Neue Handelswege:
Die Nordwest- und Nordostpassage — die Schiffahrtsrouten nördlich des kanadischen und sibirischen Festlandes — werden immer länger eisfrei. Im Sommer 2007 und 2008 waren erstmals seit Menschengedenken beide Routen gleichzeitig eisfrei.
Die Nordwestpassage wurde erst von Roald Amundsen, dem norwegischen Polarforscher, Anfang des 20. Jahrhunders befahren — mit einer Reisedauer von drei Jahren. Inzwischen (2008) ist die Route aber schon im zweiten Jahre komplett eisfrei und sogar schon reguläres Ziel von Kreuzfahrtschiffen. Die Nordwestpassage verkürzt die Seestrecke zwischen Ostasien und Europa auf 25 bis 30 % der “Panama-Route”. Während die EU und die USA die Noredwestpassage als “internationales Gewässer” betrachten macht Kanada entsprechende Hoheitsrechte geltend. Es sei im allgemeinen Interesse — insbesondere aus Umweltschutzgründen — , dass es eine klare Autorität in der Passage gebe, und das könne ja nur das anliegende Kanada sein.
Die Nordostpassage (13.000 km) verkürzt den Seeweg zwischen Tokio und Hamburg — gegenüber der Route durch den Suezkanal (21.000 km) — um 8.000 km. Die Seewege zwischen Ostasien (Tokio) und der Westküste der USA (New York) würden über die Nordostpassage (14.000 km) um rund 4.000 km kürzer als die Route über den Panamakanal (18.200 km).
Konflikt um Claims:
Der zunehmende Verlust des Meereises macht es möglich
— die in der Arktis vermuteten Bodenschätze geraten immer mehr in Reichweite.
Dementsprechend wird das Gerangel um die möglichen Claims immer heftiger.
Russland und Norwegen zanken sich um den Grenzverlauf in der Barentssee zwischen dem Nordkap, den norwegischen Spitzbergen und den russischen Novaja-Zenja-Inseln (Öl- und Gasvorkommen).
Russland und die USA rangeln um Gebiete in der Beringstraße, die das sibirische Tschukota vom amerikanischen Alaska trennt.
Die USA und Kanada sind sich wegen dem Grenzverlauf in der Beaufortsee und die Nordwestpassage zwischen dem nordamerikanischen Kontinent und dem Nordpolarmeer in die Haare geraten. Während Washington die — derzeit fast nur mit Eisbrechern befahrbare — Passage als internationales Gewässer betrachtet (und wohl regelmäßig Atom-U-Boote patroullieren läßt) sehen die Kanadier die Meereswege zwischen den kanadischen Inseln als nationale Hoheitsgewässer.
Kanada und Dänemark liefern sich einen bizarren Besucher- und Flaggenstreit um die 1,3 qkm kleine Insel “Hans ” zwischen Grönland und der kanadischen Ellesmere-Insel, deren Besitz über die Verschiebung der 200 Seemeilen (370,4 km) breiten Wirtschaftszone entscheidet.
Rechtsstatus:
Nach bisherigem internationalen Recht (Seerechtskonvention) umfasst das Hoheitsgebiet der Küstenstaaten 12 Seemeilen vor der Küste — aber auch eine Wirtschaftszone der Küstenstaaten mit einem Streifen von bis zu 200 Seemeilen Breite entlang der Küsten.
Danach würden Russlands berechtigte Interessengebiete etwa in Höhe des Feslandssockels enden — dort, wo sich (derzeit) die mittlere Packeisgrenze im Sommer befindet.
Russland möchte seine Hoheitsgebiete aber weiter ausdehnen. Art. 76 der Seerechtskonvention erlaubt das, wenn der Festlandssockel über die 200-Meilen-Grenze hinaus reicht. Als Argument dient der “Lomonossow-Rücken”. Dieser sei Bestandteil des Festlandssockels — und würde damit zum Wirtschaftsgebiet Russlands gehören. Russland reklamiert dieses Gebiet zumindest bis zum Nordpol für sich — und erhebt damit Anspruch auf eine Ausdehnung der Wirtschaftszone um zusätzlich 1,2 Mio. qkm.
Allerdings: die Frist, diesen Anspruch geltend zu machen, ist auf 10 Jahre nach Ratifizierung der Seerechtskonvention beschränkt. Russlands Frist endet damit im Jahr 2009, Kanada ist 2014 drann und für die Dänen endet die “time-out” Frist im Jahr 2014. Russland hat daher schon mal vorsorglich 2001 seine Ansprüche auf den “Lomonossow-Rücken” als Teil des russischen Festlandssokels vor der UN angemeldet.
Dieselbe Argumentation nutzen dänische Diplomaten, die den “Lomonossow-Rücken” als Fortsetzung des grönländischen Festlands und damit als “dänisch” reklamieren.
Im August 2008 hat Kanadas Premier Stephen Harper die Ausdehnung der kanadischen Hoheitsgebiete auf die 200 Seemeilender Wirtschaftszone bekannt gegeben. Damit wächst das kanadische Hoheitsgebiet um rund 500.000 km².
Die fünf Arktis-Anrainer — Russland, Norwegen und Dänemark (für Grönland), Kanada und die USA — haben allerdings ein gemeinsames Interesse: so bald wie möglich mit der Rohstoff-Förerung zu beginnen. Dafür sind klare Grenzen die Voraussetzung. Ist das ein Anreiz, sich zügig auf die Grenzen der jeweiligen Territorien zu einigen?
Siehe auch:
SPIEGEL — online: “Geopolitik am Nordpol — Der eiskalte Krieg”