Kanada — „Ready aye Ready” — Die Kanadische Marine

Umdenken set­zt allerd­ings schon drei Jahre zuvor ein, als der Lib­erale Paul Mar­tin seinen Parteifre­und Chré­tien im Novem­ber 2003 an der Regierungsspitze ablöst. Schon 2004 bringt er die von Chré­tien einge­frorene Erneuerung der Bor­d­hub­schrauber auf den Weg. Neue CH-148 Cyclone sollen ab 2008 die alten Sea King erset­zen. US-Her­steller Siko­rsky hat allerd­ings mit der Erfül­lung der tech­nis­chen-tak­tis­chen Forderun­gen erhe­bliche Prob­leme und kann bis heute – nun schon vier Jahre hin­ter dem Zeit­plan – keinen ein­satzk­laren Hub­schrauber liefern. 

Aus dem verän­derten sicher­heit­spoli­tis­chen Umfeld (nicht zulet­zt nach den Ter­ro­ran­schlä­gen vom 11. Sep­tem­ber 2001) resul­tieren nun endlich auch neue, im April 2005 verkün­dete Vor­gaben zur Vertei­di­gungspoli­tik. Kana­da will sich auch kün­ftig mit seinen Stre­itkräften glob­al in der Krisen­be­wäl­ti­gung engagieren, aber daneben erhält nun auch die Vertei­di­gung der ter­ri­to­ri­alen Integrität des eige­nen Lan­des Pri­or­ität. Die Parole lautet nun „Cana­da First!“ 

Zur Begrün­dung heißt es, die Bedro­hung habe sich grundle­gend gewan­delt. Sie sei nicht mehr qual­i­fizier­bar oder quan­tifizier­bar, nicht mehr struk­turi­ert, son­dern asym­metrisch; man habe es immer weniger mit reg­ulären Stre­itkräften zu tun, son­dern zunehmend mit paramil­itärischen Grup­pen und Ter­ror­is­ten. Let­ztere kön­nten jed­erzeit auch in Kana­da zuschlagen. 

Zum Zweit­en habe sich die Bedeu­tung der Ark­tis für Kana­da deut­lich erhöht. Zwar gebe es hier nach wie vor keine rel­e­vante mil­itärische Bedro­hung, aber dort lagernde Rohstoffe erhiel­ten zunehmend strate­gis­che Bedeu­tung. Auch lasse die glob­ale Erwär­mung erwarten, dass der Seeweg durch die Nord­west-Pas­sage immer bess­er befahrbar werde. Dies erhöhe zum einen die Anforderun­gen an den ark­tis­chen SAR-Dienst, zum anderen aber gelte es hier nun auch weitaus mehr als zuvor, Kanadas Sou­veränität zu vertei­di­gen. Vertei­di­gungsmin­is­ter Gra­ham: „Erst­mals müssen wir Kana­da als Oper­a­tions­ge­bi­et betrachten.“ 

Dies ist kein bloßes Lip­pen­beken­nt­nis. Erst­mals seit gut 30 Jahren laufen 2005 Ein­heit­en der kanadis­chen Marine wieder das ark­tis­che Churchill an, und eine Fre­gat­te wird in die Ark­tis entsandt, um dort durch demon­stra­tive Präsenz ter­ri­to­ri­ale Ansprüche zu unter­mauern. 2007 begin­nen in der Ark­tis jährliche „Sou­veränitäts-Übun­gen“ der Nanook-Serie. 

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Fre­gat­te MONTREAL in der Ark­tis (Foto: RCN

Mit „Cana­da First!“ ver­bun­den ist auch die Schaf­fung neuer, nach oper­a­tiv­en Aspek­ten opti­miert­er und TSK-gemein­samer Führungsstruk­turen mit dem Chief of Defence Staff (auf der strate­gis­chen Ebene) als Befehlshaber. Auf der oper­a­tiv­en Ebene wer­den vier neue Führungskom­man­dos gebildet: Cana­da Com­mand (Lan­desvertei­di­gung), Cana­di­an Expe­di­tionary Forces Com­mand (Inter­na­tionale Oper­a­tio­nen), Cana­di­an Spe­cial Forces Com­mand (Spezialkräfte) und das Cana­di­an Oper­a­tional Sup­port Com­mand (Logis­tik).

Eine erste Pla­nung sieht als Kern eines Krisen­reak­tionsver­ban­des noch einen Hubschrauberträger/Docklandungsschiff vor. Hier set­zt aber schnell Ernüchterung ein. Nach mehr als einem Jahrzehnt unzure­ichen­der Bud­gets gibt es zu viele „Baustellen“, und der Umbau der Stre­itkräfte kann nicht bin­nen weniger Jahre finanziert wer­den. Man muss Pri­or­itäten set­zen. So wird die Beschaf­fung des amphibis­chen Großschiffes erst ein­mal auf Eis gelegt. Ohne­hin wird die eigentlich schon bis 2010 abzuschließende Trans­for­ma­tion sich­er noch bis 2015 brauchen. 

Von eher sym­bol­is­chem Wert, aber doch wesentlich für das Selb­st­wert­ge­fühl der Marine, ist eine Maß­nahme aus dem Som­mer 2011. Am 16. August 2011 verkün­det die kon­ser­v­a­tive Regierung, dass die Marine ihr ungeliebtes Dasein als „Mar­itime Com­mand“ been­det und zur tra­di­tion­sre­ichen offiziellen Beze­ich­nung „Roy­al Cana­di­an Navy“ zurück­kehrt. Nicht nur Monar­chis­ten begrüßen dies, gibt es doch der Marine inner­halb der unverän­derten TSK-gemein­samen Struk­turen wieder eine eigene „Iden­tität“.

Die oper­a­tive Struk­tur der Marine bleibt mit MARLANT und MARPAC erhal­ten (auch wenn es inzwis­chen Über­legun­gen gibt, bei­de aus Kosten­grün­den in einem Führungskom­man­do zusam­men­z­u­fassen). Bei­de unter­hal­ten je eine Task Group für Ein­sätze sowie eine für Küsten­schutz, Aus­bil­dung und Erprobun­gen zuständi­ge Mar­itime Oper­a­tions Group. 

Flot­ten­erneuerung – und nun auch wieder „königlich“

Unter Pre­mier­min­is­ter Harp­er begin­nt 2008 für zehn der Seefer­naufk­lär­er CP-140 Auro­ra ein „Ser­vice Life Exten­sion Pro­gram“, und im Juni 2010 bringt die Regierung dann auch die Erneuerung der Flotte auf den Weg. Zunächst ein­mal erhal­ten alle 12 Fre­gat­ten der HAL­I­FAX-Klasse (bis 2018) ein „Mid-Life Refit“; neue Com­mand & Con­trol-Ein­rich­tun­gen sollen ihre Führungs­fähigkeit in TSK-gemein­samen Oper­a­tio­nen deut­lich erweit­ern. Daneben sollen nun aber in ein­er für 20 bis 30 Jahre angelegten und ins­ge­samt mehr als 25 Mrd. Euro teuren „Nation­al Ship­build­ing Pro­cure­ment Strat­e­gy“ auch zahlre­iche Neubaut­en beschafft wer­den. Mit Blick auf heimis­che Werften gibt es rein nationale Auss­chrei­bun­gen, deren Ergeb­nis die Regierung im Okto­ber 2011 verkündet. 

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AOPS (Grafik: NDHQ)

Die Hauptvorhaben wer­den in zwei „Pakete“ eingeteilt, für die jew­eils eine kanadis­che Werft als Haup­tauf­trag­nehmer zuständig ist, die nun aber auch aus­ländis­che Sub­un­ternehmer ein­binden darf. Irv­ing Ship­yards (Hal­i­fax) erhält den Zuschlag für das „Com­bat Pack­age“, in dessen Rah­men neue Kampf­schiffe beschafft wer­den. Pri­or­ität haben sechs eisver­stärk­te Arc­tic Ocean Patrol Ships (AOPS). Aus­ges­tat­tet mit einem Hub­schrauber, sollen sie ganzjährig die Zufahrten zur Nord­west­pas­sage patrouil­lieren, im Som­mer auch in der Wasser­straße selb­st präsent sein. 

Ab etwa 2016 soll Irv­ing dann auch 15 neue Kampf­schiffe (Sin­gle Class Sur­face Com­bat­ant, SCSC) bauen, die zunächst ältere Zer­stör­er der TRIB­AL-Klasse, langfristig dann auch die Fre­gat­ten der HAL­I­FAX-Klasse ersetzen. 

An der Paz­i­fikküste wird Sea­span Ship­build­ing (Vic­to­ria und Van­cou­ver) Haup­tauf­trag­nehmer für das „Non-Com­bat Pack­age“. Sea­span soll einen Eis­brech­er und mehrere Küstenwach-/Fis­chereis­chutzschiffe, vor allem aber auch seit Jahren geplante und immer wieder ver­schobene Joint Sup­port Ships (JSS) bauen. Als zen­trales Ele­ment glob­aler Krisen­reak­tions­fähigkeit sollen sie die 40-jähri­gen PRESERVER und PROTECTEUR als Ver­sorg­er für Kampf­schiffe in See ablösen, daneben vor allem aber auch als schwim­mendes Joint & Com­bined Task Force HQ an Land operierende Trup­pen unterstützen/führen sowie Auf­gaben im strate­gis­chen See­trans­port wahrnehmen. Statt der gewün­scht­en drei Schiffe muss sich die RCN (zumin­d­est vor­erst) mit zwei beg­nü­gen. Die Design­vor­lage für die 200-m-Schiffe (28.000 ts) mit Flugdeck für Trans­porthub­schrauber, kurzfristig ein­rüst­barem 60-Bet­ten- Hos­pi­tal und (begren­zten) Fähigkeit­en zu Oper­a­tio­nen in ark­tis­chen Gewässern soll der deutsche Ein­satz­grup­pen­ver­sorg­er BERLIN liefern. 

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Foto: RCN

Dieser Artikel wird mit fre­undlich­er Genehmi­gung der “Marine­Fo­rum — Zeitschrift für mar­itime Fra­gen” veröf­fentlicht.

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