Aufgrund der sich verändernden Umweltbedingungen in der Arktis sieht sich die kanadische Marine (Royal Canadian Navy – RCN) veranlasst, ihre Kräftepräsenz in den nördlichen Territorialgewässern zu verstärken. Zu diesem Zweck wird eine neue, für arktische Gewässer optimierte Offshore-Schiffsklasse (Arctic/Offshore Patrol Vessel — AOPV) eingeführt. Nach dem Typschiff werden die neuen Schiffe auch als HARRY DEWOLF-Klasse bezeichnet.
Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung der „MarineForum – Zeitschrift für maritime Fragen“ veröffentlicht.
Der Beschaffungsauftrag wurde 2015 an die kanadische Firma Irving Shipbuilding in Halifax vergeben. Aus Kostengründen wurde die ursprünglich geplante Beschaffungsgröße von acht auf fünf Einheiten reduziert. Der Vertrag umfasst allerdings auch die Option auf ein sechstes Schiff; die Option soll wahrgenommen werden, falls die ersten fünf Einheiten ohne Kostenüberschüsse ausgeliefert werden. Der Vertrag hat einen Gesamtwert von 4,3 Milliarden kanadische Dollar. Der reine Beschaffungsanteil liegt bei 2,3 Milliarden Dollar. Die verbleibende Summe ist für die Wartung der Schiffe über einen 25-jährigen Zeitraum vorgesehen. Angesichts der belastenden Einsatzbedingungen in der Arktis geht die RCN davon aus, dass die Einheiten nach 25 Jahren ausgemustert werden müssen.
Mehr als 200 zumeist kanadische Zulieferer sind am AOPV-Programm beteiligt. Die Schiffe werden auf der Halifax-Werft aus 62 Hauptmodulen zusammengesetzt; als Zwischenschritt entstehen Heck‑, Mitschiffs- und Bugbereich als sogenannte „Megamodule“.
Die Kiellegung des Typschiffs HMCS „Harry DeWolf“ (AOPV 430) erfolgte im Juni 2016. Die Auslieferung ist für Mitte 2018 vorgesehen. Jährlich sollen zwei Einheiten fertiggestellt werden. Selbst bei Ausübung der Option auf ein sechstes Schiff soll das gesamte Beschaffungsprogramm bis Ende 2020 abgeschlossen werden. Die erste vollwertige Einsatzfahrt des Typschiffs soll voraussichtlich 2021 erfolgen.
„Svalbard“ als Vorlage
Die von der Firma Irving zwischen 2012 und 2015 entworfenen kanadischen AOPV sind eng an das norwegische Küstenwachtschiff KV „Svalbard“ angelehnt. Die Ausmaße stimmen fast hundertprozentig mit der SVALBARD- Klasse überein: 103 Meter lang, 19 Meter breit, mit 5,7 Meter Tiefgang und 6.440 Tonnen Verdrängung. AOPV-Einheiten erreichen in offenen Gewässern 17 Knoten Fahrt und können bei durchschnittlich 14 Knoten Fahrt 6.800 Seemeilen zurücklegen. Sie bewältigen eine Ein-Meter dicke Eisdecke bei drei Knoten Fahrt. Einzelne Schiffe sollen bis zu vier Monate lang unabhängig in arktischen Gewässern fahren können.
AOPV sind für Vielseitigkeit und Flexibilität ausgerichtet. Ein am Heck befindlicher Deckkran kann Lasten von bis zu 20 Tonnen an Bord heben oder aussetzen. Diese Unabhängigkeit von Hafeninfrastruktur ist in der Arktis unerlässlich. Der Kran erlaubt nicht nur den Lastenaustausch an einem Landungssteg, sondern auch die Beladung eines längsseits liegenden Bootes oder das Aussetzen von Ausrüstung auf dem Eis beziehungsweise ins Wasser.
Der primäre Nutzlastraum befindet sich hinter dem Hecküberhang. Zur potenziellen Nutzlast zählen bis zu sechs 20-Fuß ISO-Container, Unterwasserdrohnen, ein 12-Meter Landungsboot oder drei kleinere Boote sowie Ausrüstung der Landstreitkräfte. Ein separates internes Fahrzeugdeck nimmt Geländefahrzeuge, Kleinlaster sowie Motorschlitten auf. Hinzu kommen vier ständig extern geführte Schnellboote (8,5 Meter, 35 Knoten). Diese Backbord wie Steuerbord eingehängten Mehrzweckboote sind für Rettungseinsätze, Boardingeinsätze und für den allgemeinen Personentransport vorgesehen. Im Hangar auf dem Achterdeck kann ein Bordhubschrauber vom Typ CH-148 (Sikorsky S‑92) untergebracht werden. Der Mehrzweckhubschrauber lässt sich für Seeraumüberwachung, Such- und Rettungseinsätze und allgemeine Transportaufgaben verwenden. Zur UBoot-Bekämpfung führt der Helikopter zwei Torpedos. Abhängig von den jeweiligen Einsatzparametern kann auch ein kleinerer Hubschrauber mitgeführt werden.
Einige Merkmale der Schiffsarchitektur sind speziell auf das arktische Einsatzumfeld ausgerichtet. So ist das Vordeck verdeckt, um Ausrüstung und Personal vor extremen Witterungsbedingungen zu schützen. Die seitlichen Flossenstabilisatoren lassen sich einziehen, um Schäden durch Eis zu vermeiden. Ein Bugstrahlruder erleichtert das Manövrieren in engen Fahrrinnen sowie das Andocken ohne externe Hilfe.
Zur elektronischen Ausstattung gehören ein AESA-Radarsystem (Active Electronically Scanned Array); ein MESA 4D Radarsystem (Multirole Electronically Scanned Array) sowie ein Navigationssystem der französischen Firma SAGEM. Das dieselelektrische Antriebssystem besteht aus zwei 4,5 Megawatt Dieselmotoren, vier 3,6 MW Generatoren sowie zwei Antriebswellen und Schiffsschrauben. Sämtliche Schiffssysteme – einschließlich Antrieb und Schadensbekämpfung – können von der integrierten Brücke aus überwacht und geführt werden. Dies ermöglicht die Führung des Schiffes mit einer Standardbesatzung von 65 Personen. Unterbringungsmöglichkeiten bestehen für weitere 22 Personen. Hinter der Brücke befindet sich ein Mehrzweckraum, der als Einsatzplanungs- und ‑führungszentrale dienen soll. Die Lagebildübertragung an landgestützte Einsatzzentralen erfolgt über Satellitenverbindung (Link 16) in Echtzeit.
Hoheitliche Aufgaben (Constabulary Service)
Als schwerste Bordwaffe wird ein BAE Systems 25-mm-Maschinengeschütz auf dem Vordeck mitgeführt. Hinzu kommen zwei M2 Maschinengewehre (Kaliber .50). Aufgrund dieser leichten Bewaffnung eignet sich die HARRY DEWOLF-Klasse für hoheitliche Aaufgaben wie Polizeidienst, aber nicht für Seekriegsführung. Als Primäraufgaben der Schiffe zitiert das kanadische Verteidigungsministerium:
bewaffnete Seeraumüberwachung kanadischer Gewässer einschließlich der Arktis;
Lagekenntnisgewinnung in den genannten Regionen;
Kooperation mit anderen Teilstreitkräften und Regierungsämtern, um die Souveränitätsrechte Kanadas zu wahren und durchzusetzen.
Ein AOPV kann auch als Transportschiff für Aufklärer oder Spezialkräfte der Landstreitkräfte fungieren oder als Führungszentrale vor Ort im Falle einer Umweltkatastrophe oder eines humanitären Hilfseinsatzes dienen. Auch Beamte der Bundespolizei Royal Canadian Mounted Police könnten im Rahmen hoheitlicher Einsätze mitfahren, unter anderem, um Schiffe nach Konterbande zu durchsuchen.
Die Schiffe sollen nicht nur in der Arktis, sondern auch in den atlantischen und pazifischen Küstengewässern und in der kanadischen Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) (200-Meilen-Zone) eingesetzt werden. Zusätzlich zu den autonomen Patrouillenfahrten sollen sie auch kooperative Einsätze mit anderen Schiffen der Marine sowie mit der kanadischen Küstenwache durchführen.
Auch „out-of-area“ Einsätze sind vorgesehen, erklärt Lieutenant-Commander Corey Gleason, Kapitän der Erstbesatzung von HMCS „Harry DeWolf“. „Das Schiff ist 2.000 Tonnen schwerer als eine kanadische Fregatte, ist jedoch aufgrund des wirtschaftlicheren Antriebs besser geeignet, um weit entfernte Ziele anzufahren oder Drogenpatrouillen in der Karibik durchzuführen“, erklärt Gleason. „Wenn ein Schiff imstande ist, große Teile des Jahres in der Arktis zu fahren, kann es seine vielfältigen Fähigkeiten überall in der Welt anbringen.“