“Nigeria ist bereits jetzt die wichtigste Wirtschaftsmacht Westafrikas. Öl- und Gasvorkommen locken Investoren aus der ganzen Welt. Zugleich aber lebt die Hälfte der Bevölkerung aber in Armut.”
Wirtschaft:
Hinter Südafrika und Ägypten lag Nigerias Bruttoinlandsprodukt (BIP) lange Jahre auf Platz drei der afrikanischen Länder. In Westafrika stellt das Land mit seinen rund 140 Millionen Einwohnern nicht nur knapp 50 Prozent der Bevölkerung Westafrikas, sondern auch über 40 Prozent des BIP aller westafrikanischen Staaten. Nach dem Zusammenbruch der ägyptischen Wirtschaftsleistung durch den “arabischen Frühling” wurde im Jahr 2013 Südafrika überholt. Mit einem BIP für 2013 von 510 Milliarden Dollar (371 Milliarden Euro) wurde Nigeria die 26-größte Volkswirtschaft der Welt.
Nigeria verdankt dies seinen gewaltigen Öl- und Gasvorkommen — die gerade für Europa und Nordamerika “fast vor der Haustüre” liegen. Über 70 Prozent des Ölexports der Region kommen aus Nigeria, das mit einer Tagesproduktion von etwa 2,5 Millionen Barrel weltweit unter den ersten acht der Erdöl produzierenden Länder liegt. 80 Prozent der Staatseinnahmen und 95 Prozent der Deviseneinnahmen stammen aus diesem Sektor.
Die “großen Verbrauchsstaaten” haben “ein Auge” auf die Ölvorkommen des Landes geworfen. Nigeria ist als einziges Land der Region Mitglied der OPEC, die immerhin einen gewissen Schutz der Produzenten gegenüber den Ölkonzernen und Großmächten darstellt. Die nigerianische Regierung ist daher starkem amerikanischen Druck ausgesetzt, die OPEC zu verlassen. Vor allem China bemüht sich zunehmend um diese Ölquellen, die aber genauso dem nordamerikanischen und europäischen Bedarf zugute kommen könnten. Die staatliche chinesische Ölgesellschaft CNOOC erwarb für 2,3 Mrd. $ etwa die Hälfte des OML 130-Ölfeldes und weitere Bohrlizentzen für 4 Mrd. $. Für 2020 wird bis zur doppelten Menge prognostiziert. Die Förderung in Nigeria ist allerdings durch harte gewerkschaftliche Kämpfe und durch Aktionen bewaffneter Gruppen großen Instabilitäten und Risiken ausgesetzt. Der desolate Zustand der eigenen Raffinerien macht es erforderlich, dass Nigeria seinen Kraftstoffbedarf selbst importiert. Nigeria ist — vielleicht sogar gerade wegen seiner Erdölreserven (2,8 % der Weltölreserven)- weiterhin massiven Konflikten ausgesetzt. 1956 — zu Beginn der Ölvörderung — war Nigeria im Pro-Kopf-Einkommen mit Südafrika vergleichbar, das nach 50 Jahren das 23-fache erwirtschaftete. Aus dem einstigen Selbstversorger ist ein Lebensmittelimporteur geworden.
Nigeria deckt 2,5 Prozent des täglichen weltweiten Ölbedarfs (Stand 20007). Der Reichtum des Landes — im Jahre aber 2006 sechstgrößter Ölexporteur der Welt — verschwindet durch Misswirtschaft und Korruption in dunklen Kanälen, während die Bevölkerung leer ausgeht. Die Mangrovensümpfe vor den Küsten sind auf Kilometer vom schwarzen Ölschlick verseucht. Bauern und Fischer leiden unter der grau schwarzen Brühe, die Böden und Wasser vergiftet. Entschädigungen — gar eine Hilfe oder sogar eine Verbesserung der Lebensverhältnisse durch adäquate Arbeitsplätze im Ölsektor sind nur ansatzweise in Sicht. So will Nigerias neue Regierung unter Präsident Umaru Yar’Adua (Stand März 2008) eine staatliche Ölgesellschaft schaffen, um die Gewinne im Land zu behalten und für dessen Aufbau zu nutzen. Der Sektor soll zwar nicht wie in Venezuela verstaatlicht werden, die Dominanz der ausländischen Öl-Giganten wie Shell soll aber eingeschränkt werden.
Nigeria ist vom Ölsektor abhängig. Eine nennenswerte Industrie und eine Diservikation der Wirtschaft besteht nicht. Der Anteil der industriellen Produktion am BIP sank sogar im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts von 36 auf 25 Prozent. 1990 betrug der Anteil der Agrarwirtschaft 40 Prozent am BIP, inzwischen sind es deutlich weniger als 30 Prozent
Während die Politiker an den Schaltstellen der Macht immer reicher werden — Nigeria gehört zu den korruptesten Ländern — ist das durchschnittliche “Pro-Kopf-Einkommen” seit 1980 — damals noch als Agrarstaat — von gut 910 $ bis 2005 auf durchschnittlich 645 $ gefallen. Dann aber über 1.091 Dollar (2009) auf 1.700 Dollar (2013) gestiegen. Die Kluft zwischen den Profiteuren am Ölboom und der breiten Bevölkerung, die unter den Auswirkungen zu leiden hat, ohne selbst einen Teil vom “Ölkuchen” zu erhalten, wird allerdings immer größer.
Zwei Drittel der Nigerianer lebten 2005 unter der Armutsgrenze, die mit einem Einkommen von 1 US-$ je Tag markiert war. Und der Sprung über die Armutsgrenze in die bescheiden wachsende kleine Mittelschicht gelingt nur spärlich – noch 2013 lebten etwa 60 Prozent der Nigerianer in extremer Armut, durchschnittlich von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag. Das Bildungs- und Gesundheitssystem ist katastrophal.
Gewaltakte, Entführungen und Erpressungen prägen die Situation im Erdölfördergebiet, dem Nigerdelta, in dem etwa 80 % der Deviseneinnahmen des Landes erwirtschaftet werden. Mehr als 130 bewaffnete Mililzen, die im Schutz der undurchdringlichen Mangroven operieren, kämpfen um Macht und Reichtum. Sie entführen Ausländer und handeln mit Beute-Benzin. Rebellengruppen oder Räuberbanden — eines der reichsten Länder Afrikas gehört zugleich zu den unsichersten Staaten des Kontinents.
Mitarbeiter ausländischer Konzerne werden entführt, um Lösegelder zu erpressen.
Die Pipelines werden angebohrt, um Treibstoff “anzuzapfen”. Dadurch kommt es immer wieder zu Explosionen — 1996 wurden Tausende Opfer einer solchen Brandkatastrophe, während gleichzeitig die durch mangelhafte Wartung und Sicherheit entstehenden Umweltschäden zu einem ökologischen Desaster führen, das die ursprünglichen Lebensgrundlagen der Menschen — etwa die Landwirtschaft und den Fischfang — zerstört. Auch in den letzten Tagen des Jahres 2006 verursachte eine gewaltige Explosion in der Hafenstadt Lagos den Tod hunderter von Menschen.
Daher soll es bereits Überlegungen geben, US-Stützpunkte in der Region zu errichten. Gleichzeitig wird — u.a. mit US-Hilfe — die Marine des Landes deutlich ausgebaut und so in die Lage versetzt, die Öleinrichtungen vor der Küste des Landes zu schützen.
Externe Links:
Wo es Erdöl gibt, gibt es auch Al Qaida — (www.uni-kassel.de)
Financial Times Deutschland: Nigeria — im Schatten des Ölbooms
Allerdings bemüht sich auch China im Land Einfluss zu gewinnen. Rund 100.000 Chinesen haben sich bereits im Lande niedergelassen — die Mehrheit davon in Lagos. China bemüht sich, gut 50 km östlich der Stadtfür rund 5 Mrd.$ eine Freihandelszone, die “Lekki Free Trade Zone“mit 150 km² zu errichten, die mit chinesischen Investoren zu einer Werkbank für 300.000 Nigerianer werden soll. Ein eigener Tiefseehafen, Wohn- und Erholungsviertel sollen das Gebietnach dem Vorbild von Shenzhenzu einem gigantischen Industriestandort puschen. Nigeria will bis 2030 für über 30 Mrd. US-$ sein marodes Eisenbahnnetz auf Vordermann bringen und hat dazu im Oktober 2009 einen “Vertrag im Wert von 875 Millionen Dollar mit einem Unternehmen in China für die erste Phase der Modernisierung der Eisenbahn in dem Land abgeschlossen”. Die staatliche Ingenieur-Bau-Gesellschaft Chinas wird anstelle der Weltbank die Eisenbahn von Lagos nach Kanor (8,3 Mrd. $) errichten. Ebenso sollen Minna in der Landesmitte und die Hauptstadt Abuja verbunden werden.
Megastadt Lagos:
Die Insel Lagos war vor der europäischen Kolonisierung seit dem 14. Jahrhundert von Fischern besiedelt. Portugiesische Seefahrer gründeten hier eine Niederlassung, die durch Sklavenhandel sehr schnell zu Reichtum und Wohlstand gelangte. Nach der Unabhängigkeit war Lagos bis 1991 die Huaptstadt Nigerias. Mit geschätzten 15 bis 20 Mio. Einwohnern ist Lagos — als “Megastadt” dem indischen Bombay vergleichbar — heute nach Kairo die größte Stadt Afrikas. Die aus Abflussgräben entstandenen Kanäle zwischen den Inseln und durch die Slums der Stadt (mehr als in Venedig) sind neben schrottreifen Kleinbussen Hauptverkehrswege, die von den Armen mit Kanus befahren werden und auch dem Transport von Baumstämmen für die örtliche Holzindustrie dienen.
Während die Megastadt in den eigenen Slums zu ersticken droht, wird im Atlantik vor der Küste auf einer fast 10 km langen, künstlichen Halbinsel ein neues Stadtzentrum errichtet — mit einer Straßenbahn zwischen Hochhäusern, in denen Geschäfte und Wohnungen für “Superreiche” entstehen, incl. dem Ankerplatz für die eigene Yacht im angrenzenden Hafen.