Iranische Staaten — Iran


Iran

Min­der­heit­en­völk­er im Iran:
Der Iran ist aber kein von einem ein­heitlichen Staatsvolk bewohntes Ter­ri­to­ri­um. Nur die Hälfte der Bevölkerung von etwa 70 Mil­lio­nen sind Pers­er, ein Vier­tel sind turk­sprachige Aser­baid­schan­er, die haupt­säch­lich im Nord­west­en des Lan­des leben. Im West­en an den Gren­zen zu Irak und der Türkei sind die sieben Prozent Kur­den des Lan­des ange­siedelt, in der ölre­ichen Prov­inz Khuzes­tan — gegenüber von Bas­ra — und im im Süden, an der Gegenküse zu den Vere­inigten Ara­bis­chen Emi­rat­en, leben außer­dem Araber und im Südosten Belutschen. Über Jahrhun­derte war Iran ein eher lose zusam­menge­fügtes Reich, in dem die ver­schiede­nen Volks­grup­pen und ‑stämme neben- bzw. miteinan­der gelebt und sich kul­turell und sprach­lich aber auch eth­nisch gegen­seit­ig bee­in­flusst haben. Erst durch die Bestre­bun­gen Reza Schahs, einen mod­er­nen und zen­tral­is­tisch geführten Staat aufzubauen, wurde den Stammes­fürsten die regionale Macht ent­zo­gen. Mit der Errich­tung des Nation­al­staates und der Ein­führung des Per­sis­chen als offizielle Lan­dessprache trat die Nation­al­itäten­prob­lematik als eine poli­tis­che Frage her­vor. Reza Schah gelang es, nahezu alle Autonomiebe­stre­bun­gen eth­nis­ch­er Min­der­heit­en im Iran, aber auch sep­a­ratis­tis­che Bewe­gun­gen — etwa der ara­bis­chen Min­der­heit unter Scheik Khaz­al in Khuzes­tan — niederzuschla­gen. Dieser Tra­di­tion der gewalt­samen Lösungs­find­ung für Nation­al­itätenkon­flik­te blieben bis heute alle Machthaber in Teheran treu. Araber im West­en am Per­sis­chen Golf, (indoger­man­is­che) Kur­den im West­en in den Gren­zge­bi­eten zu Irak und der Türkei, türkische Aseris in der Prov­inz um die unruhige Stadt Täbris im Nor­dosten, Turkme­nen im Nor­den am Ostufer des kaspis­chen Meeres, gefol­gt von Turkme­nen und Usbeken im Grenzbere­ich zu Afghanistan — der Iran hat ein “Min­der­heit­en­prob­lem”, das in Zeit­en der Schwäche der Zen­tral­ge­walt immer wieder zum erstarken der seper­atis­tis­chen Ten­den­zen in den von Min­der­heit­en bewohn­ten Rand­prov­inzen des Iran führte.

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Quelle der Karte: Wikipedia

Erneut vir­u­lent wurde dieses Prob­lem ersichtlich, als Ende Mai 2006 aufge­brachte Aseris in Teheran — vor dem iranis­chen Par­la­ment -, in der Haupt­stadt Täbris der aser­baid­sch­a­nis­chen Prov­inz und an anderen Orten zu Massendemon­stra­tio­nen kamen, die gewalt­sam zer­schla­gen wur­den. Alleine nach offiziellen Angaben wur­den vier Men­schen getötet. Aus­gelöst wurde die Wut der Aseris durch eine Karikatur — auf der Kinder­seite der staatlichen, per­sisch sprachi­gen Zeitung “Iran” waren Aseris in Gestalt ein­er Kak­er­lake dargestellt, deren einziges Wort “Namene?” (was?)  den Lesern sug­gerieren sollte, diesem Wesen könne erst etwas zu essen gegeben wer­den, wenn es Far­si lerne.
Dabei sind die Aseri dur­chaus im schi­itis­chen Iran inte­gri­ert: Aya­tol­lah Ali Chameni, der geistige Führer der Schi­iten,  ist aser­baid­sch­a­nis­ch­er Herkun­ft. Die Aseris sind geschäftlich sehr aktiv und haben 1906 einen wesentlichen Anteil an der For­ten­twick­lung des Iran (erste Ver­fas­sung des Lan­des) gehabt. 
Die (Ver­botene) “Nationale Süd-Aser­baid­sch­a­nis­che Erweck­ungs­be­we­gung” (Gamoh) ist das Sprachrohr ein­er Gruppe, die für mehr kul­turelle Rechte, eine Bun­desstaaten­lö­sung mit eigen­er Fahne, eigen­em Par­la­ment und Spra­chunter­richt in der eige­nen Sprache — sowie gegen “per­sis­chen Chau­vin­is­mus” kämpft. Von ein­er Ablö­sung, von Seper­atismus, ist dage­gen kaum die Rede. Das türkische Satel­liten-Pro­gramm wird in den meis­ten Haushal­ten emp­fan­gen und fördert die sprach­liche und kul­turelle Annäherung an die laizis­tis­che Türkei mit ihren prow­est­lichen Vorstel­lun­gen.
Seit 1945 — nach dem Abzug rus­sis­ch­er Trup­pen aus den iranis­chen Gebi­eten — haben sich die etwa 16 bis 17 Mil­lio­nen iranis­chen Aseri von den 8 Mil­lio­nen Land­sleuten im ehe­ma­li­gen sow­jetis­chen Aser­baid­schan getren­nt. Durch die Jahrzehnte der Sow­jetherrschaft ist in diesem (kleineren) Teil des Sied­lungs­ge­bi­etes dort eine völ­lig unre­ligiöse Elite und eine religiöse Ent­frem­dung zu den iranis­chen Aser­baid­schan­ern ent­standen, die eine “Wiedervere­ini­gung” der Aseris erschwert. 

Etwa 13 bis 14 Mil­lio­nen­Turkme­nen, Kaschgai und andere Turkvölk­er siedeln östlich des kaspis­chen Meeres — auch hier mit engen ver­wandtschaftlichen Beziehun­gen in die zen­tralasi­atis­chen Turk­staat­en, deren Führer (Turk­men­baschi) sich als Schutzher­ren der iranis­chen Türken verstehen. 

Rund 4,5 Mil­lio­nen Iran­er — also etwa 5 % der iranis­chen Bevölkerung — gehören eth­nisch zu den Arabern, die sich selb­st als “Ahwazis” beze­ich­nen. Sie leben über­wiegend in homo­ge­nen Sied­lungs­ge­bi­eten im Süd­west­en des Irans und an der Golfküste bis zum iranis­chen Hafen Ban­dar Abbas. Bei der iranis­chen Regierung gel­ten diese Araber als anfäl­lig für großara­bis­che Träume. Die zwei Mil­lio­nen Araber in Khuzes­tan — oder Chu­sis­tan — dem antiken Eil­am, soll­ten bere­its unter Iraks “Sad­dam” “heim ins Reich” gebracht wer­den. Sad­dam Land­karten beze­ich­neten die Prov­inz, in der mehr als 80 % des iranis­chen Erdöls gewon­nen wer­den, als “Ara­bis­tan” und der — von den USA heim­lich unter­stützte — Über­fall irakisch­er Trup­pen war dazu gedacht, die Prov­inz mit der Stadt Abadan dem Irak anzugliedern. Im Zusam­men­hang mit dem bürg­erkiregsähn­lichen Chaos im Irak, das die Beset­zung dieses Lan­des durch US-Trup­pen und deren Ver­bün­dete freige­set­zt hat, scheinen auch zunehmende Bombe­nan­schläge in Khuzes­tan zu ste­hen.  Da sich schi­itis­che Irak­er und die Araber Khuzes­tans sehr nahe ste­hen, und Iran immer mehr Ein­fluss im schi­itis­chen Irak gewin­nt, sind seper­atis­tis­che Bewe­gun­gen in Khuzes­tan — die dem Irans wirtschaftliche Exis­tenz bedro­hen würde — nicht real­is­tisch. Den­noch wer­den seit 1999 Hun­der­tausende — inzwis­chen wohl mehr als eine Mil­lion — zwangsweise in ver­schiedene Prov­inzen Irans umge­siedelt und durch Iran­er per­sis­ch­er Abstam­mung erset­zt. Den Arabern wird durch Enteig­nun­gen die wirtschaftliche Exis­ten­z­grund­lage ent­zo­gen. Es ist ver­boten, in der Öffentlichkeit ara­bisch zu sprechen, und der Schu­lun­ter­richt find­et in per­sisch statt, was den Kindern der ara­bis­chen Min­der­heit erhe­bliche Schwierigkeit­en im Bil­dungs­bere­ich bere­it­et. Dies führt zum Wider­stand der ara­bis­chen Bevölkerung, der mit Hin­rich­tun­gen und der Ver­haf­tung ganz­er Fam­i­lien gebrochen wer­den soll. Inzwis­chen wur­den auch schon Anschläge auf die iranis­chen Erdölan­la­gen verübt, um die unter Ben­z­in­man­gel lei­dende iranis­che Wirtschaft und damit auch die Regierung zu tre­f­fen. Iranis­che Regierungsmit­glieder sehen dage­gen Sau­di Ara­bi­en und die USA hin­ter dem zunehmenden Auf­begehren der ara­bis­chstäm­mi­gen Bevölkerung. Iran beschuldigt die irakischen Besatzer als Ans­tifter dieser Anschläge, die allerd­ings mehr in der Strate­gie der Al Quai­da liegen, sun­ni­tis­che und schi­itis­che Araber des Irak in einen Bürg­erkireg zu hetzen.

Chaos und Ter­ror greift auch in der südöstlichen Prov­inz Sitan und Belutschis­tan im Südosten des Lan­des um sich. Sis­tan-Balusches­tan, wie die Prov­inz auch genan­nt wird, gren­zt an Afghanistan und Pak­istan und ist nicht von schi­itis­chen Iran­ern son­dern wie die angren­zen­den Gebi­ete der Nach­barstaat­en von den sprach­lich nahe ver­wandten sun­ni­tis­chen Belutschen bewohnt. Die Gruppe “Dschun­dal­lah” (Gottes­sol­dat­en) ver­sucht hier — wohl mit Unter­stützung der Tal­iban aus Afghanistan und Pak­istan, und unter Inanspruch­nahme der Stammesverbindun­gen, die zu den Belutschen dort beste­hen — für die “Rechte der sun­ni­tis­chen Min­der­heit” Unruhe zu schüren. Dro­gen­han­del, Stamme­spoil­itk und Wege­lagerei haben sich zu einem wirren Gemen­ge­lage verknüpft. 

Die sieben Mil­lio­nen Kur­den im Gren­zge­bi­et zur Türkei und zum Irak bilden die zweit­größte eth­nis­che Min­der­heit des Lan­des. Die Kur­den sind — im Gegen­satz zu Arabern und Turkvölk­ern — eben­falls wie die Pers­er der indoger­man­sichen, sog­ar iranis­chen Sprach­fam­i­lie zuzuordnen. 

Der Vater des jet­zi­gen Regierungss­chefs im irakischen Kur­denge­bi­et, Mas­sud Barsani — Mul­la Mustafa Barsani — war mil­itärisch­er Führer ein­er von den Sow­jets errichteten Kur­den­re­pub­lik mit der Haupt­stadt Mahabad. Die Verbindun­gen unter den Kur­den sind also über die Staats­gren­zen hin­aus — trotz aller Rival­itäten — dur­chaus eng. Allerd­ings sind sich Türken und der Iran einig: ein Seper­atismus der Kur­den wird von kein­er der bei­den so unter­schiedlichen Regierun­gen geduldet. Es bleibt abzuwarten, wie die kün­ftige Entwick­lung der kur­dis­chen Region im Irak ver­läuft. Wirtschaftliche Pros­per­ität und vor allem kul­turelle Autonomie wird auch auf die iranis­chen Kur­den anziehend wirken, poli­tis­che Auot­nomie würde aber einen Sprengsatz nicht nur für den Irak, son­dern auch für den Iran und die Türkei bedeuten.

Mod­erne iranis­che Sprachen
Quelle der Karte: Wikipedia

Iranis­ch­er Sprachraum:
Genau­so wie inner­halb des Staats­ge­bi­etes des Iran fremd­sprachige Völk­er leben, so find­en sich außer­halb des Staats­ge­bi­etes Volks­grup­pen, die eine iranis­che Sprache — bess­er eigentlich einen iranis­chen Dialekt — sprechen. Dieses “iranis­che Sprachge­bi­et” führt über Afghanistan bis zu den Tad­schiken Zen­tralasiens. Noch im 12. Jahrhun­dert waren diese Sprachen ein­heitlich von Per­sien bis Tad­jik­istan in Gebrauch. Erst danach entwick­elte sich über Dialek­te mit unter­schiedlichen Beto­nun­gen und die Auf­nahme von Fremd­wörtern eigen­ständi­ge lokale Sprach­tra­di­tio­nen, die sich in entsprechen­den Stammes­beze­ich­nun­gen wiederfind­en. Als wichtige eth­nis­che Min­der­heit in Pak­istan sind die Belutschen zu erwäh­nen, deren Sied­lungs­ge­bi­et bis in den Südosten Irans reicht. Belutschen sind Mus­lime sun­ni­tis­ch­er Glauben­srich­tung, ihre Sprache, Belutschi, ist ein per­sis­chen Dialekt. Das im Iran gesproch­ene Per­sisch (Far­si) unter­schei­det sich etwas von dem in Afghanistan gesproch­enen Dari. Die Far­si­wan (in deren Eigen­na­men das Wort Far­si für Par­si / Pers­er enthal­ten ist) Afghanistans sprechen die per­sis­che Sprache, und das nahe ver­wandte Paschtunis­che — das gren­züber­greifend bis ins Berg­land Ost­pak­istans gesprochen wird — kön­nte als südost­per­sis­ch­er Dialekt beze­ich­net wer­den, genau­so wie die Tad­jiken — ausser­halb der eigentlichen Repu­bilk Tad­jik­istan gibt es eine große Anzahl von Tad­jiken im Nor­dosten Afghanistans — eine alt­per­sis­che Sprache sprechen.

Reli­gion im Iran:
Der Iran wird in der Wahrnehmung im West­en oft als schi­itis­ch­er Staat gese­hen (siehe unten: Ein­schub — Schi­iten). Tat­säch­lich umfasst der Iran auch andere rel­giöse Traditionen.

Ein­er der Hochre­li­gion de Welt, der Zoroas­tris­mus stammt aus dem Iran. Zarathus­tra (in der griechis­chen Namensform Zoroast­er, per­sisch Zartoscht aus alt­per­sisch Zarathuschtra (Besitzer des gold­far­be­nen Kamels), war Priester und Begrün­der oder Prophet dieser monothe­is­tis­chen Wel­tre­li­gion, der immer noch zehn­tausende von Anhängern ange­hören — die inzwis­chen vor allem auch aus Indi­en bekan­nt sind, die soge­nan­nten Parsen.

Bere­its seit der Antike (“baby­lonis­che Gefan­gen­schaft”) gibt es jüdis­che Gemein­den im Gebi­et des heuti­gen Iran — und in der Frühez­it des Chris­ten­trums waren die (nicht-per­sis­chen, aber iranis­chen) Parther­herrsch­er der Arsaki­den und der Sas­saniden auch Zuflucht­sort für christliche Minoritäten wie die Ari­an­er und es Nesto­ri­an­is­mus, die sich im römis­chen Reich gegen die vorherrschende Lehre der Kirchen nicht durch­set­zen kon­nten. Der „Nesto­ri­an­is­mus“ wurde 484 im Sas­saniden­re­ich zum Beken­nt­nis der Kirche des Ostens. Es ist nicht auszuschließen, dass die Ari­an­isch- und Nesto­ri­an­is­chen Lehren, ins­beson­dere die Ablehnung de “Dreifaltigkeit” (Trinität­slehre) auf Mohammeds Lehre und den Koran Ein­fluss gehabt hat.

Der heutige Islam im Iran wird über­wiegend von der schi­itis­chen Lehre geprägt. Daneben gibt es auch größere sun­ni­tis­che Gemein­schaften und islamis­che Brud­er­schaften oder Orden, denen nach west­lichen Schätzun­gen drei bis vier Mil­lio­nen Men­schen (+/- 1 Mio. Mit­glieder) ange­hören sollen. Beson­ders Intellek­tuelle und Akademik­er sowie — zunehmend — Frauen treten den islamis­chen Ordens­ge­mein­schaften bei, die von der Regierung mit Arg­wohn beobachtet wer­den. Erst im Jahr 2006 wurde das zu einem Kult­ge­bäude umgenutzte Wohn­haus ein­er (der im Iran ver­bote­nen) mys­tis­chen Bruderschaft(en) mit ein­er Gemeinde von etwa 2000 Per­so­n­en unter rig­uroser Gewal­tan­wen­dung geschlossen.