NATO und Türkei — Eine schwierige Partnerschaft in bewegter Zeit

Dieser Artikel wird mit fre­undlich­er Genehmi­gung der „Marine­Fo­rum – Zeitschrift für mar­itime Fra­gen“ veröf­fentlicht.

MarineforumHeinz Dieter Jopp

Nach dem gescheit­erten Mil­itär­putsch in der Türkei vom 15. Juli 2016 ist das Land unter Aus­nah­mege­set­zen weit­er­hin auf seinem Weg zu ein­er Autokratie. Trotz bish­er gut funk­tion­ieren­dem Geheim­di­enst hat es die Regierung bis heute nicht geschafft, einen Rädels­führer aus den Rei­hen der Mil­itärs zu benen­nen. Die Schuldzuweisun­gen verbleiben im Unge­fähren, beim West­en und dem in den USA leben­den ehe­ma­li­gen Wegge­fährten Recep Tayyip Erdo­gans, Fethul­lah Gülen. Bish­er schon auf der Strecke geblieben sind Mei­n­ungs­frei­heit, Presse­frei­heit, Rechtsstaatlichkeit als wichtig­ste Pfeil­er der Demokratie.

Aber während sich in der EU einige Kraft­meier zu Wort melden, die die Türken wieder vor Wien wäh­nen, bleibt es sowohl in den USA als auch in Europa recht still über die Frage der kün­fti­gen Part­ner­schaft im Vertei­di­gungs­bünd­nis NATO. Dabei hat Erdo­gan mehr als 40 Prozent der Gen­erale und Admi­rale ihres Dien­st­postens enthoben und einsper­ren lassen, müssen viele Dien­st­posten in der NATO mit türkischen Offizieren neu beset­zt werden.

Die Ereignisse in der Türkei (seit 2013) soll­ten allerd­ings auch im his­torischen Kon­text mit­be­tra­chtet wer­den. Vor hun­dert Jahren und mit­ten im Ersten Weltkrieg trafen sich Briten und Fran­zosen in geheimer Mis­sion, um das Fell des Bären – hier des unterge­hen­den Osman­is­chen Reich­es – nach ihrem Gut­dünken aufzuteilen. Das Sykes-Picot Abkom­men von 1916 formte aus jew­eils drei Prov­inzen des Osman­is­chen Reich­es zwei neue Staat­en, Syrien und Irak und ver­leibte sie ihren Inter­essen­sphären ein. Im Ver­trag von Sèvres wurde dies 1920 zwis­chen der Entente und dem Osman­is­chen Reich förm­lich besiegelt. Die Türkei wurde unter Kemal Atatürk in einem radikalen Umbau der bish­eri­gen Gesellschaft ein säku­lar­er Staat, der nach dem Zweit­en Weltkrieg mit seinem Beitritt zur NATO entschei­dend zur Sicherung der NATO-Süd-Flanke beitrug.

Seit ihrem Beitritt 1952 zur NATO haben die Bürg­er in der Türkei vier erfol­gre­iche Mil­itär­putsche erlebt, ohne dass diese dem Land zu mehr Sta­bil­ität, Demokratie und wirtschaftlichem Woh­lerge­hen ver­halfen. In diese Zeit fiel auch ein miss­glück­ter Putsch der griechis­chen Mil­itär­regierung auf Zypern 1974, der Aus­lös­er der bis heute anhal­tenden Teilung auf Zypern war. Erst unter ein­er demokratisch gewählten Regierung Erdo­gan erlebte die Türkei eine Zurück­drän­gung des türkischen Mil­itärs aus der Poli­tik und in der Folge einen Wirtschafts­boom, der allerd­ings schon vor dem Putschver­such im Juli 2016 zum Erliegen kam. Die Gründe hier­für sind vielfältiger Natur. Aber in dieser ganzen Zeit wurde die Ver­ankerung in der NATO nie grund­sät­zlich angezweifelt, son­dern war Garant für die Ein­bindung der Türkei in den West­en als Boll­w­erk gegen die Sowjetunion/Russland.

Heute ist die Ord­nung von 1916 endgültig zer­brochen, konkur­ri­eren Iran, Sau­di- Ara­bi­en und die Türkei um kün­ftige regionale Vorherrschaft, bee­in­flusst von einem Rus­s­land, das seinen Groß­mach­tanspruch in der Region wieder zur Gel­tung brin­gen will. Mil­itär­op­er­a­tio­nen Rus­s­lands aus dem Kaspis­chen Meer oder auch von Flug­plätzen im Iran dürften dabei eher tak­tis­ch­er Natur bleiben, solange die NATO mit Hil­fe des Bünd­nis­part­ners Türkei den Aus­gang aus dem Schwarzen Meer für die rus­sis­che Marine kon­trol­lieren und begren­zen kann. Der Umbau der Medi­en, Parteien und der Jus­tiz im Sinne Erdo­gans, ohne dessen langfristige Ziele erken­nen zu kön­nen, macht die Lage noch undurch­sichtiger. Und der Bürg­erkrieg in Syrien ist inzwis­chen zu einem Stel­lvertreter-Krieg gewor­den, wie er vielfach in der Zeit des Kalten Krieges an anderen Stellen stattfand.

Hat Erdo­gan eine Strate­gie? Will er nun mit neuer Macht­fülle den radikalen Umbau der Türkei und damit die erträumte Regional­macht schaf­fen, in der die Türkei auf­grund wirtschaftlich­er und mil­itärisch­er Stärke die Geschicke selb­st bes­tim­men kann? Hoher Wehrpflich­tan­teil, teil­weise ver­al­tete Waf­fen­sys­teme und ver­al­tete Ein­satzkonzepte (keine Joint­ness) sprechen derzeit eher dagegen.

Will Erdo­gan ein Bünd­nis mit Rus­s­land und gegen den West­en einge­hen? Das Einzige, was Rus­s­land ein­brin­gen kann, ist die Bere­itschaft seines Präsi­den­ten, poli­tisch unter Andro­hung des Ein­satzes mil­itärisch­er Mit­tel hoch zu pok­ern. Die des­o­late Wirtschaft, Abhängigkeit vom Ölwelt­markt und anhal­tende Sank­tio­nen des West­ens engen Rus­s­land stark ein.

Damit kommt als dritte Option nur der Verbleib in der NATO in Frage. Dies erfordert in der jet­zi­gen Sit­u­a­tion allerd­ings ein Zuge­hen der Bünd­nis­part­ner auf die Türkei, um über eine Sta­bil­isierung im Innern den weit­eren Schutz der nassen (!) NATO-Süd­flanke für das Bünd­nis ein­schließlich der See­verbindungswege in den indis­chen und asi­atis­chen Raum auch kün­ftig zu sich­ern. Der Besuch des US-Vizepräsi­dent Joe Biden im August kon­nte die erforder­liche Weichen­stel­lung nicht begün­sti­gen. Vielmehr nutzte die Türkei amerikanis­che Rück­endeck­ung zur fast auss­chließlichen Bekämp­fung der Kur­den im Nor­den Syriens, die bish­er mit US-Unter­stützung sehr erfol­gre­ich den IS bekämpft hat­ten. Damit hat ein weit­er­er Staat mil­itärisch in Syrien einge­grif­f­en und erschw­ert poli­tis­che Lösungsver­suche. Daran änderte auch der Waf­fen­still­stand vom 12. Sep­tem­ber nichts.