Future Vertical Lift — Neue Hubschrauber für die US-Marineinfanterie

Sid­ney E. Dean
Das Future Ver­ti­cal Lift (FVL) Pro­gramm hat das Ziel, eine aus Hub­schraubern und Kip­pro­tor­flugzeu­gen beste­hende neue gemein­same Flugzeug­fam­i­lie für alle US-Teil­stre­itkräfte zu entwick­eln. Als TSK mit der größten Hub­schrauber­flotte führt die US-Army das Pro­gramm an, mit aktiv­er Unter­stützung des US-Marine Corps (USMC).

Dieser Artikel wird mit fre­undlich­er Genehmi­gung der „Marine­Fo­rum – Zeitschrift für mar­itime Fra­gen“ veröf­fentlicht.
Marineforum

Das FVL-Konzept sieht vor, Maschi­nen aus fünf Kat­e­gorien zu entwick­eln und zu beschaf­fen. Die Kat­e­gorien sind nach Größen-/Gewicht­sklasse geord­net, wer­den offiziell allerd­ings als „Fähigkeitssätze“ (Capa­bil­i­ty Set – CS) beze­ich­net: Leicht (CS1) – entspricht den heuti­gen Aufk­lärung­shub­schraubern und leicht­en Kampfhub­schraubern; Leicht-Mit­telschw­er (CS2); Mit­telschw­er (CS3) – entspricht Trans­port- und Mehrzweck­hub­schraubern der Klasse SH-60 oder UH‑1 sowie Kampfhub­schraubern der Klassen AH-64 oder AH‑1; Schw­er (CS4) – entspricht schw­eren Trans­porthub­schraubern wie die CH-53 sowie dem Kip­pro­tor­flugzeug V‑22 Osprey; und Ultra (CS5) – konzip­iert als Kip­pro­tor­flugzeug mit ein­er ähn­lichen Nut­zlastka­paz­ität wie tak­tis­che Trans­port­flugzeuge der Klassen C‑130 oder M400.

Träger-Flugbetrieb mit FVL-Kipprotorflugzeugen (Grafik: Bell-Textron)
Träger-Flug­be­trieb mit FVL-Kip­pro­tor­flugzeu­gen (Grafik: Bell-Textron)

Das Pen­ta­gon hofft, Flugzeuge zu entwick­eln, die im Ver­gle­ich zu gegen­wär­tig einge­set­zten Hub­schraubern die dop­pelte Reich­weite und die dop­pelte Fluggeschwindigkeit aufweisen, und wesentlich leichter im Feld oder auf einem Schiff zu warten sind. Um diese Leis­tungssteigerung und die vere­in­fachte Logis­tik zu erre­ichen, sollen neue Ver­bund­stoffe, neue Antrieb­ssys­teme sowie neue Designkonzepte herange­zo­gen wer­den. Hinzu kom­men leis­tungssteigernde neue Kommunikations‑, Sen­soren- und Waf­fen­sys­teme. Der Sen­soren­ver­bund zwis­chen sämtlichen Flugzeu­gen der FVL-Fam­i­lie, aber auch mit anderen Trup­pen­teilen, Schif­f­en und mit unbe­man­nten Flugzeu­gen soll ein gesteigertes Lage­bild ermöglichen. Dieser Ver­bund dürfte in zukün­fti­gen Kon­flik­ten den entschei­den­den Fak­tor zugun­sten der US-Kräfte stellen, erk­lärt Colonel John Bar­ran­co vom Hub­schrauber­en­twick­lungsrefer­at des USMC.

USMC Bedarf und Vorgaben

Als erste prak­tis­che Umset­zung des FVL­Pro­gramms soll ein Trans­porthub­schrauber oder – Kip­pro­tor­flugzeug aus der Kat­e­gorie CS3 entwick­elt wer­den. Beim Marineko­rps soll das neue Flugzeug ab 2033 den im Jahr 2008 einge­führten UH-1Y Ven­om Hub­schrauber ablösen. Der neue Typ soll dabei das gesamte Auf­gaben­spek­trum des UH-1Y Helikopters übernehmen, ein­schließlich des Ein­satz­trans­ports von (min­destens acht) Kampftrup­pen sowie der Ver­wun­de­ten­ber­gung. Ab 2035 soll ein eben­falls zur CS3 Kat­e­gorie gehören­des Flugsys­tem den 2010 einge­führten Kampfhub­schrauber AH-1Z Viper ablösen. Auf­grund des unter­schiedlichen Ein­satzpro­fils von Trans­port- und Kampfhub­schraubern geht das Mil­itär vor­erst davon aus, dass zwei ver­schiedene spezial­isierte Flugzeuge entwick­elt wer­den müssen.

Die genauen tech­nis­chen Vor­gaben und Leis­tungspa­ra­me­ter für die neuen Flugsys­teme wer­den noch aus­gear­beit­et. Beson­ders wichtig ist allerd­ings, dass die neuen Flugzeuge eine wesentlich größere Reich­weite besitzen, erk­lärt Colonel Bar­ran­co mit Hin­weis auf das soge­nan­nte AA/AD Phänomen (Anti-Access/Area-Denial). AA/AD beze­ich­net die Fähigkeit eines Geg­n­ers, den Zugang zu bes­timmten Gebi­eten zu sper­ren oder zu erschw­eren, unter anderem durch den Ein­satz eines dicht­en und leis­tungs­fähi­gen Flu­gab­wehrgür­tels sowie weitre­ichen­der Rohr- und Raketenartillerie.

Konzeptgrafik auf Basis V-280 (Grafik: Bell-Textron)
Konzept­grafik auf Basis V‑280 (Grafik: Bell-Textron)

Angesichts der AA/AD Sys­teme, die mehrere poten­zielle Geg­n­er ein­führen, müssen unsere Auf­marschge­bi­ete in größer­er Ent­fer­nung als bish­er zur unmit­tel­baren Ein­satz­zone ein­gerichtet wer­den“, erk­lärt Colonel Bar­ran­co. „Unsere Trans­port­sys­teme wer­den fol­glich wesentlich mehr Reich­weite und Fluggeschwindigkeit brauchen, um zwis­chen dem Auf­marschlager und dem Kampfge­bi­et zu pen­deln.“ Die Ein­satzre­ich­weite wird durch die Fähigkeit der Luft­be­tankung zusät­zlich erhöht. Geschwindigkeit und verbesserte Manövri­er­fähigkeit wer­den – im Ver­bund mit einem Sen­soren- und Kom­mu­nika­tion­snet­zw­erk, das ein möglichst voll­ständi­ges Lage­bild in Echtzeit erstellt – auch erforder­lich sein, um den feindlichen AA/AD Gür­tel zu durch­drin­gen, sagte der Fliegeroffizier.

Eine weit­ere bere­its fest­ste­hende Vor­gabe ist die Möglichkeit des Ein­satzver­bunds zwis­chen den neuen beman­nten Flugzeu­gen und unbe­man­nten tak­tis­chen Flugzeu­gen (Manned-Unmanned Team­ing). Flugstaffeln des USMC sollen ab 2026 beim Ein­satz auf amphibis­chen Schif­f­en sowohl beman­nte wie unbe­man­nte Flugzeuge führen. Im Rah­men dieses Team­ing-Konzepts kön­nten beispiel­sweise bewaffnete UAV ein­er beman­nten FVL-Staffel als Kund­schafter voraus­fliegen; sie kön­nten auch Geleitschutz für Trans­porthub­schrauber wahrnehmen, um beman­nte Kampfhub­schrauber für Offen­sivein­sätze freizuset­zen. Die Fähigkeit, die unmit­tel­bare Führung der im Ver­bund fliegen­den UAV zu übernehmen, soll in die FVL-Flugzeuge ständig inte­gri­ert wer­den. Sog­ar die Fähigkeit, die FVL-Flugzeuge wahlweise ohne men­schliche Cock­pitbe­satzung einzuset­zen, dürfte einge­führt werden.

Ver­such­spro­gramm

Um festzustellen, welche Entwurfs- und Ein­satzkonzepte real­is­tisch wären, führt das Pen­ta­gon derzeit das JMR-TD Pro­gramm durch (Joint Mul­ti-Role – Tech­nol­o­gy Demon­stra­tor). Im Rah­men dieses Pro­gramms wer­den zwei Konzept­flugzeuge ab Sep­tem­ber dieses Jahres ein Jahr lang erprobt.

Die Fir­men Siko­rsky und Boe­ing präsen­tieren gemein­sam den Hub­schrauber SB‑1 Defi­ant. Dieses Mod­ell gle­icht weit­ge­hend einem kon­ven­tionellen Helikopter. Auf­fäl­lig sind der Koax­i­al­ro­tor mit zwei gegen­läu­fig drehen­den Haup­tro­toren. Anstelle des gewohn­ten Heck­ro­tors wird ein Heck­pro­peller (Push­er-Pro­peller) ver­wen­det. Die vom Her­steller angegebene Reisegeschwindigkeit beträgt 250 Knoten, der Ein­satzra­dius (ohne Luft­be­tankung) rund 230 Seemeilen. Dies entspricht im Ver­gle­ich zur UH-1Y und zur AH-1Z fast der dop­pel­ten Reich­weite und eine 35 Prozent höhere Maximalgeschwindigkeit.

Die Fir­ma Bell Heli­copter stellt das Kip­pro­tor­flugzeug V‑280 Val­or. Obwohl das Flugzeug äußer­lich der (eben­falls durch Bell hergestell­ten) MV-22 Osprey gle­icht, beste­hen wesentliche Unter­schiede. Das Konzept­flugzeug ist schneller und manövri­er­fähiger und besitzt durch die Anbringung kleiner­er Rotor­blät­ter ein kleineres Pro­fil auf Deck. Die Reisegeschwindigkeit wird auf 280 Knoten ver­an­schlagt; der Flu­gra­dius beträgt, je nach Ein­satzbe­din­gun­gen, 500 bis 800 Seemeilen.

Landung einer V-280 auf amphibischem Träger (Grafik: Bell-Textron)
Lan­dung ein­er V‑280 auf amphibis­chem Träger (Grafik: Bell-Textron)

Die Fluger­probung bei­der Pro­to­typen sowie Wind­kanal­tests von zwei weit­eren Entwür­fen wer­den den Stre­itkräften als Anleitung für die Erar­beitung real­is­tis­ch­er Leis­tungspa­ra­me­ter für kün­ftige FVL-Klassen dienen. Es ist möglich, dass kün­ftige Ein­satz­maschi­nen direkt aus den vor­liegen­den Mod­el­lkonzepten her­vorge­hen; ander­er­seits kön­nten let­z­tendlich völ­lig neue Entwürfe in Auf­trag gegeben wer­den. Eine Entschei­dung über den Fort­gang des FVL-Pro­gramms wird 2019 erwartet.

Die gegen­wär­tige Pla­nung sieht vor, zir­ka 2021 (voraus­sichtlich an ver­schiedene Fir­men) Aufträge für die Entwick­lung von Pro­to­typen eines Ein­satzflugzeuges zu vergeben. Der Zuschlag für die voll­ständi­ge Sys­te­men­twick­lung soll zir­ka 2025 erfol­gen, gefol­gt von einem Beschaf­fungsver­trag im Jahr 2029. Bei Beginn der Vorse­rien­pro­duk­tion 2030 kön­nte der Dienst bei den amphibis­chen Kräften erwartungs­gerecht 2033 aufgenom­men werden.

Für die US-Stre­itkräfte ins­ge­samt wird die Beschaf­fung von bis zu 5.000 FVL-Ein­heit­en erwartet, allerd­ings über mehrere Jahrzehnte hin­weg. Erste inof­fizielle Anfra­gen aus dem Aus­land hin­sichtlich ein­er Aus­fuhrgenehmi­gung sollen bere­its erfol­gt sein.