Wirtschaft:
Der Boom, der mit dem Terror kam
(Süddeutsche Zeitung, 02.11.2005)
Pakistan macht — so berichtet die SZ — wirtschaftlich seit Jahren einen radikalen Strukturwandel durch, die Gegensätze zwischen der Küste und dem armen Landesinneren wachsen. Mit Wachstumsraten von durchschnittlich 7 % in der ersten Dekade dieses Jahrhunderts konnte das Armutsproblem des Landes nicht einam ansatzweise gelöst werden.
Als am 11. September 2001 die Paukenschläge in den USA erfolgten, war das Land — auch aufgrund des teueren Rüstungswettlaufes mit Indien — kurz vor dem Ruin. Zwischen 1988 und 1999 hatten sich die Auslandsschulden auf 39 Mrd. $ verdoppelt. Der Anteil der Armen stieg in dieser Zeit von 18 auf 34 Prozent. Rund 2/3 des Staatshaushalts mussten 2001 zur Schuldentilgung verwendet werden. Allerdings — im amerikanischen “Krieg gegen den Terror” wurde das Land (wieder einmal) für die USA von Bedeutung und militärisches Aufmarschgebiet.
Trotz der Basen, die von den USA in Zentralasien gesichert wurden (und die im Zuge der Konsolidierung der “Shanghai Kooperations-Organisation” zunehmend von der Schließung bedroht sind): Pakistan war und ist der Wichtigste Partner der Vereinigten Staaten von Amerika zur Besetzung und Kontrolle von Afghanistan.
Von fundamentalitischen Koranschulen begleitete Unruhen in Folge der katastrophalen Wirtschaftslage des Landes hätte diese Operationen massiv gefährdet. Rund 10 Mrd. $ haben die USA (daher) von 2001 bis 2007 als Direkthilfe nach Pakistan überwiesen.
Die USA liesen sich die Hilfe Pakistans also etwas kosten:
10 Milliarden Euro wurden umgeschuldet, und die EU legte nochmal 2,5 Milliarden Euro drauf, um dem maroden Land die nötige wirtschaftliche Stabilität zu verschaffen. Pakistan konnte seine Zinszahlungen auf jährlich 3 Mrd. $ reduzieren. Auch die Exil-Pakistaner begannen, große Summen in ihr Heimatland zu überweisen. Die Folge war ein gewaltiger Wirtschaftsaufschwung. Alleine im Jahre 2004 wuchs das Bruttoinlandsprudkuts (BIP) um 8,4 Prozent, und für das Jahr 2005 wird ein Wachstum von 7 bis 8 Prozent erwartet. Dieser Trend ist ungebrochen. Im Jahre 2006 flossen rund 10 Mrd. $ (7 Mrd. €) — etwa 7 % des BIP — aus dem Ausland nach Pakistan, allerdings etwa 1/3 in kurzfristigen Geldern. Das Wirtschaftswachstum betrug 7 %. Von diesen Investitionen profitieren die Banken und kleinere und mittlere Unternehmen, die leichter Zugang zu Krediten erhalten. Das ausländische Kapital hat aber auch dazu geführt, dass sich die Auslandsschulden des Landes von 1988 bis 1999 auf knapp 40 Mrd. $ verdoppelten. Die Wirtschaft boomt “auf pump”- allerdings nicht in den ländlichen Gebieten, die (wie etwa in Kaschmir 2005) durch Naturkatastropen wie Erdbeben belastet sind, aber vom wachsenden Reichtum der Metropolen abgeschnitten werden. Während sich das Bankensystem prächtig entwickelt kranken vor allem die Staatsfirmen am schlechten Management. Es gilt als üblich, sich am Firmenkapital zu bedienen. Nach dem Transponderindex von Transparency International liegt Pakistan weltweit auf Platz 138 (Stand Oktober 2007).
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung muss als Analphabeten bezeichnet werden, etwa 20 % der Pakistaner leben unterhalb der Armutsgrenze (Schätzug IWF). Diese vernachlässigte Bevölkerung trägt mit der Erzeugung von Baumwolle, Reis, Leder und Heimtextilien erheblich zum (stagnierenden) Exporterlös des Landes bei. Und der Export ist ein Spiegelbild der Steuereinnahmen, die ebenso seit Jahren stagnieren.
Mehr als die Hälfte des BIP des Landes wird in Karatschi erwirtschaftet, einer 14 Millionen Einwohner Stadt im Indus-Delta, die zu zwei Dritteln aus Slums besteht. Die Gerbereien in Korangi — einem Vorort Karatschis — produzieren ohne jeglichen Schutz der Umwelt. Chrom, Kadmium, Zink, Natrium — die unterschiedlichsten Chemikalien werden zur Bearbeitung der Tierhäute benötigt, und das Abwasser wird meistens ungefiltert in den nächsten “Vorfluter” geleitet. Der Indus und mit ihm das Grundwasser beidseits des Flusses können diesen Giftcocktail nicht mehr vearbeiten. Das Wasser ist eine giftige Chemikalien-Kloake geworden.
In Gwadar — einer Halbinsel im Südwesten des Landes — entsteht ein neues “Karatschi”. Chinesisches Investivkapital stampft hier — knapp 8 Autobahnstunden westlich von Karachi — eine neue Hafenstadt aus dem Küstensand, die innerhalb von 25 Jahren knapp 2 Mio. Einwohner (und Arbeitsplätze) aufweisen soll — Chinas Vorposten am Eingang zum Golf. Neben dem Hafen soll für Hunderte von Dollarmillionen ein neuer internationaler Flughafen entstehen. China kann damit seine Öl- und Gasimporte aus Afrika und dem Mittleren Osten noch einer relativ kurzen Seereise anlanden. Autobahnen und Eisenbahntrassen sollen den Hafen über Karatschi mit der ostchinesischen Region Ostturkistan oder Xinjiang verbinden. Eine Sonderwirtschaftszone soll chinesische Billigfabriken für den afrikanischen Markt aufnehmen — und der Hafen wird selbstverständlich auch für Pakistans (und Chinas) Marine offen stehen.
Das schwere Erdbeben im Herbst 2005 hat die Wirtschaft weiter schwer getroffen. Der Wiederaufbau wird — so Paksitans Regierung — in den nächsten zehn Jahren mindestens 10 Milliarden Euro kosten, genau so viel, wie das Land als Umschuldungshilfe nach dem 11. September 2001 von den USA erhalten hat. Pakistan kann maximal 45 % davon aus dem Staatshaushalt bezahlen. Die Militärausgaben des Landes sollen gestreckt werden — so ist der Kauf von F‑16 Fightern aus den USA zunächst verschoben worden.