Das deutsche Seebataillon und das niederländische Korps Mariniers stellen die “operative Integration” her

(Fre­gat­tenkapitän Axel Meißel ist Kom­man­deur des Seebataillons)

Die Vertei­di­gungsmin­is­terin­nen Deutsch­lands, Dr. Ursu­la von der Leyen, und der Nieder­lande, Jea­nine Hen­nis-Plass­chaert, vere­in­barten 2016 die Inte­gra­tion des See­batail­lons in das nieder­ländis­che Korps Mariniers. Die oper­a­tive Inte­gra­tion des See­batail­lons in das Korps Mariniers bildet hier den ersten Meilenstein.

Dieser Artikel wird mit fre­undlich­er Genehmi­gung der „Marine­Fo­rum – Zeitschrift für mar­itime Fra­gen“ veröf­fentlicht.
Marineforum

Die deutsch-nieder­ländis­che (DEU-NLD) Zusam­me­nar­beit wird so weit­er inten­siviert. Nicht nur in gemein­samen Ein­sätzen tre­f­fen sich die Sol­datin­nen und Sol­dat­en bei­der Stre­itkräfte immer wieder, auch die jew­eili­gen Mari­nen ken­nen sich gut. Selb­st ohne das Medi­um Wass­er haben beispiel­sweise die Kampfmit­telbe­sei­t­i­gungskräfte schon in den Lan­dein­sätzen KFOR und ISAF (Inter­na­tion­al Secu­ri­ty Assis­tance Force) wiederkehrend Seite an Seite gear­beit­et. Im Rah­men der multi­na­tionalen mar­iti­men Übung „Sandy Beach“, ursprünglich ein rein DEU-NLD Manöver, wurde die Zusam­me­nar­beit opti­miert sowie Erken­nt­nisse und Erfahrun­gen ausgetauscht.

Amphibis­che Oper­a­tio­nen gehören zu den kom­plex­esten mil­itärischen Prozessen. Amphibik bietet dabei die Möglichkeit des Ein­brin­gens eigen­er Kräfte in ein Ein­satzge­bi­et unter höch­st­möglichem Schutz und ggf. ohne vorhan­dene Hafen­in­fra­struk­tur. Häu­fig wer­den daher amphibis­che Oper­a­tio­nen auch im Rah­men human­itär­er Hil­feleis­tung durchgeführt.

Ein entschei­den­der Schritt der DEU-NLD Marineko­op­er­a­tion ist somit der Fähigkeit­sauf­bau amphibis­ch­er Oper­a­tions­führung. Diese umfasst heute die koor­dinierte und vorge­plante Zusam­me­nar­beit von See‑, Luft- und Land­stre­itkräften. Die effek­tive Inter­ak­tion von mil­itärischen Fähigkeit­en und dazu das enge Zusam­men­wirken auf allen Führungsebe­nen der beteiligten Teil­stre­itkräfte sind auch inter­na­tion­al gängige Praxis.

Bundeswehrfahrzeuge auf einem niederländischen Landungsboot (Foto: Deutsche Marine)
Den Helder en Tex­el, 2 novem­ber 2016.
Inte­gatie oefen­ing tussen het 2de mariniers bataljon en het Duitse “See-bataljon”.
Foto: Beladen van duitse voer­tu­igen op de ned­er­landse landingsvaartuigen.

Das deutsche See­batail­lon kann dabei dem Korps Mariniers einige Auf­gaben abnehmen. Gle­ichzeit­ig wer­den Fähigkeit­en, die in Deutsch­land vorhan­den sind und den Nieder­lan­den fehlen, in ein­er gemein­samen Oper­a­tion ergänzt. So fehlen den Mariniers schnelle kleine (Kampf-)Boote, die DEU ger­ade beschafft. Die Deutsche Marine wiederum kann auf­grund der getrof­fe­nen Vere­in­barung von dem nieder­ländis­chen Joint Sup­port Ship (JSS) und den Dock­lan­dungss­chif­f­en (Land­ing­ship Plat­form Dock, LPD) aus operieren und damit den Man­gel eigen­er Ein­heit­en mit solchen Fähigkeit­en wettmachen.

Die Mari­nen ergänzen sich, wodurch eine Duplizierung von Fähigkeit­en in benach­barten Län­dern mit ähn­lichen Ein­satz­grund­sätzen in Zeit­en knap­per Ressourcen ent­fällt. Das Schließen der eige­nen Fähigkeit­slück­en durch kom­ple­men­täre Fähigkeit­en des jew­eils anderen ist somit eine Win-win-Sit­u­a­tion für bei­de Natio­nen. In diesem Zusam­men­hang ste­ht eine dauer­hafte Ver­legung deutsch­er Kräfte des See­batail­lons an einen Stan­dort in den Nieder­lan­den nicht zu Debat­te. Die immer wieder auf­flack­ernde Diskus­sion zu diesem The­ma ist der oper­a­tiv­en Inte­gra­tion nicht dien­lich und insofern auch nicht zielführend.

Fähigkeit­en des Seebataillons

Das See­batail­lon ver­fügt über vielfältige Fähigkeit­en für die Schnittstelle See-Land. Die Seesol­dat­en der Küstenein­satzkom­panie sich­ern und schützen im Schw­er­punkt land­seit­ige Infra­struk­tur. Mit Erre­ichen des Lan­des wird bei Bedarf die notwendi­ge Infra­struk­tur für den weit­eren Ein­satz auf- und aus­ge­baut, was auch Überwachungscon­tain­er der Aufk­lärungskom­panie mit einem angeschlosse­nen Gefechts­stand und zukün­ftig fernbe­di­en­ten, abge­set­zten Waf­fen­sta­tio­nen umfassen kann. Am Strand kön­nen das die vor­bere­i­t­en­den Maß­nah­men zur Errich­tung eines Brück­enkopfes sein. Im Hafen beste­ht die Möglichkeit, durch die Fähigkeit „Har­bour Pro­tec­tion“ einen begren­zten, sicheren Raum auch während ein­er län­geren Oper­a­tion weit­er­hin zu nutzen.

Die Küsteneinsatzkompanie in Aktion (Foto: Deutsche Marine)
Hol­land, Den Helder, Insel Tex­el, gemein­same Übung von Nieder­ländis­chen Marine­in­fan­ter­is­ten und Sol­dat­en des Deutschen See­batail­lons am 02.11.2016

Dieses bein­hal­tet den Schutz der Zuwe­gun­gen von Land als auch vom Wass­er. Ein­laufende Schiffe sind in engen Gewässern gegebe­nen­falls aufzunehmen und in einen Hafen oder Abstützpunkt ohne beste­hende Infra­struk­tur zu esko­rtieren. Je nach Kom­plex­ität und Bedro­hung im geografis­chen und tak­tis­chen Umfeld kann das sehr hohe Anforderun­gen an Lage­bil­dauf­bau und ‑abstim­mung sowie Kräfte­dis­lozierung und ‑koor­di­na­tion bedeuten.

Routen in Häfen oder an die Strände müssen ins­beson­dere unter Wass­er zuerst nach verdeck­ten Gefahren (Steine, Untiefen, Kampfmit­tel, usw.) abge­sucht wer­den. Hier kom­men sowohl Unter­wasser­drohnen als auch Minen­tauch­er des See­batail­lons zum Ein­satz, um auch einge­sunkene oder durch Unter­wasserveg­e­ta­tion verdeck­te Gefahren­punk­te zu iden­ti­fizieren. Die Kampfmit­tel­spezial­is­ten sind dabei eben­so firm im Umgang mit Seem­i­nen und Kampfmit­teln im mar­iti­men Umfeld wie an Land bei der Suche und Besei­t­i­gung von Spreng­fall­en und Land­kampfmit­teln. Der Ein­satz von Robotik sichert dabei das pilotierte Vorge­hen ohne unmit­tel­bare Gefährdung von Soldaten.

Während­dessen kön­nen Feld­nachricht­enkräfte durch die Kon­tak­tauf­nahme und das Befra­gen von lokalen Behör­den, der Bevölkerung oder „local power­bro­kern“ bere­its Infor­ma­tio­nen gewin­nen, die sowohl dem Schutz eigen­er Kräfte als auch der Opti­mierung des Ein­satzes dienen. Sie kön­nen dabei – wie andere Kräfte auch – durch Scharf­schützen und fliegende Drohnen mit optro­n­is­chen Sen­soren überwachend gedeckt werden.

Auf See kön­nen gle­ichzeit­ig Schiffe durch Bor­dein­satz­sol­dat­en über­prüft und Schmuggelver­suche, Embar­gov­er­let­zun­gen oder andere ille­gale Aktiv­itäten unter­bun­den werden.

Gemein­sam operieren

Im Rah­men ein­er soge­nan­nten „Inte­gra­tion Demon­stra­tion“ im Novem­ber 2016 übten das See­batail­lon und die 2nd Marine Com­bat Group, eines von zwei nieder­ländis­chen Batail­lon­säquiv­a­len­ten, erst­mals in den Nieder­lan­den (in Den Helder und auf Tex­el) zusam­men. Ziel war die phasen­weise Demon­stra­tion eines gemein­samen Vorge­hens im Rah­men ein­er soge­nan­nten „Schnellen See­ab­hol­ung“ – also ein­er mil­itärischen Evakuierung in unklar­er Lage ohne antizip­ierte Kampfhandlungen.

Die Führung der Kräfte und Lage­führung über­nahm dabei ein nieder­ländis­ch­er Gefechts­stand. Die zu evakuieren­den Men­schen wur­den durch deutsche Kräfte unter eigen­er und nieder­ländis­ch­er Sicherung aufgenom­men und nach kurzem Screen­ing in einem Trans­port gebün­delt. In ein­er solchen Lage ist nicht von rein koop­er­a­tiv­en lokalen Kräften auszuge­hen. Fol­gerichtig wurde der Kon­voi, beste­hend aus deutschen und nieder­ländis­chen geschützten Fahrzeu­gen, mit den zu evakuieren­den Per­so­n­en („Evacuies“ oder kurz „Echos“), auf dem Weg zum Hafen Tex­el von irreg­ulären Kräften beschossen.

Die nieder­ländis­chen Mariniers nah­men die Kampfhand­lun­gen auf Tex­el auf, während die „Echos“ durch den deutschen Kon­voi aus der Gefahren­zone geleit­et wur­den. Die Ver­let­zten­be­hand­lung wurde durch einen deutschen „Beweglichen Arzt­trupp (BAT)“ mit dem geschützten „Eagle BAT“ (leicht­es geschütztes mil­itärisches Ein­satz­fahrzeug für den Beweglichen Arzt­trupp) des See­batail­lons gewährleis­tet. Der ver­let­zte nieder­ländis­che Part­ner wurde von einem Trans­porthub­schrauber NH90 aus­ge­flo­gen. Dieser beein­druck­end agile Hub­schrauber wurde ges­teuert durch einen Piloten des Korps Mariniers und ist dem auch in der Deutschen Marine erwarteten Mod­ell recht ähn­lich. In ein­er anschließen­den Phase wurde der Ver­let­zte auf dem Joint Sup­port Ship (JSS) „Karel Door­man“ (Mehrzweck­ver­sorgungss­chiff der NDL Marine) abgegeben und dort in der Inten­si­vauf­nahme an Bord weiterbehandelt.

Während­dessen ver­legten die gemein­samen Infan­teriekräfte und Echos auf dem Seeweg mit Lan­dungs­booten des Korps Mariniers von Tex­el nach Den Helder. Voraus­set­zung für die Ein­schif­fung auf den Lan­dungs­booten waren das vorherige Lokalisieren und Beseit­i­gen von Minen und anderen Hin­dernisse durch deutsche Minen­tauch­er und nieder­ländis­che Kampfmit­telbe­sei­t­i­gungskräfte im Zusam­men­wirken mit Unter­wasser­drohnen und Robotik. Auf diesem Tran­sit wur­den die Boote von einem unko­op­er­a­tive­nen Schiff behin­dert, welch­es daraufhin durch deutsche Seesol­dat­en von nieder­ländis­chen Speed­booten aus geboard­ed und anschließend unter­sucht wurde.

Die Bordeinsatzkompanie beim Übersetzen (Foto: Deutsche Marine)
Hol­land, Den Helder, Insel Tex­el, gemein­same Übung von Nieder­ländis­chen Marine­in­fan­ter­is­ten und Sol­dat­en des Deutschen See­batail­lons am 01.11.2016

Die Demon­stra­tion wurde beauf­sichtigt durch die jew­eili­gen Inspek­teure der Marine von Deutsch­land, Vizead­mi­ral Andreas Krause, den Nieder­lan­den, Gen­er­alleut­nant Rob Verk­erk, sowie der bel­gis­chen Marine, Kon­ter­ad­mi­ral Michel Hof­man. Weit­er waren der Abteilungsleit­er Ein­satz im Marinekom­man­do, Kon­ter­ad­mi­ral Jean Martens, und der kom­mandierende Gen­er­al der nieder­ländis­chen Mariniers, Brigade­gen­er­aal der Mariniers Frank van Sprang, anwe­send. Diese Präsenz zeigt fra­g­los die mil­itärische, aber auch die poli­tis­che Bedeu­tung dieser Übung und der damit ver­bun­de­nen Integration.

Bemerkenswert dabei ist, dass es sich bei dem gezeigten Manöver um eine üblicher­weise rein nationale Oper­a­tion han­delt. Den­noch wur­den große Ähn­lichkeit­en im Vorge­hen fest­gestellt. Die Board­ingkräfte der beteiligten Part­ner zum Beispiel gehen nach densel­ben Ver­fahren vor. Die Minen­tauch­er und Unter­wasser­drohnen arbeit­en nach inter­na­tion­al gle­ichen Stan­dards. Die genutzten REMUS-Drohnen sind sog­ar in bei­den Mari­nen iden­tisch (wobei die hol­ländis­che Drohne orange und die deutsche gelb lack­iert ist — ein hil­fre­ich­er Zufall). Beste­hende kleinere tak­tis­che Prob­leme wur­den ange­sprochen und Workarounds für materielle Inkom­pat­i­bil­itäten gefunden.

Als Beispiel sei hier die Fer­n­meldeausstat­tung der deutschen geschützten Fahrzeuge Eagle IV/V und Din­go und der nieder­ländis­chen Vikings genan­nt. Dieses Hin­der­nis wurde durch Aus­tausch von Funkgeräten (ein­schließlich Bedi­enern) mit dem Part­ner umgan­gen. Das Grund­prob­lem wird hinge­gen erst im Rah­men zukün­ftig syn­chro­nisiert­er Beschaf­fun­gen abgestellt wer­den können.

Mit diesem Vorge­hen wer­den weit­ere tak­tis­che Hemm­nisse eli­m­iniert, um zukün­ftig verzugs­los und frik­tions­frei miteinan­der operieren zu kön­nen. Ein Weg, auf dem noch viele Schritte zu gehen sind. Den­noch lassen die gegen­wär­ti­gen Fortschritte erah­nen, wie tief die Ver­flech­tung zukün­ftig sein kann. So wer­den aktuell gegen­seit­ig Proze­duren und Stan­dard­vorge­hen abgeglichen (Stand­ing Oper­a­tional Pro­ce­dures SOP; Tech­nics, Tac­tics and Pro­ce­dures, TTP). Die gegen­seit­ig vere­in­barten Stan­dards wer­den zukün­ftig in gemein­samen Übun­gen mit Leben gefüllt. Auf bei­den Seit­en müssen allerd­ings schein­bare Selb­stver­ständlichkeit­en zunächst schriftlich doku­men­tiert wer­den. Das sorgt jedoch für ein gesun­des Hin­ter­fra­gen etabliert­er Vorge­hensweisen und damit sozusagen neben­bei für eine größere Effizienz. Die entste­hen­den Stan­dards wer­den am NATO-Stan­dard gemessen.

Eine gemein­same Befehls- und Melde­sprache (englisch) sichert das gegen­seit­ige und zugle­ich multi­na­tionale Ver­ständ­nis. Da die nieder­ländis­chen Mariniers seit Jahrzehn­ten auch mit den Roy­al Marines inten­siv zusam­me­nar­beit­en, diese wiederum mit der US-Navy gle­iche Grund­la­gen und Vorschriften nutzen, entste­ht so automa­tisch ein inter­na­tion­al abgeglich­enes, inter­op­er­a­bles Geflecht.

Zukun­ft gestalten

Wie beschrieben sind einige Fähigkeit­en, die in der Deutschen Marine abge­bildet sind, im Korps Mariniers nicht vorhan­den. Ander­er­seits fehlen den deutschen Stre­itkräften seege­hende Plat­tfor­men mit amphibis­chen Fähigkeit­en. Die Inte­gra­tion zur effizien­ten und effek­tiv­en gegen­seit­eigen Nutzung von Ressourcen hat also ger­ade erst begonnen.

Im Rah­men des Manövers „North­ern Coasts 2017“ wird im Sep­tem­ber aller Voraus­sicht nach die Grund­be­fähi­gung zum gemein­samen Operieren (Ini­tial Oper­a­tional Capa­bil­i­ty) nachgewiesen. Dabei wird in der ersten Woche in Lehnin/Deutschland auch ein offen­sives Szenario beübt. Das ist die Kern­be­fähi­gung des Korps Mariniers, getreu dem Mot­to „Angriff ist die beste Vertei­di­gung!“ Der gemein­same ver­schränk­te Angriff von zwei ver­stärk­ten Marine­in­fan­teriezü­gen wird dabei sowohl das See­batail­lon als auch das Korps Mariniers in seinen Fähigkeit­en fordern. Gle­ichzeit­ig kön­nen bei­de Seit­en die kom­ple­men­tären Fähigkeit­en bess­er kennenlernen.

In der zweit­en Woche wer­den an Bord der „Karel Door­man“ die Vor­bere­itung und die Durch­führung ein­er amphibis­chen Anlan­dung in Schwe­den den All­t­ag dominieren. Gle­ich­wohl wird es keine Kampflan­dung geben. Dies ist wed­er angestrebt, noch kann die „Karel Door­man“ das als Joint Sup­port Ship gewährleis­ten. Dem gemein­samen Operieren in unklar­er Lage wird dieses Manöver jedoch erhe­blichen und real­is­tis­chen Vorschub leis­ten – und liegt damit ide­al­typ­isch im Zielfen­ster der angestrebten „oper­a­tiv­en Integration“.