Arabisches Niltal — Ägypten


Ägypten Egypt

Unter den ara­bis­chen Staat­en wächst Ägypten mit am schnell­sten. Die Poli­tik brachte die Wirtschaft auf Trab, doch die Infla­tion schürt Angst vor Unruhen.”
(Aus der FTD vom 15.01.2008)

 

Wirtschaft:
Ägyptens Wirtschaft hat sich nach Jahren der Ago­nie erholt. Auch im Jahr 2006 hat das Wirtschaftswach­s­tum mit über 7 % dur­chaus pos­i­tiv abgeschlossen. 2007 wurde sog­ar ein Wach­s­tum von 7,1 % erre­icht. Selb­st in den Jahren der Finanzkrise 2008/09 wurde ein Wach­s­tum von 4,7 % und 2010 von knapp 5,5 % erreicht.

Obwohl der Suez-Kanal heuti­gen Anforderun­gen nicht mehr genügt und wed­er Super­tanker noch die großen Con­tain­er­frachter passieren kön­nen steigen die Ein­nah­men aus dem Tran­sit. Die Touris­musin­dus­trie zu den antiken Stät­ten am Nil und in die Bader­es­sorts am Roten Meer boomt und bringt mit jährlich etwa 9 Mrd. € die größten Ein­nah­men des Lan­des. Ägypten kon­nte seine Exporte — unberück­sichtigt sind die Erdöl­pro­duk­te — um 40 % und die Devisen­re­ser­ven um 50 % steigen. Rund 11 Mrd. $ wur­den von Aus­län­dern investiert. Dazu hat Ägypten eine Rei­he von Stan­dortvorteilen, die das Land attrak­tiv und lukra­tiv für aus­ländis­che Unternehmer macht. Dazu gehören niedrige Löhne, zum Teil gut aus­ge­bildete Arbeit­skräfte — sowie große Poten­tiale in Bezug auf Infra­struk­turen­twick­lung, Raum, Anla­gen­bau, Verkehr, Trans­portwe­sen und Kommunikation.

Allerd­ings: Ägypten lei­det auch zunehmend unter sozialen Span­nun­gen. Das Wirtschaftswach­s­tum von 7 % kann mit dem Wach­s­tum der Bevölkerung kaum Schritt hal­ten. Jährlich müssen mehr als 600.000 Arbeit­splätze geschaf­fen wer­den. Damit wird das Wirtschaftswach­s­tum von der Bevölkerungszu­nahme aufge­fressen. Auf den Einzel­nen gerech­net kommt vom Wirtschaftswach­s­tum kaum etwas bei der Bevölkerung an. Die Masse der knapp 80 Mio. Ägypter bleibt daher ohne nen­nenswerte wirtschaftliche Entwick­lung. Duch Ägyptens Gesellschaft zieht sich ein Riss. Die Ober­schicht und eine gehobene Mit­telk­lasse prof­i­tieren von der wirtschaftlichen Entwick­lung. Die bre­ite Masse der Mit­tel- und Unterk­lasse kann dage­gen keine steigen­den Einkom­men ver­buchen. Im Jahre 2010 wur­den mehr als 80,4 Mio. Ein­wohn­er gezählt — für 2011 wird ein Ein­wohn­er­stand von 82 Mio. erwartet.

Etwa 1/5 der Bevölkerung muss als abso­lut arm beze­ich­net wer­den. Deshalb möchte Ägypten Wach­s­tum­srat­en mit 8 bis 9 % jährlich erzie­len und mit dem Abbau der enthemmten Bürokratie — etwa ein Vier­tel der Beschäftigten ist im Staats­di­enst tätig — einige Investi­tion­shin­dernisse beseit­i­gen. Denn es dro­ht die Gefahr sozialer Span­nun­gen.  Kurz vor den Kom­mu­nal­wahlen im April 2008 fan­den im größten Tex­til­w­erk des Lande, in Mal­hal­la, Streiks für Min­destlöhne von 140 Euro statt. Im Staats­di­enst ver­di­enen Ärzte m gle­ichen Monat rund  40,- Euro monatlich — und eine Erhöhung ist erst für 2011 vorge­se­hen. Dann aber soll der Min­dest­lohn von derzeit 35 auf kün­ftig 1200 ägyp­tis­che Pfund kräftig ange­hoben werden.

Während auf­grund der vie­len bere­it ste­hen­den Arbeit­skräfte extrem niedrige Löhne gezahlt wer­den steigen die Preise für die immer knap­per wer­den­den Waren. So wird die Sub­ven­tion­ierung von Ben­zin reduziert, das wird also teur­er — und zugle­ich hat der trock­ene Som­mer 2007 zu Wasserk­nap­pheit geführt, die durch die fehlen­den Nilüber­schwem­mungen (Assuan-Stau­damm) und die dadurch absink­enden Grund­wasser­spiegel und par­tiell auftre­tenden Ver­salzun­gen noch ver­stärkt wer­den. Seit Anfang 2008 gibt es Ver­sorgungsen­g­pässe bei Grund­nahrungsmit­teln wie Brot, Bohnen, Nudeln und Reis. Ägypten muss die Hälfte seines Bedarfs importieren — und die weltweit steigen­de­nen Getrei­de­preise führen zu mas­siv­en Teuerungsrat­en. Sub­ven­tion­ierte Ware in den staatlichen Bäck­ereien lan­det oft auf dem Schwarz­markt, auf dem ein mehrfach­es der staatlichen Preise erzielt wer­den kann. Auf diesem Nährbo­den der sozialen Span­nun­gen gedei­ht die Saat der Mus­lim­brüder (siehe unten), die vor allem von medi­zinis­chen Berufen getra­gen wer­den und ins­beson­dere durch ihre sozialen Ein­rich­tun­gen bei der Masse der Bevölkerung Anklang find­en. Ägyptens Regierung möchte durch eine Verbesserung der Gesund­heits- und Bil­dungssys­teme wenig­stens die Mit­telschicht für sich gewinnnen.

Indus­trieal­isierung:

Um für die wach­sende Bevölkerung (ca. 1 Mio. Ein­wohn­er pro Jahr) Arbeit­splätze, Einkom­men — und damit Zukun­ft — zu haben benötigt Ägypten mehr als nur den Suezkanal und einige Touris­te­nun­terkün­fte am Roten Meer sowie die Arbeit­splätze in Land­wirtschaft, Han­del und Handw­erk sowie ein­er bre­it gestreuten Kleinin­dus­trie. Ägypten müsste sich — nach dem Vor­bild Chi­nas — zu ein­er Werk­bank zumin­d­est für die ara­bis­che Welt entwick­eln. Die rel­a­tiv gut aus­ge­bilde­ten Ägypter und die niedri­gen Löhne (monatlich durch­schnit­tlich 70 Euro) lassen Ägypten für aus­ländis­che Inve­storen auch attrak­tiv genug erscheinen.

In den ver­gan­genen 15 Jahren (Stand 1996) war die Indus­trie der führende Bere­ich für inländis­che und aus­ländis­che Investi­tio­nen. Von 1981 bis 1996 wur­den unge­fähr 5 Mrd. US-$ investiert, davon allein 63, 2 % zwis­chen 1994 und 1996. Dies führte zu einem deut­lich erkennbaren Wirtschaftlichen Auf­schwung. Die aus­ländis­chen Direk­t­in­vesti­tio­nen stiegen weit­er von 500 Mio. $ (2004) auf 12 Mrd. $ (2008) und auch das Katas­tro­phen­jahr 2009 hat noch beachtliche 8 Mrd. $ Investi­tion­sleis­tun­gen nach Ägypten gespült.

Ägypten gilt bei inter­na­tionalen Inve­storen und Liefer­an­ten inzwis­chen als ein­er der attrak­tivsten und zukun­ft­strächtig­sten Märk­te des Nahen Ostens und der ara­bis­chen Welt. Mit ein­er Bevölkerung von ca. 65 Mio. Ein­wohn­ern, rel­a­tiv sta­bilen poli­tis­chen Rah­menbe­din­gun­gen und mit ein­er Poli­tik der mark­twirtschaftlichen Erneuerung bietet das auf­strebende Land am Nil grund­sät­zlich gute Per­spek­tiv­en für aus­ländis­che Engage­ments. Seit 2004 ist die Wirtschaft auf “Lib­er­al­isierungskurs”. Staatskonz­erne sollen pri­vatisiert wer­den. Inzwis­chen sind vor allem die ölre­ichen Golf­s­taat­en ais Inve­storen in Ägypten aktiv. Zunehmend ver­drän­gen auch chi­ne­sis­che Unternehmen die etablierten Inve­storen, die vor allem aus Ameri­ka, Eng­land und Frankre­ich kommen.

Fortschre­i­t­ende Pri­vatisierung unpro­duk­tiv­er Staats­be­triebe und die Ver­ab­schiedung export­fördern­der Geset­ze — also eine Wirtschaft­spoli­tik nach west­lichem Muster — gaben dem ägyp­tis­chen Außen­han­del eben­so wie den Bin­nen­markt einen Schub. Mitte 2002 war eine deut­liche Verbesserung der Wirtschaft­slage erkennbar. Ein­heimis­che und aus­ländis­che Inve­storen investierten über eine Mil­liarde Euro in die Ausweitung der Infra­struk­tur und touris­tis­ch­er Langzeit­pro­jek­te, auch ver­standen als Ele­ment des Kampfes gegen extreme islamistis­che Terrorzellen.

Der Indus­triesek­tor erwirtschaftete 1995/96 ca. 17,2 % des Brut­toin­land­spro­duk­ts, was eine Steigerungsrate von etwa 7,5 % gegenüber 1994/95 bedeutet.

Die Ägyp­tis­che Indus­trie pro­duziert eine bre­ite Palette von Erzeug­nis­sen, die von Tex­tilien und Bek­lei­dung über Nahrungsmit­telver­ar­beitung, Bau­ma­te­r­i­al, Dünger, chemis­che und elek­trotech­nis­che Pro­duk­te bis zur Auto­mo­bil­pro­duk­tion reicht. In dem Sek­tor arbeit­en etwa 2,142 Mio. Arbeit­skräfte, die ca 14 % der Gesamtbeschäftigten bilden. Wichtig­ster Indus­triezweig hin­sichtlich Export und Beschäf­ti­gung ist die Tex­tilin­dus­trie mit ca 1 Mio. Arbeit­skräften. Gut entwick­eln kon­nten sich auch die klein- und mit­tel­ständis­chen Unternehmen auf­grund des wach­senden Bedarfs der Indus­trie und Bevölkerung. Ihre weit­ere Förderung gehört zu den aktuellen entwick­lungspoli­tis­chen Zie­len. Es gibt etwa 211.000 indus­trielle Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern.

Mit dem Touris­mus und dem Suezkanal als ständig sprudel­nder Ein­nah­me­quelle kön­nte Ägypten in seinen großen Städten den Auf­bau ein­er aktiv­en, mod­er­nen Indus­trie fördern. Ger­ade so ein volkre­ich­es Land wie Ägypten kön­nte etwa mit ein­er eige­nen Kraft­fahrzeug­in­dus­trie — auch mit Luxus­fahrzeu­gen für die ara­bis­che Welt — ein wichtiges indus­trielles Stand­bein erlan­gen, und damit — so wie die Fahrzeug­in­dus­trie nach dem let­zten Weltkrieg ein Motor des Auf­schwungs in Deutsch­land war — die eigene Volk­swirtschaft erhe­blich stärken. Gün­stige Arbeit­slöhne und gle­ichzeit­ig Han­dels- und Zoller­le­ichterun­gen inner­halb der ara­bis­chen Welt wür­den eine gute Aus­gangs­ba­sis für ein solch­es Pro­jekt bilden.

Ägypten strebt nun den Über­gang von den arbeitsin­ten­siv­en zu den kap­i­tal- und tech­nolo­giein­ten­siv­en Indus­trien an, deshalb wer­den fol­gende Bere­iche beson­ders gefördert:

  • Petro­chemie und syn­thetis­che Fasern
  • Elek­tro­n­is­che Industrie
  • Kfz- Teile und — Zubehör

Mit  dem größten rus­sis­chen Auto­her­steller Avto­Vaz, der seit dem Jahre 2002 Pkw LADA 2107 mon­tieren und ab Som­mer 2008 im ägyp­tis­chen Mon­tagew­erk Lada-Egypt den Gelän­dewa­gen LADA 4x4 zusam­men­schrauben lässt, ist ein namhafter rus­sis­ch­er Her­steller in Ägypten vertreten. West­liche Kraft­fahrzeugkonz­erne haben dieses Poten­tial inzwis­chen auch erkan­nt: So hat unter anderem die Errich­tung von Mon­tage­fab­riken aus­ländis­ch­er Auto­mo­bil­her­steller, darunter Mer­cedes-Benz und BMW, einen großen Markt für die ägyp­tis­che KFZ-Zulieferindus­trie geschaf­fen. Die Vere­in­barung mit VW über den Export von ägyp­tis­chen Autozube­hörteilen in die weltweit­en Pro­duk­tion­sstät­ten des deutschen KFZ-Pro­duzen­ten hat weit­er dazu beige­tra­gen, die ägyp­tisch-ara­bis­che Auto­mo­bilin­dus­trie zu stärken.

Auch die Infor­ma­tions- und Kom­mu­nika­tions­branche hat große Fortschritte gemacht. So verze­ich­neten die Her­steller von Soft­ware-Pro­gram­men und ‑sys­te­men zwis­chen 1993 und 1996 Zuwach­srat­en von durch­schnit­tlich 35 % pro Jahr, während die Com­put­erindus­trien auf 12 bis 15 % kamen.

Vor allem Call­cen­ter-Unternehmen, aber auch anspruchsvollere IT-Unternehmen prof­i­tieren von den sprachge­wandten Ägyptern mit ver­gle­ich­sweise gerin­gen Gehalt­sansprüchen. Das hat zum Auf­bau eines  großen “Smart Vil­lage” nur wenige Kilo­me­ter außer­halb von Kairo geführt.

Eines der nationalen Indus­trieal­isierung­spro­gramme ist der Auf­bau ein­er nationalen Stahlin­dus­trie.  Einige ägp­tis­che Oasen, die als Sied­lungs­ge­bi­et für hun­der­tausende von Ägyptern vorge­se­hen sind (Tosch­ka-Pro­jekt), wie Al Khar­ga, ver­fü­gen schon heute über eine bedeu­tende Berg­bau- und Stahlin­dus­trie und Eisen­bah­n­verbindun­gen zum Nil­tal und nach Port Safa­ga am Roten Meer.

Im Gewer­bege­bi­et Burg al-Arab 30 Kilo­me­ter west­lich des Hafens Alexan­dria am Mit­telmeer entste­ht (Stand März 2008) auf ein­er Mil­lion Quadrat­metern eine rus­sis­chen Indus­triezone mit Betrieben für den Auto­mo­bil- und Flugzeug­bau, und zur Her­stel­lung von Aus­rüs­tun­gen für Kraftwerke und die Erdölin­dus­trie. Ägypten sei — so eine Mel­dung von RIA Novosti vom März 2008 auch “an der Eröff­nung von Unternehmen für die Her­stel­lung von Com­put­ertech­nik, Aus­rüs­tun­gen für die Entsalzung von Meer­wass­er und von Medi­z­in­pro­duk­ten interessiert.”

Auch in Ägypten gibt es Wohl­stand:
Die Fam­i­lie Sawaris — inzwis­chen eines der reich­sten Fam­i­lien­clans mit einem Ver­mö­gen von gut 4,5 Mrd. € — gehört zu den ägyp­tis­chen “Vorzeige­un­ternehmern”. Aus ein­er in den fün­fziger Jahren gegrün­de­ten kleinen Bau­fir­men wur­den nach zwei Enteig­nun­gen (unter Nass­er 1961 und dann unter Gaddafi, wo die Fam­i­lie vor Nassers Zugriff Schutz gesucht hat­te) wurde ein Konz­ern, der ein auf Ferien­an­la­gen spezial­isiertes Immo­bilienun­ternehmen (mit Ferien­an­la­gen auch in den Nach­bar­län­dern wie Jor­danien), ein Touris­tikun­ternehmen mit über 5000 Beschäftigten mit einem Reingewinn von 35 Mio. € (2006), eine Telekom­mu­nika­tions­fir­ma (Reingewinn von 800 Mio. € bei einem Umsatz von 5 Mrd. €- 2006) aufweist.

Es gibt aber einige Prob­leme, die eine rasche Entwick­lung der ägyptschen Wirtschaft behindern:

Prob­lem Aus­bil­dung:
Das ägyp­tis­che Aus­bil­dungssys­tem krankt an einem “kon­fuzeanis­chen Ele­ment”. Wie in Chi­na wird in Schulen und Hochschulen im Wesentlichen nur Auswendig ler­nen ver­langt. Kreatives Denken, die Grund­lage für Ino­va­tion und Entwick­lung, find­et dage­gen kaum statt. Knapp 45 % der Ägypter über 14 Jahren waren 2005 noch Anal­pha­beten — so die Unesco. Ägypten erre­icht damit einen schlecht­en 18ten Platz bei den 21 Mit­gliedsstaat­en der ara­bis­chen Liga.

Ein erster Ansatz dies zu ändern war das zwis­chen Präsi­dent Hos­ni Mubarak und Bun­deskan­zler Hel­mut Kohl aus­ge­han­deltes Berufs­bil­dung­spro­gramm. Inzwis­chen hat Ägypten den Wert ein­er guten Aus­bil­dung erkan­nt. Aus­län­der haben inzwis­chen das Recht, im Land kleine Betriebe zu grün­den — vroaus­ge­set­zt, dass darin entsprechend viele Ägypter Arbeit­splätze find­en. Die Aus­län­der lassen sich aber nicht mit angel­ern­ten Hil­f­sar­beit­ern abspeisen. Wer die alten Peu­geots, Fiats, Volk­swa­gen oder (rumänis­chen) Dacias nach einem Unfall zusam­men klopfen kann ist bei den elek­tro­n­is­chen Bauteilen mod­ern­er Fahrzeuge und Motoren über­fordert. Die ägyp­tis­che Regierung zahlt daher (Stand 2007) einen finanziellen Aus­gle­ich für die Werk­stat­tin­hab­er, die ihre Mitar­beit­er auf entsprechende Schu­lun­gen und Kurse entsenden. Die deutsche “Gesellschaft für Tech­nis­che Zusam­me­nar­beit” (GTZ), die bei entsprechen­den Exis­ten­z­grün­dun­gen hil­ft, fördert die Nieder­las­sung von Handw­erksmeis­tern etwa aus dem Elek­tro- und San­itär­bere­ich; diese Meis­ter kön­nen — und sollen — einen guten Teil ihrer soli­den Ken­nt­nisse und Fähigkeit­en, ihres “know hows” an die ein­heimis­chen Kräfte weit­er geben.

Moloch Kairo:
Ein großer Teil der Ägypter wohnt und lebt in Kairo — ein­er der größten Städte der Erde, die mit ca. 16 Mio. Ein­wohn­er eher einem unregier­baren Moloch als ein­er Stadt gle­icht. Um dieses wuch­ernde Kreb­s­geschwür ein­er Stadt zu ent­las­ten, will die Regierung bis 2017 einige dutzend neue Vorstädte für die Mit­telschicht der Bevölkerung fer­tig stellen.

Energiev­er­sorgung:
Ägypten ist fast eine Aus­nahme unter den ara­bis­chen Staat­en — es ist nicht mit großen fos­silen Energiequellen geseg­net. Ägypten ist zwar (noch) weltweit an achter Stelle unter den Gas- und Ölförder­län­dern, der größte Teil wird aber exportiert — und die bekan­nten Reser­ven reichen beim Öl ger­ade noch für 15 Jahre (Stand 2007), beim Gas noch etwa bis 2040. Was aber dann — zumal derzeit bere­its 60 % der eige­nen Gaspro­duk­tion zur Energieerzeu­gung ver­bran­nt werden?

Ägyptens Regierung hat im Okto­ber 2007 angekündigt, bis 2020 den Anteil von Wind- und Sonnenen­ergieerzeu­gung am nationalen Energiemix auf 20 % zu erhöhen.  Der Rest muss aus anderen Quellen gedeckt werden.

Eine der Alter­na­tiv­en ist die Wind­kraft. In Zafarana — am Ufer des Roten Meeres — ste­hen über 320 Winkraftan­la­gen, die mit Unter­stützung der Welt­bank und mit staatlichen Kredi­iten der Liefer­län­der von solchen Anla­gen finanziert wur­den. 71 Anla­gen des deutschen Her­stellers “Nordex AG” wur­den von der KfW finanziert. Neben dem deutschen Sek­tor haben sich auch Japan, Däne­mark und Spanien entsprechende Areale gesichert. Bis 2020 sollen die Anla­gen nochmals ver­dop­pelt wer­den, und zwei ähn­lich große Anla­gen sind in der Nähe von Kairo geplant. Mit ein­er Aus­las­tung von 30 % (in Deutsch­land max­i­mal 25 %) beschert der ständig wehende Wüsten­wind eine gute Grundversorgung.

Ägypten ver­fügt über bedeu­tende Vor­räte an Uran­erz und hat von etwa 1960 ab über sech­sundzwanzig Jahre — bis 1986 — an einem atom­aren Forschung­spro­gramm gear­beit­et, das aber nach einem Bericht der IAEA von 2005 eingestellt wurde. Grund­lage war ein in den fün­fziger Jahren von den USA gebautes Atom­la­bor und ein 1961 von der UdSSR ges­tifteter Forschungsreak­tor. Ein weit­er­er Forschungsreak­tor war in Argen­tinien gekauft wor­den. Die inter­na­tionale Atom­en­ergiebe­hörde IAEA überwacht Ägyptens Nuk­lear­forschun­gen seit Anfang 2005. Gegen­wär­tig betreibt Agypten lediglich zwei Fotschungsreak­toren.
Nur wenige Tage nach­dem sich der Gen­er­alsekretär des Golf-Koop­er­a­tionsrats (GCC), Abdul­rah­man bin Hamad Al-Attiya, auf ein­er Sicher­heit­skon­ferenz in Bahrain für ein ziviles Atom­pro­gramm der Golf­s­taat­en aus­ge­sprochen hat hat Gamal Mubarak, der Sohn des ägyp­tis­chen Präsi­den­ten Hos­ni Mubarak und Gen­er­alsekretär der regieren­den Nation­aldemokratis­chen Partei (NDP), diesen “Ball aufge­grif­f­en”. “Es ist Zeit, dass Ägypten seine Energiepoli­tik über­denkt.”, so Mubarak in seinem Plä­doy­er für den Ein­satz alter­na­tiv­er Energiequellen wie der Kernen­ergie.  Auch Präsi­dent Hos­ni Mubarak hat im Okto­ber 2007 den Bau mehrerer Atom­kraftwerke angekündigt, da die Energiek­nap­pheit entsprechende Alter­na­tivien zur Energievr­sorgung ver­lange, zumal die Kom­bi­na­tion von Atom­kraftwerken und Meer­wasser­entsalzungsan­la­gen auch der steigen­den Wasserk­nap­pheit begeg­nen kön­nte. Kabi­nettssprech­er Mag­di Radi erk­lärte gegenüber der staatlichen Nachricht­e­na­gen­tur MENA, die Regierung habe beschlossen angesichts des jährlich um 7% steigen­den Energiebe­darfs die “nuk­leare Alter­na­tive” voranzutreiben. Nach Angaben von Energiem­i­nis­ter Has­san You­nis soll “inner­halb der näch­sten 10 Jahre” (Stand 26. Sept. 2006) ein Atom­kraftwerk in al-Dabaa an der Mit­telmeerküste entste­hen. Die Baukosten wer­den auf 1,5 bis zwei Mil­liar­den US-Dol­lar ver­an­schlagt. Für die Kosten sucht das Land auch nach aus­ländis­chen Inve­storen. Poli­tis­che Beobachter erwarten, dass ara­bis­che Golf­s­taat­en in Reak­tion auf das iranis­che Atom­pro­gramm ein­er Koop­er­a­tion mit Ägypten nicht abge­geneigt sein könnten.

Nach­dem Ägypten als Unterze­ich­n­er des Atom­waf­fensper­rver­trages auss­chließlich Anspruch auf eine zivile Nutzung der Kernen­ergie hat, und — im Gegen­satz zum Iran — als treuer Ver­bün­de­ter der USA in der Region gilt, beeilte sich der US-Botschafter in Kairo mit dem Ange­bot, die USA kön­nten Ägypten bei diesem Atom­pro­gramm unter­stützen (FTD, 22.09.2006). Frankre­ich hat sich Ende 2007 bere­it erk­lärt, den Auf­bau der ägyp­tis­chen Nuk­learindus­trie zu unter­stützen. Rus­s­land ist nach ein­er Mel­dung vom Dezem­ber 2007 eben­falls in den Kreis der Staat­en einge­treten, die Ägypten der Entwick­lung der zivilen Atom­en­ergie zur Seite ste­hen wollen. Auch Chi­na hat seine Hil­fe bei der Umset­zung des dies­bezüglichen Atom­pro­gramms angeboten.

Die USA sind nach wie vor wichtig­ster Han­delspart­ner Ägyptens und zudem enorme Geldge­ber, die jährlich mer als eine halbe Mrd. $ als Finanz‑, Entwick­lungs- und Mil­itärhil­fe in den Nil­staat pumpen.

Klün­gelka­p­i­tal­is­mus a’la Mubarak:
Ägyp­tisch-Israelis­che Wirtschaftsbeziehungen:

Es war ein rel­a­tiv offe­nens Geheim­nis: Präsi­dent Mubarak hat in nahezu allen Sparten der Wirtschaft direkt oder indi­rekt von Investi­tio­nen und Gewin­nen mit profitiert.

Ein Beispiel dafür ist die Erdgas-Leitung, die seit 2008 (unter Umge­hung des Gaza-Streifens) aus dem Sinai nach Israel führt und mit mehr als 75 % (Stand 2010) den Löwenan­teil der ägyp­tis­chen Exporte in das Nach­bar­land aus­macht. Der Bau dieser Pipeline war wed­er in Israel noch in Ägypten unumstritten.

In Israel konkur­ri­erten der israelis­che Yam-Tethys-Konz­ern mit der Absicht zur Gaspro­duk­tion vor der eige­nen Küsten, sowie der britis­che Konz­ern BG mit der Absicht zur Gaspro­duk­tion vor der Küsten von Gaza mit der ägypt­sichen East Mediter­ranean Gas Com­pa­ny (EMG) um den Auf­trag, den staatliche Stromkonz­ern Israel Elec­tric Cor­po­ra­tion (IEC) mit Erdgas zu ver­sor­gen. Der israelis­che Infra­sturk­tur­min­is­ter Josef Par­itzky wurde 2004 durch eine undurch­sichtige Bespitzelun­saf­faere zum Rück­tritt gezwun­gen. Par­itzky hat­te die “palästi­nen­sis­che Lösung” bevorzugt. Maßge­blich­er Akteuer der Bespitzelungsaf­faere war der ehe­ma­lige Geheim­di­en­st­mann Yosef Maimann. May­mann wiederum ist Part­ner des ersten israelis­chen-ägyp­tis­chen Joint-Ven­tures — ein­er Raf­finer­ie bei Alexan­dria und mit dem gle­ichen Part­ner Hus­sein Salem auch an der EMG beteiligt.

Auch in Ägypten war das Pro­jekt heftig umstrit­ten. Ägypten habe selb­st nicht genug Erdgas für den eige­nen Bedarf, und nach dem Scheit­ern des israelisch-palästi­nen­sis­chen Friedens­abkom­mens in Camp David (2000) war der ägyp­tis­chen Bevölkerung eine Koop­er­a­tion mit Israel sus­pekt. Den­noch erhielt die EMG in kürzester Zeit die Lizenz durch die ägyp­tis­che Regierung. Nach dem Sturz Mubaraks aufge­tauchte Doku­mente sollen bele­gen, dass Salem (ein­er der wohlhabend­sten Unternehmer Ägyptens mit einem geschätzten Ver­mö­gen von über 700 Mio. Dol­lar) dem Präsi­den­ten Mubarak und seinen Söh­nen einen Anteil von 5 % der laufend­en Einkün­fte aus der Erdgaspipeline ver­sprochen habe.

 

Ara­bel­lion 2011:
Ist es ein Wun­der, dass die “ARABELLION” 2011 in Ägypten zu einem Regimewech­sel führte? Aus mein­er Sicht nicht, denn die im Großen und Ganzen gut aus­ge­bildete Jugend im “Hin­ter­land der Touris­tenorte” musste miter­leben, dass Teile des Lan­des wirtschaftlich pros­perierten, während im Lan­desin­neren eine gut aus­ge­bildete Gen­er­a­tion — aber kein Arbeit­splatz vorhan­den war. Kor­rupte Behör­den und eine bru­tal auftre­tende Polizei waren die “Kon­tak­te”, mit denen der Staat seinen Bürg­ern gegenüber trat.

Aus dem Gemisch — Chan­cen­losigkeit ein­er­seits und gute Aus­bil­dung ander­er­seits — ent­stand die Protest­be­we­gung, die von den Jugendlichen und jun­gen Erwach­se­nen mit­tels mod­ern­er Medi­en wie “Twit­ter” und “Face­book”, mit Handy-SMS u.a. weit­er getra­gen wurde und die MAcht ein­er Law­ine annahm, die den bish­eri­gen Allein­herrsch­er hin­weg fegte.

Nun erhebt sich die Frage, wie sich Ägypten weit­er entwick­elt. Wird ein radikaler Islamis­mus in Ägypten die Vorherrschaft erlan­gen? Ger­ade die “Mus­lim­brüder” wer­den vielfach als Gefahr für ein demokratis­ches Ägypten gesehen.

Nach mein­er Überzeu­gung schließen sich gute Aus­bil­dung und wirtschaftliche Zukun­ft ein­er­seits und ein radikaler Islamis­mus ander­er­seits aus. “Das ide­ol­o­gis­che Ange­bot Al Qaidas wirkt auf die heutige Gen­er­a­tion der zorni­gen jun­gen Leute schlicht schal. Die Macht des “Volkes”, das “Verän­derung will”, ist attrak­tiv­er als ter­ror­is­tis­che Gewalt.” — so schrieb Volk­er Perthes, Nahos­t­ex­perte und Direk­tor der Berlin­er Stiftung Wis­senschaft und Poli­tik, im “Eura­sis­chen Mag­a­zin”. Eine demokratisch-sekuläre islamis­che Partei nach dem Vor­bild der Türkei, ja, dur­chaus, aber diese Partei würde zugle­ich religiöse Men­schen an sich binden und radikal-islamistis­che Verbindun­gen “aus­trock­nen”.

Tat­säch­lich haben in den ersten freien — und wohl rel­a­tiv fair abge­laufe­nen — Wahlen die Mus­lim­brüder sowohl im Par­la­ment wie auch bei der nach­fol­gen­den Präside­ten­wahl die Mehrheit errun­gen. Dass der regierende säku­lare Mil­itär­rat wie auch der von diesem unter­stützte Kan­di­dat die Präsi­den­ten­wahl akzep­tierten ist ein ermuti­gen­des Zeichen für die demokratis­che Entwick­lung des Lan­des. Tat­säch­lich ste­hen die säku­laren Kräfte um die Mil­itärs und die über­wiegend religiöse und kul­turell kon­ser­v­a­tive Mehrheit der Gesellschaft in einem Dialog­prozess, der von der ZEIT am 28. Juni 2012als “Ver­hand­lungsrev­o­lu­tion” beze­ich­net wurde. Ob sich diese bei­den Strö­mungen gegen­seit­ig paralysieren wird die Zukun­ft zeigen — ich ver­mute, dass die Entwick­lung den Weg der Türkei nehmen wird.

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