jetzt strafbar, ohne dass sich dies in der Praxis bisher merkbar ausgewirkt hat; nur gelegentlich gibt es Verzögerungen. Die Piraten werden den Vorstoß des Europarates denn auch gelassen zur Kenntnis nehme.
Kopfschmerzen dürfte ihnen aber eine andere Entwicklung bereiten. Am 26. April berichteten Medien von einem Vormarsch islamistischer Al Shabaab Milizen auf die Piratenhochburg Haradhere und von dort aus weiter in Richtung Hobyo. Die Islamisten betrachten Piraterie als nicht mit dem Koran vereinbar und stellen für die Piraten tatsächlich eine erhebliche Gefahr dar; einige Piraten sollen denn auch bereits auf der Flucht sein. So positiv dies zunächst klingen mag, hat die mögliche Vertreibung der Piraten durch die Al Shabaab doch einen „Pferdefuß“: die islamistische Miliz hat Verbindungen zur Terrororganisation Al Kaida, und man kann durchaus darüber diskutieren, ob an der somalischen Küste nun Piraten oder Al Shabaab das größere Übel sind.
Aktuelle Entwicklungen bei Einsatzkräften
Soldat eines VPD Bildquelle: EU NavFor |
Die spanische Marine überlegt, zur Erweiterung des Aufklärungshorizontes bei der Überwachung der ausgedehnten Seegebiete des Somaliabeckens sowie zur Aufklärung von Piratenstützpunkten an der somalischen Küste von Bord der eingesetzten Kriegsschiffe vermehrt unbemannte Aufklärungsdrohnen einzusetzen.
Ein auf dem niederländischen Docklandungsschiff JOHAN DE WITT eingeschifftes maltesisches Sicherheitsteam hat seine Arbeit aufgenommen. In einem ersten Einsatz gingen mehrere Soldaten am 29. April als Vessel Protection Detachment (VPD) an Bord eines Frachtschiffes, das Hilfsgüter des World Food Programme der Vereinten Nationen von Boosaaso nach Berbera bringen soll.
Die Verteidigungsminister der EU Staaten haben am 25. April die Verlängerung der Operation Atalanta über das Jahresende 2010 hinaus vereinbart. Zwei Tage zuvor hatte das niederländische Kabinett bereits beschlossen, die Anti-Piraterie Operationen von NATO und EU bis mindestens April 2011 zu unterstützen. Von Juli 2010 bis April 2011 sollen nacheinander die Fregatten DE ZEVEN PROVENCIEN, DE RUYTER und TROMP im Rahmen der NATO Operation Ocean Shield zum Einsatz kommen. Von September bis November dieses Jahres soll der Versorger AMSTERDAM die EU NavFor unterstützen.
Für eine ganze Reihe von Kriegs- und Hilfsschiffen ist in der abgelaufenen Woche mit Einlaufen in die jeweiligen Heimathäfen der Anti-Piraterie-Einsatz zu Ende gegangen. Die türkische Fregatte GEMLIK kehrte am 24. April nach Aksaz zurück, der italienische Versorger ETNA lief in Tarent ein. Der russische Bergeschlepper SB-36 (GORYN-Klasse) ist nach 180 Einsatztagen zurück in Sevastopol; Zerstörer ADMIRAL CHABANENKO erreichte am 29. April seinen Heimathafen Severomorsk. Die niederländische Fregatte TROMP wurde am 30. April im Heimathafen Den Helder begrüßt.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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