Bis zu 10 Mrd. Kubikmeter Öl und Gas werden hier vermutet; daneben reiche Vorkommen an Gold und Diamanten. Der Abbau all dieser Rohstoffe könnte dann ohne Anmeldung bei der ISA, ohne deren Koordination und ohne jegliche Abstimmung mit anderen Anrainern beginnen – ja diese wären sogar effektiv von der Förderung ausgeschlossen.
Am 24. Juli verlässt das russische Polarforschungsschiff AKADEMIK FYODOROV Murmansk und nimmt Kurs auf das Franz Josef Archipel und den Nordpol. An Bord zwei Tiefsee- U‑Boote MIR, berühmt durch die Suche nach der Titanic. Ein von Russlands bekanntestem Polarforscher (und Parlamentsabge- ordneten) Artur Chilingarov geleitetes Wissenschaftsteam soll nahe dem Nordpol an der Lomonosov Ridge den Meeresboden vermessen sowie Gesteinsproben, Pflanzen und Lebewesen vom Grund holen. Unterstützt wird die Expedition vom 23.000 ts großen, nuklear getriebenen Eisbrecher ROSSIYA.
Chilingarov will den Beweis liefern, dass die Lomonosov Ridge eine Einheit mit dem sibirischen Festlandssockel bildet. Nicht dass dies für den Wissenschaftler/Politiker überhaupt eine Frage wäre. Schon vor Beginn der Reise erklärt er lautstark im russischen Fernsehen: »Die Arktis ist russisch«. So selbstbewusst ist man, dass die Tauchgänge der beiden MIR »live« im Fernsehen übertragen werden sollen. So ganz live wird es dann allerdings nicht. Die in die russischen Wohnzimmer übertragenen Bilder sind zwar beeindruckend. Im Nachhinein stellt sich jedoch heraus, dass ein Teil der TV-Berichterstattung zur Polarexpedition bereits vorab im Studio produziert worden ist und überdies aus dem Film »Titanic« kopierte Szenen eingebaut sind.
Am 2. August tauchen die beiden MIR in der Nähe des Nordpols auf den Grund des Polarmeeres. Russische Ansprüche demonstrativ unterstreichend, wird in gut 4.000 m Tiefe erst einmal eine aus Titan gefertigte russische Flagge in den Meeresboden gesteckt.
Erst danach beginnt die eigentliche, mehrtägige wissenschaftliche Arbeit. Etwa 50 Quadratkilometer der Lomonosov Ridge werden in Tiefen zwischen 1.350 m und 1.600 m vermessen, die gewünschten Proben vom Boden genommen. In zum Teil dichtem Treibeis und bei einem schweren Schneesturm ein oft abenteuerliches Unterfangen.
Am 17. August kehrt die Expedition nach Murmansk zurück, um die gesammelten Proben auszuwerten. Mehrere Monate wird es dauern, bis ein wissenschaftlich fundiertes Ergebnis zu erwarten sei, heißt es beim Einlaufen der AKADEMIK FYODOROV. So lange möchte Expeditionsleiter Chilingarov dann aber doch nicht warten. Politiker sind eben schneller als Wissenschaftler. Nur eine Woche nach Rückkehr vom Pol lässt er öffentlich verkünden, der Beweis sei erbracht, dass die Lomonosov Ridge nicht weniger sei als die direkte Fortsetzung des sibirischen Festlandssockels.
Die anderen Arktis-Anrainer sind nicht geneigt, die russische Erklärung unwidersprochen hinzunehmen. Dänemark nennt die russische Expedition und die nachfolgenden Erklärungen einen »bloßen politischen, provokativen Akt« und beginnt ein eigenes (allerdings schon länger geplantes) Arktisunternehmen. Am gleichen Tag, da die AKADEMIK FYODOROV nach Russland zurückkehrt, verlässt eine dänische Expedition das norwegische Tromsoe.
Abgestützt auf den gecharterten schwedischen Eisbrecher ODEN – und unterstützt vom modernsten russischen (!) Eisbrecher 50 LET POBEDY – wollen 45 dänische und schwedische Wissenschaftler nun ihrerseits nachweisen, dass die Lomonosov Ridge ihren Ursprung mitnichten in Russland findet, sondern vielmehr die geologische Fortsetzung Grönlands, vielleicht auch des kanadischen Festlandssockels ist.
In Absprache mit Kanada sollen dabei auch Vermessungen im kanadischen Teil des Polarmeeres durchgeführt werden. Man werde die eigenen Forschungsergebnisse nach sorgfältiger, sämtlichen wissenschaftlichen Kriterien genügenden Auswertung den Vereinten Nationen präsentieren. Das könne allerdings durchaus einige Jahre (vielleicht sogar bis 2014) dauern.
Kanada selbst hält sich mit eigenen Forschungsreisen zurzeit zurück. Ministerpräsident Stephen Harper macht in den letzten Monaten dennoch sehr deutlich klar, dass seine Regierung keinesfalls die Absicht habe, auf territoriale Ansprüche und die damit verbundene Ausbeutung von Bodenschätzen in der Arktis zu verzichten.
Die USA haben dagegen (und auch wieder am 17. August) ebenfalls eine Arktisexpedition begonnen. Wie die dänische Expedition handelt es sich auch hierbei nicht um eine bloße Reaktion auf das russische Unternehmen, sondern um ein bereits länger geplantes Vorhaben, das – wie alle Polarforschungsreisen – zeitlich an den arktischen Sommer gebunden ist. Die diesjährige Fahrt knüpft überdies an ähnliche Unternehmen in 2003 und 2004 an.
Eingeschifft auf dem Eisbrecher HEALEY der US-Coast Guard wollen Wissenschaftler des NOAA Office of Coast Survey und der Universität von New Hampshire das vor Alaska liegende Chukchi Cape vermessen. Auch hier geht es darum, festzustellen, wo genau die »geologische Fortsetzung« Alaskas endet und hier denn auch gleich die im SRÜ wesentliche 2.500-m-Tiefenlinie genau zu kartografieren.
Obwohl die US-Expedition ganz offensichtlich den Kriterien des SRÜ folgt, könnten sich die USA bei der Formulierung möglicher Ansprüche pikanterweise zurzeit gar nicht auf das SRÜ berufen. Die USA gehören nämlich zu den wenigen UN-Mitgliedsstaaten, die das SRÜ bis heute nicht ratifiziert haben. Mit Blick auf »mögliche Nachteile für die Sicherheit und die eigene Wirtschaft« hat sie bis heute die Unterschrift verweigert. Nach der russischen Expedition scheint nun aber plötzlich die Auffassung zu wachsen, dass diese Haltung deutlich mehr wirtschaftliche Nachteile bringen könnte als die Ratifizierung des SRÜ. Schon »fast panikartig« – so US-Medien – bemüht man sich in Washington, den das SRÜ bisher blockierenden US-Senat zur Unterschrift zu bewegen und so Anschluss an Russland zu halten.