Iran — Maritime Dimension der Aufrüstung und Entwicklung des Irans

Die iranis­chen Seestre­itkräfte als Stützpfeil­er ein­er indi­rek­ten Gesamt­strate­gie
Die Seestre­itkräfte des Iran sind gegen­wär­tig nicht in der Lage, auf direk­tem Wege einen wesentlichen Beitrag zur Erlan­gung der durch die Staats­führung angestrebten Vor­ma­cht­stel­lung am Per­sis­chen Golf zu leis­ten. Zu mächtig sind die in vie­len Belan­gen hoch über­lege­nen Seestre­itkräfte der USA, zu eng die Verbindun­gen der Vere­inigten Staat­en zu vie­len ara­bis­chen Län­dern und zu wenig schlagkräftig sind die bei­den Mari­nen des Iran, als dass sie die dauer­hafte mar­itime Herrschaft über diese weltwirtschaftlich bedeut­same Region erlan­gen kön­nten. Erst die ver­stärk­te Hin­wen­dung zur asym­metrischen Seekriegführung ver­set­zt den Iran über­haupt in die Lage, eine ern­sthafte Gefährdung für einzelne Ein­heit­en der US-Flotte am Per­sis­chen Golf aufzubauen. 

Eine wesentlich größere Wirk­samkeit ent­fal­ten die iranis­chen Seestre­itkräfte allerd­ings in einem eher indi­rek­ten geostrate­gis­chen Zusam­men­hang: Im sicheren Bewusst­sein um die glob­alen ökonomis­chen Auswirkun­gen von Block­ade­maß­nah­men gegen die weltweit­en Ölflüsse begreift der Iran gegen­wär­tig die Bedro­hung des mil­itärischen, vor allem aber des zivilen Seev­erkehrs als eine wesentliche Bes­tim­mungs­größe bei der materiellen und oper­a­tiv­en Entwick­lung sein­er Seestre­itkräfte. Auf­grund ihrer Nis­chen­fähigkeit­en sind die iranis­chen Mari­nen in der Lage, eine hochgr­a­dig wirk­same Strate­gie der »Deter­rence by Pun­ish­ment« zu gener­ieren, die hin­sichtlich ihrer Effek­tiv­ität nahe an jene des Sys­tems der »Mutu­al Assured Destruc­tion« (MAD) aus der Zeit des Kalten Krieges her­an­re­ichen dürfte. 

De fac­to näm­lich gibt die Fähigkeit zur Bedro­hung und zumin­d­est zeitweili­gen Sper­rung des »Choke­points« Hor­muz der poli­tis­chen Führung des Iran ein mil­itärisches Mit­tel mit qua­s­i­nuk­lear­er Bedeu­tung an die Hand, eine »Abschreck­ungswaffe«, die gle­icher­maßen als Faustp­fand bei inter­na­tionalen Ver­hand­lun­gen – etwa um das iranis­che Atom­pro­gramm – als auch als »let­ztes« (wenn auch im Ergeb­nis selb­stzer­störerisches) Mit­tel der Vertei­di­gung im Falle eines Kon­flik­tes einzuset­zen wäre. Jed­er Angreifer müsste unkalkulier­bare mil­itärische und vor allem ökonomis­che Risiken auf sich nehmen, die durch einen zu erwartenden poli­tis­chen Flächen­brand im Nahen und Mit­tleren Osten zusät­zlich ver­schärft wür­den. Auf­grund der psy­chol­o­gis­chen Effek­te an den Han­del­splätzen der Welt wäre – auch bei einem im Ergeb­nis über­wälti­gen­den Kräfteansatz – mit Kon­se­quen­zen zu rech­nen, die weit über einen explo­sion­sar­ti­gen Anstieg des Ölpreis­es hin­aus­ge­hen dürften. 

Mit ver­gle­ich­sweise geringem tech­nol­o­gis­chen und finanziellen Aufwand ist es dem Iran möglich, die funk­tionalen Wirk­mech­a­nis­men der nuk­learen Abschreck­ung aus der Zeit des Kalten Krieges durch nicht­nuk­leare Kräfte nutzbar zu machen. Erre­ich­bar ist ihm dieses auf­grund der einzi­gar­ti­gen Kom­bi­na­tion von vorteil­hafter Geografie und den beson­deren Abhängigkeit­en der Weltwirtschaft vom Öl des Mit­tleren Ostens. 

Aber auch nicht spez­i­fisch iranis­che, gegenüber der poli­tis­chen Zeit­en­wende von 1989/90 erhe­blich verän­derte glob­ale Rah­menbe­din­gun­gen spie­len für diese Abschreck­ungs­fähigkeit eine wesentliche Rolle: 

  • Die gestiegene Ver­flech­tung der weltweit­en Märk­te und eine damit erhöhte Krisenanfälligkeit;

  • knap­per wer­dende Ressourcen bei ein­er zugle­ich wach­senden Anzahl stark expandieren­der Volk­swirtschaften, welche ihrer­seits poli­tis­che und ökonomis­che Ansprüche gel­tend machen sowie

  • die erhe­blich gewach­sene psy­chopoli­tis­che Rel­e­vanz der inter­na­tionalen Medien.

Ob die Wirk­samkeit des iranis­chen Abschreck­ungspoten­zials tat­säch­lich an jene des Sys­tems der »Mutu­al Assured Destruc­tion« aus der Zeit des Kalten Krieges her­an­re­icht, wird die Zukun­ft erweisen. Die im Sep­tem­ber und Okto­ber 2007 in den USA und anderen Staat­en heftig geführten Debat­ten über einen möglichen Mil­itärein­satz gegen den Gottesstaat müssen angesichts der Unkalkulier­barkeit der zu erwartenden Kon­se­quen­zen bei ratio­naler Betra­ch­tung allerd­ings eher als Teil der diplo­ma­tis­chen Drohkulisse denn als das ern­sthafte Erwä­gen von Optio­nen bew­ertet werden. 

Fak­tisch gewin­nt der Iran durch die spez­i­fis­chen Fähigkeit­en sein­er Seestre­itkräfte Zeit: Er erlangt annäh­ernd die mil­itärische Unan­greif­barkeit eines Atom­waf­fen­staates, ohne tat­säch­lich Atom­waf­fen zu besitzen. Auf diese Weise – so kön­nte das Kalkül der iranis­chen Führung ausse­hen – gewin­nt er die Frei­heit, ein möglich­es Atom­pro­gramm fortzuführen und damit schließlich jenes Werkzeug in die Hände zu bekom­men, welch­es am ehesten geeignet wäre, die angestrebte regionale Hege­monie effek­tiv durch­set­zen zu können. 

Doch auch für einen Zeit­punkt nach der möglichen Erlan­gung von Nuk­lear­waf­fen eröffnet eine auf asym­metrische Oper­a­tio­nen spezial­isierte iranis­che Seestre­it­macht erhe­bliche strate­gis­che Per­spek­tiv­en: Ihre Fähigkeit­en wür­den die vom Ölre­ich­tum der Region abhängi­gen Staat­en der Welt fak­tisch ein­er Willkür Teherans aus­set­zen: Indem er von der puren Andro­hung von Gewalt­maß­nah­men bis hin zu groß angelegten Angrif­f­en gegen den Seev­erkehr vor Hor­muz das volle Spek­trum diplo­ma­tis­ch­er und mil­itärisch­er Druck­mit­tel zu nutzen in der Lage wäre, besäße der Iran ein frei dosier­bares Eskala­tionspoten­zial, mit dem er die Ölpreise nach Belieben und außen­poli­tis­chem Bedarf in die Höhe treiben könnte. 

Mit ihrer vorder­gründig defen­siv­en oper­a­tiv­en Aus­rich­tung sind die Seestre­itkräfte also eine wesentliche, ihre Wirkung indi­rekt ent­fal­tende Kom­po­nente der über­ge­ord­neten und langfristig angelegten offen­siv­en gesamt­staatlichen Strate­gie des Iran, zur religiösen, poli­tis­chen, ökonomis­chen und kul­turellen Führungs­macht des Per­sis­chen Golfs aufzusteigen. Damit sind sie defin­i­tiv auch eine Bedro­hung für die anderen Anrain­er der Gol­fre­gion. Ein mil­itärisches Vorge­hen gegen dieses Poten­zial allerd­ings sollte durch jeden poli­tis­chen Akteur – vor allem in einem über das Mil­itärische hin­aus­ge­hen­den Zusam­men­hang – genauestens und über­aus kri­tisch hin­ter­fragt wer­den, denn ver­mut­lich würde ein bewaffneter Kon­flikt mit dem Iran lediglich die inner­staatliche Kohärenz fes­ti­gen, einen poli­tisch-religiösen Flächen­brand am Per­sis­chen Golf aus­lösen und let­ztlich nur Ver­lier­er hervorbringen. 

Die Groß­mach­tam­bi­tio­nen des Iran müssen – nicht zulet­zt mit Blick auf die weltweite Energiev­er­sorgung – zurecht als prob­lema­tisch erachtet wer­den. Um das »Prob­lem Iran« zu lösen, sollte aber vor allem den ern­sthaft betriebe­nen diplo­ma­tis­chen Ini­tia­tiv­en der Vorzug gegeben wer­den, die auch auf eine Stärkung der dur­chaus vorhan­de­nen inner­staatlichen Oppo­si­tion hin­aus­laufen müssten.

Team GlobDef

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