Kosovo — Die Unabhängigkeit des Kosovos — Ein kritischer, historischer Rückblick

Inhalt/Gliederung:
1.) Die Unab­hängigkeit des Kosovos im Kon­text des Zer­falls Ex-Jugoslaw­iens
– Auf­brausender Nation­al­is­mus als poli­tis­che Waffe und Instrument

2.) Die Schwierigkeit, „richtige“ Poli­tikentschei­dun­gen zu treffen

3.) Die Kosovoin­t­er­ven­tion – Human­itäre Inter­ven­tion oder macht­poli­tis­che Inter­ven­tion?
Die Grund­la­gen im mod­er­nen Völkerrecht

4.) West­liche Balka­n­poli­tik in den 90er Jahren – Zuschauen und Abwarten in Bosnien- Herzegowina

5.) Die Genese des Koso­vokon­flik­tes als macht­poli­tis­che und human­itäre Inter­ven­tion zugun­sten der Kosovoalbaner

6.) Die Inter­ven­tion, die fehlende konzep­tionelle Nach­sorge und die daraus resul­tieren­den Folgen

7.) Die Unab­hängigkeit des Kosovos als Folge plan­los­er west­lich­er Politik

7.) Die Unab­hängigkeit des Kosovos als Folge plan­los­er west­lich­er Politik

Als Ergeb­nis dieser Inter­ven­tion hat­ten nun die NATO und damit die west­liche Staatenge­mein­schaft die Ver­ant­wor­tung für das Koso­vo über­nom­men. Es zeigte sich schnell, dass man mit der UCK aber keinen vorzeig­baren und ver­lässlichen Part­ner hat­te. Die ein­seit­ige und deut­liche Parteinahme für die Albaner kostete let­ztlich einen hohen poli­tis­chen Preis, ins­beson­dere wenn man an das Motiv der Sicherung der Men­schen­rechte und der Ver­hin­derung ein­er Human­itären Katas­tro­phe denkt: Nach dem Abzug ser­bis­ch­er Sicher­heit­skräfte wur­den statt der Albaner nun die Ser­ben ver­fol­gt und ange­grif­f­en, die im Koso­vo verblieben waren. Statt wie gewün­scht endlich die Men­schen­rechte, dominierten nun weit­er­hin Krim­i­nal­ität und Rachege­füh­le und die Gewalt wurde umgekehrt und richtete sich nun gegen die Ser­ben. Von den gut 200.000 Ser­ben vor dem Kon­flikt sind daher als Ergeb­nis nur rund die Hälfte im Koso­vo verblieben, knapp 120.000, und diese lebten und leben unter ständi­gem Schutz der KFOR NATO-Truppe. Der Rest floh aus Angst vor Ver­fol­gung und Repres­sion der Albaner nach Ser­bi­en. Als Ergeb­nis wur­den damit die Eth­nien doch getren­nt im Koso­vo.
Trotz der Etablierung ein­er UN-Ver­wal­tung und ein­er UN-Polizei, trotz des Vorhan­den­seins Zehn­tausender Sicher­heit­skräfte, wurde aus dem Koso­vo ein Drehkreuz für Krim­inelle und Men­schen­händler, in dem eth­nis­che Gewalt zwis­chen Albanern und Ser­ben immer wieder aufkochte. Die let­zte große Erup­tion stell­ten dabei die März-Unruhen 2004 dar, bei denen es eini­gen Kontin­gen­ten der KFOR — Truppe ganz und gar nicht gelang, die auf­ständis­chen Albaner zu befrieden und aufzuhal­ten. Dazu gehörten auch die deutschen Ein­heit­en, deren RoE (Rules of Engage­ment) nicht auf einen solchen Vor­fall aus­gelegt waren. Es stellt sich aber die Frage, was man denn wohl son­st in so einem Krisen­ge­bi­et erwartet hätte?
Im Ergeb­nis ist Koso­vo poli­tisch insta­bil und kaum wirtschaftlich lebens­fähig angesichts gut 60%-80% Arbeit­slosigkeit und ein­er mehr als dom­i­nan­ten Schat­ten­wirtschaft. Zudem gin­gen aus dem Koso­vo auch Impulse für die Desta­bil­isierung des eben­so mul­ti­eth­nis­chen Maze­doniens aus, die 2003 beinah zu einem Bürg­erkrieg zwis­chen den slaw­is­chen und alban­is­chen Maze­doniern geführt hät­ten. Das Über­sick­ern alban­is­ch­er Unter­grund­kämpfer und Waf­fen nach Maze­donien wurde zunächst nicht ener­gisch genug unter­bun­den. Erst spät grif­f­en die NATO und die USA ein und erst spät kon­nten sie mäßi­gend auf die maze­donis­che Regierung und die Auf­ständis­chen und deren Hin­ter­män­ner ein­wirken. Zudem sick­erten zeitweise alban­is­che Kämpfer auch ins ser­bis­che Gren­z­land des Kosovos ein, wo auch Albaner leben. Man ver­mied es seit­ens der west­lichen Staatenge­mein­schaft tun­lichst zu sehr in die inneren alban­is­chen Angele­gen­heit­en und Struk­turen des Kosovos einzu­greifen und die alten Macht­cliquen und Seilschaften aus dem Umfeld der UCK zu zer­schla­gen oder zumin­d­est zu schwächen. Stattdessen blieben sie nach dem „gewon­nen Kampf“ gegen die Ser­ben poli­tisch sehr präsent und bedeu­tend, auch im Ver­gle­ich zu den koso­vo-alban­is­chen Poli­tik­ern aus den Zeit­en des friedlichen Wider­standes bis 1998. Aus der UCK wurde dabei ein „ziviles“ Schutzko­rps, das auf diese Weise in die poli­tis­che Struk­tur des von der UN ver­wal­teten Kosovos inte­gri­ert wurde.
Auf­grund der zahn­losen UN-Ver­wal­tung UNMIK, entwick­elte sich eine Schat­ten­wirtschaft und krim­inelle Halb­welt, die beste Kon­tak­te zu den „offiziellen“ alban­is­chen Stellen und Poli­tik­ern unter­hielt. Hier­bei spiel­ten eben ins­beson­dere alte UCK-Verbindun­gen und Seilschaften immer wieder eine große Rolle, denn aus diesem Umfeld speis­ten sich primär die Verbindun­gen von Poli­tik und Unter­welt. Dies ist aber lei­der ein Phänomen, was so nicht auf das Koso­vo beschränkt ist, son­dern auch auf dem übri­gen Balkan und ander­swo gefun­den wer­den kann — auch in anderen Staat­en gibt es natür­lich sehr zwielichtige und enge Verbindun­gen zwis­chen der Poli­tik und der Unter­welt. Allerd­ings — und diesen Punkt muss man im Rah­men der ganzen Entwick­lung beto­nen — sind diese Verbindun­gen und Zustände im Koso­vo unter den Augen der UN-Polizis­ten und der dafür laut Selb­st­beschrei­bung nicht zuständi­gen KFOR-Trup­pen ent­standen und mehr als offen­sichtlich und dominierend. Auch dies ist kein Ruhmes­blatt für den West­en und seine Human­itäre Inter­ven­tion im Koso­vo. Krim­i­nal­ität und weit­ere eth­nisch — motivierte Gewalt und Vertrei­bung seit­ens der Kosovoal­baner waren auch die Fol­gen dieser Human­itären Inter­ven­tion, nicht nur die Befreiung der Kosovoal­baner von der ser­bis­chen Unterdrückung.

Inwiefern das ganze Unternehmen nun poli­tisch ein Erfolg war angesichts dieser ambiva­len­ten Bilanz, das sei daher dahingestellt, ins­beson­dere im Licht der aktuellen uni­lat­eralen Unab­hängigkeit­serk­lärung der Kosovoal­baner.
Im Falle des Kosovos, wie beim ganzen Balkankon­flikt, fehlte eine über­dachte, langfristige Strate­gie des West­ens (also der EU und der USA). Es wurde viel zu spät und dann zu kurzfristig und dabei auch zu macht­poli­tisch-oppor­tunis­tisch und zu ein­seit­ig gehan­delt. Man hat­te ein­fach viel zu lange gewartet mit dem Ein­greifen. Anstatt von Anfang an die Prob­leme anzuge­hen auf dem Balkan, solange sie noch friedlich bee­in­fluss­bar waren, wartete man zu lange. Man inter­ve­nierte erst dann, als die Gewalt und der Hass und die Prob­leme schon une­in­grenzbar am Eskalieren waren. Let­ztlich zahlte man daher mit dem Koso­vokon­flikt und seinen neg­a­tiv­en Fol­geprob­le­men auch mit den Preis für eine län­gere west­liche Untätigkeit zu Beginn der 1990er Jahre. Zudem ver­lief die Inter­ven­tion selb­st so, dass Fol­geprob­leme unver­mei­d­bar waren: Da das Ziel der Inter­ven­tion primär die Schwächung Ser­bi­ens und möglicher­weise auch Regime change in Bel­grad war, achteten ger­ade die USA zu wenig auf eine kri­tis­che Dis­tanz zu ihren Ver­bün­de­ten der UCK. Man wurde zu partei­isch und geri­et so in die Dynamik des längst schon eskalierten Kon­flik­tes zwis­chen Ser­ben und Albanern, zwis­chen ser­bis­chem Nation­al­is­mus und alban­is­chen Nation­al­is­mus. Dabei fehlte ger­ade nach der Inter­ven­tion im weit­eren Ver­lauf der Entwick­lung eine kri­tis­che und durch­greifende Poli­tik gegenüber den Kosovoal­banern und das mögliche Aufzeigen von Gren­zen gegenüber ihren Forderun­gen. Man verzichtete aus poli­tis­ch­er Oppor­tu­nität darauf, gegenüber den alban­is­chen Ver­fehlun­gen eine entsch­iedenere Poli­tik zu fahren. Der West­en und die UN erwiesen sich nach der Inter­ven­tion als zahn- und macht­los im Koso­vo, als bloße nach­sichtige Auf­pass­er und Auf­bauer, obschon 1999 die NATO ihre Macht gegenüber Ser­bi­en noch hat­te zeigen kön­nen. Aber aus fehlen­der Konzep­tion, poli­tis­chem Willen und Überzeu­gung verzichtete man auf ein stärk­eres Ein­wirken auf die Kosovoal­baner. Hier fehlte wie so oft ein­fach eine nach­haltige, vor­beu­gende Per­spek­tive und Strate­gie, die Prob­leme schon vor dem Aus­brechen anzuge­hen. Aber man wartet eben lieber darauf, dass das Kind sprich­wörtlich in den Brun­nen gefall­en ist, man han­delte primär nur reak­tiv. Da man also aus Abnei­gung vor Kon­flik­ten mit den Albanern sie poli­tisch weitest­ge­hend gewähren ließ, wurde auch ihr Unab­hängigkeitsstreben nie ern­stlich wider­sprochen von Seit­en des West­ens. Dass die ein­seit­ige Parteinahme damit schon 1999 die Unab­hängigkeit des Kosovos vorze­ich­nete, kann daher heute dur­chaus als sich­er ange­se­hen wer­den – die weit­eren Geschehnisse bestäti­gen dies ja. Man ver­suchte viel zu sel­ten entsch­ieden Ein­fluss auf die Albaner zu nehmen und auch ihnen Zugeständ­nisse und Verpflich­tun­gen zu ent­lock­en.
Dieser Gang der Ereignisse führte damit in sein­er inhärenten Logik zu der prob­lema­tis­chen ein­seit­i­gen Unab­hängigkeit­serk­lärung der Albaner und machte sie damit erst möglich. Die sich mit der Unab­hängigkeit­serk­lärung also ergeben­den Prob­le­men mit dem „neuen“ Ser­bi­en, die mögliche Desta­bil­isierung des Balka­ns und der dor­ti­gen Grenzziehung und die Infragestel­lung völk­er­rechtlich­er Regelun­gen und der sich dadurch ergeben­den poli­tis­chen Kon­flik­te und Prob­leme ander­swo in der Welt (Beispiel: Abchasien und Osse­tien für Georgien, die Repub­li­ka Srp­s­ka für Bosnien) sind also let­ztlich wieder Fol­geprob­leme und Ergeb­nisse, die seit­ens der west­lichen Staat­en in ihrer Poli­tik gegenüber den Koso­vo-Albanern und gegenüber Ser­bi­en nicht genü­gend gese­hen und berück­sichtigt wur­den. Aus dem west­lichen Ver­such her­aus, im „befre­it­en“ Koso­vo nach 1999 weit­ere poli­tis­che Prob­leme mit den Kosovoal­bern und die damit ver­bun­de­nen Kosten und Opfer zu ver­mei­den, eröffneten sich mit der daraus fol­gen­den ein­seit­i­gen alban­is­chen Unab­hängigkeit­serk­lärung neue Prob­lem­felder.
Poli­tik kann natür­lich nie völ­lig frei sein von unge­woll­ten schlecht­en Neben­fol­gen, daher möchte ich meine Kri­tik doch etwas rel­a­tivieren. Ander­er­seits sollte man doch mehr darauf aus sein, so offen­sichtliche und deut­liche Prob­leme und Neben­fol­gen stärk­er zu bedenken und bess­er zu begeg­nen zukün­ftig. Denn die Absicht der Koso­vo-Albaner, unab­hängig zu wer­den, war mit all ihren schwieri­gen poli­tis­chen und völk­er­rechtlichen Umstän­den, Fol­gen und Imp­lika­tio­nen schon sehr, sehr lange in den west­lichen Haupt­städten bekan­nt. Und doch blieben die Ver­suche, hier einen Kom­pro­miss zu find­en, let­ztlich schwach und ohne Druck seit­ens des West­ens auf die Albaner.
Und daher haben wir nun ein halb­sou­veränes, hal­bun­ab­hängiges Koso­vo als west­lich­es EU-Pro­tek­torat, eine völk­er­rechtliche Rar­ität. Es wird der EU in Zukun­ft sich­er noch in eini­gen Hin­sicht­en (intern wie auch in der Außen­poli­tik) so einige Sor­gen bere­it­en, dies kann man als Aus­blick in die Zukun­ft als sich­er ansehen. 

Team GlobDef

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