Überseepräsenz: Der Zwischenbericht bestätigt die in der maritimen Strategie festgelegte Ausweitung der internationalen Kooperation, sowohl auf dem Ausbildungs- wie auf dem Einsatzsektor. Der ständigen und der bedarfsbedingten Entsendung amerikanischer Seestreitkräfte – ob Navy, Marine Corps oder Coast Guard – wird im NOC-Zwischenbericht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Hierbei werden zwei wesentliche Punkte betont: die physische Präsenz amerikanischer Seestreitkräfte in bestimmten, als kritisch eingestuften Regionen sowie größere Flexibilität bei der Zusammenstellung und Entsendung von Streitkräften im Bedarfsfall.
Auf See befindliche Kräfte werden auf ad hoc Basis, der jeweiligen Einsatzanforderungen entsprechend, teilstreitkraftgemeinsam und ohne Rücksicht auf geografische Zuständigkeitsgebiete der verschiedenen regionalen Oberkommandos, zu Einsatzgruppen umgebildet. Dies kann die Aufspaltung größerer Verbände in verstreut agierende autonome Kleinverbände bedeuten; andererseits wird auch ausdrücklich aufgeführt, dass künftig auf See befindliche Flugzeugträgergruppen und ESG-Einsatzgruppen (Expeditionary Strike Group – aus amphibischen Kriegsschiffen, konventionellen Kriegsschiffen und einem Unterseeboot zusammengestellte Verbände) »periodisch« zu größeren expeditionären Kriegsverbänden zusammengestellt werden sollen;
Seestreitkräfte werden positioniert, um eine größere Rolle bei der Bekämpfung des Terrorismus einzunehmen. Kooperatives Engagement und gemeinsame Einsätze zugunsten der maritimen Sicherheit werden vorwiegend in den Regionen Afrika, Persischer Golf, Südostasien, Zentralamerika/Karibik sowie Mittelmeer und Schwarzmeer stattfinden;
So genannte globale Flottenstationen sollen – zwecks Ausbildungskooperation, Partnerschaftspflege sowie aus politischen Signalgründen – in Südwestasien (sprich: Großraum Persischer Golf), Südostasien, Afrika sowie im Gebiet Zentralamerika/Karibik errichtet werden. Sie werden durch die turnusmäßige Entsendung einzelner oder weniger US-Schiffe in die fragliche Region gebildet.
Im Mittelmeer wird wieder eine »dauerhafte« Kräftepräsenz etabliert. Dies lässt sich grundsätzlich nur so verstehen dass die 6. Flotte (Sitz: Neapel) wieder eigene Schiffe erhalten soll, die permanent in Italien stationiert werden. Diese Aussage des NOC ist auch im Einklang mit der Aussage des Kommandeurs der 6. Flotte, Vice Admiral James Winnefeld, der bereits im Sommer 2008 den Aufbau einer »robusteren Einsatzpräsenz der US-Marine, der Marineinfanterie und der Küstenwache« voraussagte [»Neuausrichtung der maritimen Strategie der USA«, MarineForum 9–2008, S. 10f].
Das Dokument stellt fest, dass die dort stationierten Kräfte eine sofortige Krisenentsendung sowohl im Mittelmeerraum wie in den umliegenden Littoralgewässern gewährleisten sollen. Dies deutet eine stärkere Anteilnahme der Navy (und der USA) an der Sicherheitslage im Großraum Kaukasus/Schwarzmeer an. Die Kräfte sollen ferner bereitstehen, die 5. Flotte im Indischen Ozean und an der afrikanischen Westküste zu verstärken. Es ist davon auszugehen, dass diese Einheiten in den benannten Regionen schwerpunktmäßig an der Terror- und Proliferationsbekämpfung (maritime Sicherungsaufgaben) sowie an humanitären Aktionen (inklusive Evakuierung ausländischer Zivilisten aus Krisengebieten) teilnehmen. Das Dokument deutet auch an, dass eine seegestützte ballistische Raketenabwehr zum Schutz Europas vor Raketen aus dem Mittleren Osten ebenfalls zu den künftigen ständigen Aufgaben der 6. Flotte gehören wird (s.u. „Abschreckung“).
Ausbildungshilfe in Afrika Quelle: US-Navy |
Diese »ständige Präsenz« wird mit Sicherheit auch der zunehmenden US-Interaktion mit Afrika dienen. Das in Deutschland (Stuttgart) ansässige US-Afrika-Oberkommando wird in absehbarer Zeit keine ständigen Stützpunkte auf dem schwarzen Kontinent erwerben, stellte dessen Oberbefehlshaber, General William Ward, im Oktober erneut fest. Kriegsschiffe und Coast Guard Einheiten, die sich an Ausbildungs- und Präsenzprogrammen vor Afrika beteiligen, werden bereits derzeit durch die 6. US-Flotte geführt.
Die Zusammensetzung der neuen dauerhaften Mittelmeerpräsenz wird im NOC-Zwischenbericht nicht im Detail angegeben. Das beschriebene breite Aufgabenspektrum lässt allerdings auf ein ausgewogenes Flottenkontingent schließen, das sowohl konventionelle Überwasserkriegsschiffe ebenso wie speziell ausgerichtete Raketenabwehrschiffe, amphibische Schiffe (inklusive einsatzbereiter Marineinfanterie), sowie Einheiten der Coast Guard umfasst. Auch hier kann wieder Admiral Winnefeld zitiert werden, der im Sommer für eine frühest mögliche Rückkehr einer ständigen Präsenz amphibischer Einsatzkräfte in das Mittelmeer plädierte.
Der NOC-Zwischenbericht fordert die Entwicklung innovativer Konzepte, um die Zerstörungskraft und Vielfalt der verfügbaren Mittel zur Machtprojektion zu erhöhen. Hier wird u.a. vorgeschlagen:
Die Ausstattung von amphibischen Schiffen mit offensiven Raketen, Jagdbombern und unbemannten Systemen, um eine breitere Palette offensiver Einsätze durchzuführen;
Das Führen eines Kontingents Marineinfanteristen und eines Landungsbootes durch konventionelle Überwasserkampfschiffe, damit diese Einheiten zusätzlich zu ihrer bisherigen Einsatzpalette auch Erkundungseinsätze und schnelle Angriffe gegen Punktziele an der Küste durchführen, umfassendere amphibische Einsätze vorbereiten, S&R/Bergungseinsätze an Land leisten oder effizientere Evakuierungseinsätze durchführen können.
Langfristig könnten laut NOC-Zwischenbericht diese Überlegungen zur Entwicklung neuartiger Schiffskonzepte führen, die für ein breites Einsatzspektrum ausgerichtet wären, inklusive amphibischer Einsätze, dem Führen offensiver Raketen und einer begrenzten Anzahl [eventuell unbemannter] Jagdbomber sowie einer Führungs- und Logistikfunktion.
Seeherrschaft
Das Dokument stellt unter der Überschrift »Sea Control« fest, dass gegenwärtig wenige Bedrohungen bestehen, die die freie Fahrt der US-Navy auf hoher See behindern können; es warnt jedoch, dass »Bedrohungen der nächsten Generation versuchen werden, unsere Transitfähigkeit auf hoher See zu behindern«. Mehrere Gefahrenquellen sowohl auf hoher See wie in den Küstengewässern werden aufgeführt:
Der Aufstieg einer ebenbürtigen konventionellen Seemacht (es werden in diesem Kontext mit Vorbedacht keine Staaten genannt);
Anhaltende Engpässe in der Minenbekämpfung auch nach Einführung der LCS-Klasse (Littoral Combat Ship);
Das Potenzial nicht-staatlicher Akteure wie Hizbollah, Kriegsschiffen den Zugang zu Küstengewässern zu versagen;
Der Einsatz feindlicher Schnellboote in Küstengewässern und Meerengen (das Dokument zitiert ausdrücklich das diesjährige aggressive Verhalten iranischer Boote gegen US-Kriegsschiffe in der Straße von Hormuz als Versuch, amerikanische Einsatztaktik und Technologie zu prüfen);
Technologische Bedrohungen gegen elektronische Aufklärungs‑, Kommunikationsund Führungssysteme und Satelliten.
Abschreckung
US-Kreuzer bei ABM-Test Quelle: US-Navy |
Das NOC-Dokument betont unter der Überschrift »Deterrence« die Bedeutung der seegestützten nuklearen Abschreckung (SLBM), plädiert jedoch auch für die Beschaffung zusätzlicher konventioneller U‑Boot-gestützter Raketen mit globaler Reichweite.
Gleichzeitig wirbt der Zwischenbericht für die Ausweitung der seegestützten Abwehr feindlicher ballistischer Raketen. Ausdrücklich wird der Einsatz der seegestützten ABM im Westpazifik, im Mittleren Osten und in Europa (sprich: Mittelmeer) angekündigt. Die Beschaffung zusätzlicher Einheiten mit ABM-Raketen soll die bedrohungsbedingte globale Entsendungsbereitschaft dieser Abwehrfähigkeit ermöglichen.