Bis 2020 strategische Streitmacht
Die mit dem “Drei-Säulen-Konzept” beschlossenen Vorhaben werden — mit den genannten Abstrichen — sehr zügig realisiert. Aber schon Mitte der 90-er Jahre, während die EILAT-Korvetten noch zulaufen, sieht die israelische Marine ihre Bemühungen um eine Aufwertung gegenüber den beiden anderen TSK zunehmend wieder “verpuffen”. Im Verteilungskampf um den schrumpfenden Verteidigungshaushalt gerät sie erneut ins Hintertreffen. Ihr stellvertretender Befehlshaber, RAdm Joseph Levy, klagt 1995 öffentlich, dass es der Marine “im Gegensatz zu Land- und Luftstreitkräften noch immer nicht gelungen sei, ihre Rolle als gleichberechtigte Komponente im Sicherheitskonzept Israels deutlich zu machen”.
Beobachter sprechen damals von einer “tief greifenden Identitätskrise”. Ohne Lobby im Verteidigungsministerium und ohne die Unterstützung führender Politiker werde es für die Marine immer schwieriger, die für Betrieb und Erneuerung der Flotte benötigten Mittel zu erhalten. Bei zukunftsweisenden Vorhaben werde sie so zu Kompromissen gezwungen, die im Grunde schon einer Aufgabe der Planung gleichkämen.
Dies soll sich nun aber ändern. Seit etwa vier Jahren propagiert die israelische Marine öffentlich eine eigene strategische Rolle. So denkt sie “laut” darüber nach, ob und ggf. wie sie sich sinnvoll in die geplante nationale Raketenabwehr (TBMD — Theatre Ballistic Missile Defence) einbringen kann. Untersucht wird u.a. ob man das landgestützte, mobile amerikanisch-israelische Raketenabwehrsystem Arrow auch an Bord der EILAT-Korvetten einrüsten könnte. (Anm.: derartige Untersuchungen soll es schon Mitte der 90-er Jahre gegeben haben, damals mit dem Ergebnis, dass es prinzipiell zwar machbar, angesichts zu hoher Kosten aber wirtschaftlich nicht vertretbar sei.) Im Verteidigungsministerium bremst man und weist auf das Einsatzkonzept für Arrow hin, das ausdrücklich eine Stationierung in Bedrohungsrichtung vorsieht — und für Israel sei derzeit ausschließlich eine Bedrohung aus Osten und nicht aus der Richtung des Mittelmeeres erkennbar.
Im September 2000 sind dies für Marinebefehlshaber VAdm Yedidia Ya´ari noch bloße “Marine-interne Gedankenspiele”. Einen Auftrag dazu gebe es nicht, und die finanziellen Mittel ermöglichten ohnehin nur theoretische Studien. Vielleicht könnten sie “innerhalb eines Jahrzehntes in ein reales Vorhaben münden”. Nicht zuletzt wohl auch in der Folge der Ereignisse vom 11. September 2001 geht es dann aber doch erheblich schneller. Schon im Frühjahr 2002 gibt Generalstabschef GenLt Shaul Mofaz der Marine grünes Licht für die “Entwicklung einer Planung zum Umbau zur strategischen Streitmacht”. Ein erster Entwurf soll bereits gebilligt sein.
Dieser soll vorsehen, “bis 2020 ein Drittel der strategischen Kapazität der israelischen Streitkräfte auf die Marine zu transferieren”. Sie soll mit neuen Korvetten und U‑Booten befähigt werden, sich von See her in Operationen an Land zu integrieren, Ziele bis zu einer Tiefe von 300 km in das Hinterland einer Küste zu bekämpfen, Bedrohungen aus Iran, Irak und Libyen zu begegnen und auch in den Indischen Ozean (und den Persischen Golf ?) hinein zu wirken. National eigenständig sollen “Tomahawk vergleichbare” Marschflugkörper entwickelt werden. Auch seegestützte TBMD-Fähigkeit soll sich im Konzept finden.
Multi Mission Combat Ships
Im Dezember 2003 wird die Beschaffung von zunächst zwei vorläufig als SA´AR-5-II bezeichneten neuen “Multi Mission Combat Ships” (mit Option für eine dritte Einheit) gebilligt. Erste Mittel sollen bereits im Haushalt eingestellt sein, die Schiffe ab 2009 zulaufen. Die Benennung eines Hauptauftragnehmers wird zum Jahresende erwartet; bei Finanzierung aus US-Militärhilfe ist Vergabe an eine US-Werft anzunehmen.
Um das mit etwa 1 Mrd. Euro dotierte Vorhaben bewerben sich u.a. das Advanced Frigate Consortium AFCON (mit Lockheed Martin, General Dynamics, Bath Iron Works und der spanischen Izar) sowie — mit einem gemeinsamen Entwurf — Northrop-Grumman, Raytheon und Israels Elta Electronic Industries. AFCON schlägt offenbar ein Design auf der Basis der spanischen Aegis-Fregatte Typ F‑100 (ALVARO DE BAZAN) vor; die Konkurrenz will wohl ein stark modifiziertes EILAT-Design mit integrierter Technologie der neuen US-Zerstörergeneration DD(X) anbieten. Mit etwa 2.800 ts werden die SA´AR-5-II deutlich größer als die EILAT-Korvetten.
Zur Ausrüstung wird auf jeden Fall ein Phased Array Radar sowie Aegis bzw. ein vergleichbares Gefechtsführungssystem gehören. U‑Jagdfähigkeit (Bordhubschrauber, Torpedos, Rumpfsonar) findet sich ebenfalls im Katalog. Als Bewaffnung werden 16 (!) Seeziel-FK Harpoon genannt. Daneben soll die israelische Marine ein Senkrechtstartsystem VLS Mk-41 (32 Zellen) fordern, aus dem von Barak über Arrow bis hin zu Landziel-Marschflugkörpern eine Vielzahl unterschiedlichster FK verschossen werden können.
Israel Aircraft Industries (IAI) hat mit der Entwicklung eines neuen Flugkörpers ASAM (Advanced Naval Attack Missile) begonnen, der neben den neuen Schiffen auch auf den Korvetten der EILAT-Klasse (jeweils 16) installiert werden soll. Details zu ASAM sind noch nicht bekannt. Von IAI für die israelische Marine durchgeführten Studien sollen jedoch Hinweise liefern, dass der mit einem kombinierten Radar/Infrarot-Zielsuchkopf versehene Flugkörper bei einer Reichweite von über 200km auch gegen Landziele einsetzbar sein wird. Erwartet wird auch ein Ziel-Endanflug mit steilem Winkel sowie die Fähigkeit, vor der Bekämpfung eines Zieles noch “Warteschleifen” zu fliegen. Sicher wird man auch bemüht sein, eine U‑Boot-gestützte Version von ASAM zu entwickeln; und auch eine Bestückung mit nuklearem Gefechtskopf ist — trotz aller derzeitigen israelischen Dementis — zumindest nicht gänzlich unwahrscheinlich.
Wunsch nach weiteren DOLPHIN
Anfang 2003 berichten israelische Medien über die begonnene Erarbeitung eines Beschaffungsantrages für zwei (oder drei) weitere, in Deutschland zu bauende U‑Boote der DOLPHIN-Klasse. Probleme bereitet allerdings deren Finanzierung. Während die ersten drei DOLPHIN bei deutscher Kostenübernahme ja “Geschenk” waren, müssen die jetzt gewünschten weiteren U‑Boote bezahlt werden. Die notwendigen etwa 800 Mio. Euro gibt der israelische Verteidigungshaushalt aber nicht her. So sucht man zunächst nach Geldgebern und hofft, dabei vor allem in den USA — oder erneut in Deutschland — fündig zu werden. Das Ergebnis dieser Suche bleibt abzuwarten.
Bei der Betrachtung der gewünschten künftigen strategischen Rolle israelischer U‑Boote drängen sich Gedanken über ihre Stationierung auf. Die 2002 genannten Ziele (Iran, Irak, Indischer Ozean) können von U‑Booten nur dann effektiv abgedeckt werden, wenn diese kurzfristig und unerkannt (getaucht) dorthin verlegen können und auch nicht zunächst den Suezkanal passieren müssen. Dies ist bei Stationierung in Haifa nicht möglich.
Logische Konsequenz wäre der Aufbau einer zweiten U‑Bootbasis, z.B. in Eilat. Hinweise auf eine solche Planung gibt es derzeit nicht. Es fällt jedoch auf, dass zwei der nach dem Zulauf von DOLPHIN “überflüssig gewordenen” U‑Boote der GAL-Klasse, für die man auch schon einen Käufer gesucht hatte, seit Dezember 2003 bei HDW in Kiel grundüberholt und vermutlich auch modernisiert werden. Medienmeldungen nennen dazu “eigenen israelischen Bedarf”. Bei ihren speziellen Fähigkeiten zu Kommandounternehmen sind die GAL im Mittelmeer (Gaza, Libanon) sicherlich auch weiterhin von hohem Nutzen, und könnten hier auch für DOLPHIN vorgesehene Rollen übernehmen.
Damit böte sich eine Zweiteilung der U‑Bootkomponente an — mit (taktisch-operativen) GAL im Mittelmeer und (strategischen) DOLPHIN am Roten Meer. Strategische Aufgaben (incl. TBMD) in der Mittelmeerregion kämen in dieser Konstellation vorzugsweise den neuen Kampfschiffen zu. Dies sind aber — wohlgemerkt — reine Gedankenspiele des Autors. Möglich wäre auch, dass die GAL jetzt nur deshalb behalten werden, weil man zwar weitere U‑Boote benötigt, sich vom Gedanken an neue DOLPHIN aber unter finanziellen Zwängen bereits wieder “gedanklich verabschiedet”.