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Innere Unruhen:
Indiens Geburtswehen — am 15. August 1947 wurden um Mitternach zwei neue Staaten geboren — sind von massiven inneren Unruhen begleitet. Britisch Indien hinterließ auf dem Subkontinent zwei Staaten – einen islamisch geprägten, Pakistan – und einen säkularen Staat, Indien.
Die Staatsgründung der „größten Demokratie der Erde“ war mit massiven Bevölkerungsverschiebungen belastet. Hinduistische Minderheiten flohen aus Pakistan, die Anhänger Mohameds flohen aus Indien – und diese Staatstrennung wirkt sich heute noch in einem Dauerkonflikt aus, in Kaschmir.
Religiöse Spannungen – z.B. mit den Sikhs im Amritsar – belasteten die Entwicklung des Staates und führten immer wieder zu Bombenanschlägen, Eisenbahnüberfällen mit Massakern an Fahrgästen sowie regelrechten Straßenschlachten zwischen Hindus (über 80 % der Bevölkerung) und Mohammedanern (die etwa 10 % der Bevölkerung ausmachen), etwa um den Bestand von Moscheen oder hinduistischen Tempelanlagen. Vor diesen religiösen Spannungen treten die überlieferten Konflikte zwischen den Kasten der indischen Gesellschaft und zwischen den Völkern Indiens – nur die nördlichen Bundesstaaten werden von der Hindi sprechenden Bevölkerung bewohnt, die einigende Sprache ist immer noch Englisch – in den Hintergrund. Auch die Unabhängigkeitsbewegungen einiger Völker Indiens, etwa der Naga (1962 befriedet) scheinen der Vergangenheit anzugehören. Eine bedeutende Rolle in diesem “Befriedungsprozess” bildete die Bereitschaft Indiens, ethnischen Minderheiten eigene Bundesstaaten zu gewähren Der Bundesstaat Punjab wurde in zwei Staaten mit jeweils einer Sikh- und Hindu-Mehrheit (Punjab und Harayana) geteilt. Tamil Nadu wurde aus Madras ausgegliedert und den indischen Tamilen somit große Eigenständigkeit gewährt. Der Bundesstaat Bombay wurde in Gujarat und Maharastra geteilt, Assam wurde nach ethnischen Gesichtspunkten aufgeteilt, indem Meghalaya (1971), Manipur und Tripura (1972) und Mizoram (1986) abgetrennt wurden. Goa (1985) und das von China beanspruchte Arunachal Pradesh (1986) wurden eigene Bundesstaaten, Dehli folgte 1998, aus Uttar Pradesh wurde Uttaranchal abgetrennt und Bihar und Madhya Pradesh traten Gebiete für Jharkand und Chjamttisgarh ab. Die jeweils bedachten Minderheiten erhalten dadurch ein gewisses Maß an kultureller Autonomie und wirtschaftlicher Selbstständigkeit. Aufrührler werden erst Chief-Minister des eigenen Landes und — wenn sie die Probleme nicht lösen können — Oppositionsführer von morgen.
Indiens Geburtsväter — Mahatma Gandhi und der am längsten amtierender Premier Jawaharlal Nehru — haben dem Staat nicht nur die Unabhängigkeit gebracht, und eine demokratische Verfassung, sondern es gelang ihnen, im Volk die Grundprinzipien der Demokratie einzuprägen. Die Achtung und der Respekt, den beide den demokratischen Organen und einer unabhängigen Richterschaft entgegen brachten, ist inzwischen tief im Volk verwurzelt. Demokratie ist nicht eine Sache der elitären Oberschicht, sondern auch und gerade eine Angelegenheit der breiten Unterschichten geworden. Während bei der zweiten Wahl von Georg Bush jr. in den USA nur 23 % der Armen wählen gingen — und damit das Geschäft des sozialen Ausgleichs den anderen überließen — nehmen Indiens Arme das Wahlrecht auch unter widrigsten Umständen in Anspruch. Indien hat alle Herausforderungen überstanden, weil Übereinstimmung darin besteht, unterschiedliche Interessen nach demokratischen Regeln zu bewältigen. Nach den Wahlen von 2004 gab die römisch-katholische Wahlgewinnerin Sinja Gandhi den Weg für einen Sikh (Manmohan Singh) frei, der als Premier durch den muslimischen Präsidenten Abdul Kaklam vereidigt wurde. In kaum einem Land der Erde wäre eine solche interreligiöse Toleranz so selbstverständlich möglich gewesen. Heute gilt Indien als die größte und eine der stabilsten Demokratien der Welt.
In den letzten Jahren ist diese Friedfertigkeit aber einem neuen Aufstand gewichen. “Maoistische Guerillas” haben im ländlichen Hinterland zwischen den Bundesstaaten Bihar, Jharkand, Chhattisgarh und Andhra Pradesh zunehmende Erfolge (siehe Indien — Teil 2: Interne und externe Konflikte)