Es ist schon erstaunlich: da „neutralisiert“ die EU NavFor allein im März mindestens 18 Piratengruppen, aber die Anzahl der gemeldeten Überfälle nimmt – zumindest abseits des effektiv patrouillierten Sicherheitskorridors durch den Golf von Aden – sogar noch zu. Fast scheint man geneigt anzunehmen, dass die unverändert politisch verordnete Zurückhaltung beim Vorgehen gegen Piraten im Verein mit den Millionengewinnen aus den Lösegeldern mehr und mehr Somalis ermuntert, sich den Verbrecherbanden anzuschließen. Immerhin sind die persönlichen Risiken sehr gering. Bei weitem nicht alle zu Kaperfahrten aufbrechenden „Pirate Attack Groups“ (PAG – so die offizielle Bezeichnung) werden von den patrouillierenden internationalen Marinen in See gestellt, und nur ein Bruchteil der gefassten Verbrecher kommt dann auch vor ein Gericht. Die weitaus meisten dürfen unbehelligt wieder zur heimischen Küste zurück kehren und sich dort für erneute Kaperfahrten wieder ausrüsten.
Piraten-Mutterboot Bildquelle: franz. Marine |
Strafverfolgung kommt nur für die in Frage, die wirklich unmittelbar auf frischer Tat ertappt werden, und sogar von diesen kommen viele frei, weil nationale Gesetze den sie stellenden Kriegsschiffe ein Festhalten verbieten. Gelegentlich gibt nicht einmal ein Angriff auf ein Kriegsschiff eine „rechtliche Handhabe“. Man stelle sich einen Bankraub vor, bei dem die Räuber zwar von der Polizei gestellt werden, sich vielleicht mit dieser sogar noch einen Schusswechsel liefern, dann aber nach Abgabe von Beute und Waffen ihres Weges (zur nächsten Bank) ziehen dürfen. Vom offiziellen Auftrag der EU NavFor „deter & disrupt piracy“ ist unter derartigen Rules of Engagement sicher nur der zweite Teil erfüllbar – Abschreckung („deter“) findet kaum statt.
Da verwundert denn auch nicht, dass der Kommandeur der EU NavFor, der britische RAdm Peter Hudson, sichtlich frustriert ein deutlich schärferes Sanktionsregime gegen Piraten fordert. Man müsse endlich auch diejenigen vor Gericht stellen, die klar erkennbar Überfälle planen. „Wir finden Waffen, wir finden Enterhaken, und es ist zweifelsfrei klar, dass wir es nicht mit harmlosen Fischern zu tun haben; aber kein Gericht zieht die offensichtlichen Verbrecher zur Rechenschaft.“ Es wäre sicherlich „nützlich, wenn mehr Staaten bereit wären, mutmaßliche Piraten auch schon wegen des Straftatbestandes einer Verschwörung oder der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung“ vor Gericht zu stellen.
Ganz sicher keine harmlosen Fischer Bildquelle: MOD Australia |
Politiker aller am Horn von Afrika aktiven Staaten bemühen gern Statistiken, um den Erfolg ihres „Kampfes gegen die Piraterie“ nachzuweisen. Schaut man sich diese Statistiken allerdings genauer an, dann fällt auf, dass jede Organisation / Nation ihre ureigenen Zahlenwerke erstellt. So finden sich in der Statistik der NATO bei Weitem nicht alle von der EU NavFor gemeldeten Überfälle (und umgekehrt), und mehrere entführte indische Dhaus (s.u.) sind gar nicht aufgeführt. Mit Blick auf Vorjahre (als Zwischenfälle noch in ihrer Gesamtheit erfasst wurden) kann so jeder für sich einen Rückgang der Aktivitäten von Piraten konstatieren. Für den Golf von Aden stimmt das sicherlich; im Somaliabecken scheint tatsächlich das Gegenteil der Fall.
Die Leidtragenden solcher politischen Scharaden sind die Marinen, die in Dauerpatrouillen unter klimatischen Extrembedingungen ihre für ganz andere Aufgaben beschafften, teuren Kampfschiffe „weit unter Wert“ verschleißen, ohne dass Erfolg oder Ende ihrer Missionen absehbar ist — und die Besatzungen dieser Schiffe, die festgesetzte Piraten regelmäßig frei lassen müssen (um sie vielleicht eine Woche später erneut aufzugreifen).
Die „Gesamtstatistik“ der abgelaufenen Woche nennt mindestens drei, vermutlich aber etwa zehn gelungene Entführungen. Dazu gehört das unter der Flagge Panamas fahrende Ro-/Ro-Schiff ICEBERG 1, das am 29. März in Sichtweite des Hafens von Aden gekapert wurde. Einen Tag zuvor brachten Piraten im Somaliabecken ein spanisches Fischereifahrzeug in ihre Hände; am 31. März wurde vor der somalischen Küste das taiwanesische Fischereifahrzeug JIH-CHUN TSAI 68 gekapert; und am 31. März wurde vor Mogadishu die indische Fracht-Dhau AL FARARI entführt. Zugleich gibt es Meldungen, nach denen sechs oder sogar acht weitere indische Dhaus Opfer von Piratenüberfällen wurden. Ganz offenbar machen einige indische Reeder mit „illicit maritime trade“ (um nicht „Schmuggel“ zu sagen) an der somalischen Küste ein gutes Geschäft, und Piraten haben nun wohl entdeckt, dass sich die kleinen indischen Dhaus auch hervorragend als Mutterschiffe eignen; Lösegeld können sie sicher nicht erwarten. In Reaktion auf diese Berichte hat das für die Handelsschifffahrt zuständige indische Ministerium jetzt im Golf von Aden und dem Somaliabecken ein komplettes Fahrverbot für alle indischen Schiffe verhängt. Ob es von den am Rande der Legalität agierenden Reedern befolgt wird, bleibt allerdings abzuwarten.
Die Statistik nennt für die abgelaufene Woche überdies mindestens acht versuchte Überfälle, die an beherzten Ausweichmanövern der anvisierten Opfer scheiterten, in zwei Fällen aber auch von vornherein „untauglich“ waren. So beschossen Piraten am 30. März in der Nähe der Seychellen im Dunkel der Nacht versehentlich das Seychellen-Küstenwachschiff TOPAZ. Im folgenden Feuergefecht wurde ein Skiff versenkt und das Mutterboot in Brand geschossen. Die Piraten konnten sich mit dem zweiten Skiff in die Nacht retten. Einen ähnlichen Irrtum beging am 1. April eine andere Piratengruppe, die kurz nach Mitternacht westlich der Seychellen die US-Fregatte NICHOLAS angriff. Die Feuererwiderung versenkte ihr Skiff; das Mutterboot wurde aufgebracht; fünf Piraten an Bord der Fregatte interniert. Nun wird diskutiert, was mit ihnen geschehen soll.
AL ABI Bildquelle: EU NavFor |
Die spektakulärste Aktion ereignete sich am 29. März vor den Seychellen, und auch hier war die TOPAZ beteiligt. Eine Piratengruppe hatte eine zur Verwendung als Mutterschiff entführte indische Dhau wegen Spritmangel aufgegeben und sofort ein nahes spanisches Fischereifahrzeug gekapert. Die GALATE erwies sich jedoch als zu klein, man beschloss einen erneuten Wechsel, und kaperte das etwas größere spanische Fischereifahrzeug AL ABI. Inzwischen war die EU NavFor aufmerksam geworden. Ein schwedisches Aufklärungsflugzeug führte die TOPAZ an den Ort des Geschehens. Als die TOPAZ Warnschüsse abgab, präsentierten die Piraten Geiseln an Deck und drohten mit deren Erschießung. Das Küstenwachschiff drehte jedoch nicht ab, sondern eröffnete im Gegenteil sofort gezieltes Feuer auf den Rumpf der AL ABI an der Wasserlinie. Piraten und Geiseln sprangen vom sinkenden Schiff ins Wasser, wo alle wohlbehalten aufgefischt wurden. Natürlich wurde der Kommandant der TOPAZ überschwänglich wegen seiner „Geiselbefreiung“ gefeiert; nach dem Lehrbuch verlief diese Aktion jedoch sicher nicht. Hier wurde anscheinend der Tod von Geiseln billigend in Kauf genommen.
Aktuelle Entwicklungen bei Einsatzkräften
LA FAYETTE Bildquelle: US Navy |
Am 26. März hat sich in Rota die spanische Fregatte VICTORIA auf den Weg ans Horn von Afrika gemacht. Das Schiff soll die EU NavFor in „Operation Atalanta“ verstärken. Am gleichen Tag passierte die französische Fregatte LA FAYETTE den Suezkanal; sie soll Schwesterschiff SURCOUF ablösen, neben Anti-Piraterie Operation aber auch im Rahmen der Anti-Terror Operation “Enduring Freedom” (CTF-150) eingesetzt werden.
Die neue Einsatzgruppe der russischen Pazifikflotte mit dem Zerstörer MARSHAL SHAPOSHNIKOV, dem Flottentanker PECHENGA und einem Hochseebergeschlepper hat am 29. März den Golf von Aden erreicht und inzwischen mit Geleitoperationen begonnen.
Am 1. April hat das schwedische Unterstützungsschiff (Minenleger, Schulschiff) CARLSKRONA den Suezkanal mit Kurs auf Djibouti passiert. Dort sind bereits zwei schwedische Hubschrauber AW 109 eingetroffen und werden auf den Einsatzflugbetrieb vorbereitet. Sie sollen auf der CARLSKRONA eingeschifft werden.
Die zivile US Sicherheitsfirma Marque Star hat das 70‑m Schiff ARCHANGEL MICHAEL gekauft und will es (leicht bewaffnet) Reedereien zum Geleit durch die piratengefährdeten Gewässer am Horn von Afrika anbieten.
In Kooperation mit “MarineForum — Zeitschrift für maritime Fragen”
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