Humanitäre Interventionen — Ausdruck einer neuen Menschenrechtsbasierten Ordnung?

3.) Prob­leme bei der Hand­habung Human­itär­er Inter­ven­tio­nen sowie deren Rah­menbe­din­gun­gen
Das Phänomen der Human­itären Inter­ven­tion ist nicht so leicht zu fassen, ins­beson­dere wenn es um seine Reich­weite und seine Anwen­dung geht. Dies wurde bish­er gezeigt.
Die Vorstel­lung Haber­mas, man müsse die mil­itärische human­itäre Inter­ven­tion als den „ bloßen Vor­griff auf einen zukün­fti­gen kos­mopoli­tis­chen Zus­tand, den sie zugle­ich befördern will“, beze­ich­nen, erachte ich als reich­lich ver­früht. (65) Es existieren zu viele Prob­lem­stel­lun­gen, die die Human­itäre Inter­ven­tion prob­lema­tisieren. Nach­dem ich in der Empirie des Koso­vo mich jenen genähert habe, erfol­gt nun deren weit­ere Erläuterung. 

3.1) Das Prob­lem des Miss­brauchs human­itär­er Zwecke für die Macht­poli­tik

Dieser Sachver­halt ist wohl ein­er der am meis­ten genan­testen Ein­wände wider den human­itären Inter­ven­tio­nen. Zum einen beste­ht das Prob­lem, dass die human­itäre Begrün­dung direkt miss­braucht wird. Zum anderen wer­den durch diesen Miss­brauch tat­säch­liche hand­feste macht­poli­tis­che Inter­essen verdeckt. (66) Ger­ade im Koso­vo wurde dies wieder­holt der NATO vorge­wor­fen. Johan Gal­tung beispiel­sweise ver­wies auf hand­feste geopoli­tis­che, strate­gis­che und wirtschaftliche Inter­essen, da Milo­se­vics Restju­goslaw­ien der Wider­stand­spunkt gegen die amerikanis­che Poli­tik war. (67) Ger­ade im Hin­blick auf den Balkan als Vorhof zum ölre­ichen Nahen Osten und Kauka­sus.
Infolge solch­er Anschuldigun­gen beste­ht natür­lich das Prob­lem, dass human­itäre Inter­ven­tio­nen in Mis­skred­it ger­at­en. Diame­trale moralis­che Posi­tio­nen ste­hen sich hier oft­mals unver­söhn­lich gegenüber, da die tat­säch­liche Inten­tion nur schw­er­lich abzuschätzen ist. Unter­schiedliche Per­spek­tiv­en machen solche Ein­schätzun­gen sehr schw­er.
Allerd­ings bleibt zu beacht­en, dass Men­schen immer diverse Begrün­dun­gen und Gründe für ihr Han­deln haben. Man kann in diesem Zusam­men­hang Max Webers Typol­o­gisierung ver­wen­den: Sowohl zweck­ra­tionales Han­deln, als auch wer­tra­tionales Han­deln sind möglich und diese Typol­o­gisierun­gen sind let­ztlich nur the­o­retis­che Ide­alun­ter­schei­dun­gen. In der empirischen Analyse kön­nen sie sel­ten so beste­hen. (68) Let­ztlich ist das Prob­lem des Miss­brauchs mein­er Mei­n­ung nach ein Wahrnehmung­sprob­lem, das auf unter­schiedlichen Inter­essen­la­gen und Ein­stel­lun­gen und Prä­gun­gen basiert. Hat man unter­schiedliche Auf­fas­sun­gen von Recht und Men­schen­recht­en, nimmt man unter­schiedliche Per­spek­tiv­en ein und man wird Legit­imierun­gen von Inter­ven­tio­nen auch unter­schiedlich betra­cht­en und bew­erten. (69)

Human­itäre Gründe reichen allein wohl kaum aus um zu inter­ve­nieren. Daher spie­len andere Gründe immer eine Rolle. In diesem Punkt muss man eben die real­is­tis­che Annahme bedenken, dass Staat­en nicht aus Fre­undlichkeit, son­dern aus realen ego­is­tis­chen Grün­den han­deln. (70)
Mag man darüber stre­it­en, wie sehr diese Annahme richtig ist. Nie­mand wird aber let­ztlich bestre­it­en wollen, dass zumin­d­est ein wahrer Kern in dieser Aus­sage steckt.
Daher bekräftigt diese Grun­dan­nahme das Prob­lem des Miss­brauchs und rel­a­tiviert es aber gle­ichzeit­ig: Zum einen kön­nen human­itäre Gründe sehr leicht zur moralisch bess­er kom­mu­nizier­baren Legit­i­ma­tion wer­den. Ander­er­seits definieren reale Inter­essen zwangsläu­fig das Ver­hal­ten und so gehören neben human­itäre Über­legun­gen auch macht­poli­tis­che Inter­essen zur Ver­hal­tens­ab­wä­gung mit hinzu. Ist man ein Befür­worter solch ein­er Inter­ven­tion, wird man die moralis­chen und human­itären Gründe her­ausheben. Ist man aber ein Geg­n­er, so wird man stets die macht­poli­tis­chen Inter­essen dahin­ter kri­tisieren. Let­ztlich ist wohl wirk­lich das Ergeb­nis entschei­dend, nicht so sehr die reine ursprüngliche Inten­tion. (71)

3.2. Die Prob­lematik der Legit­i­ma­tion von Aktion und Nicht-Aktion — innen­poli­tisch wie
außen­poli­tisch: die Kosten-Nutzen-Rela­tion

Neben der Prob­lematik der Begrün­dung gibt es weit­ere Aspek­te, die im Rah­men human­itär­er Inter­ven­tio­nen auftreten: Nicht nur die Gründe kön­nen bezweifelt wer­den und als Vor­wand eigen­er Macht­poli­tik abgestem­pelt wer­den. Daneben existiert es auch das Prob­lem, inwieweit Staat­en sich auf­grund von Kosten-Nutzen-Über­legun­gen zur Hil­fe über­haupt entschließen kön­nen. Auch dieser Punkt schwächt den moralis­chen Anspruch der human­itären Inter­ven­tio­nen ab, uni­versell Men­schen­rechte befördern zu wollen und zu schützen.
Wie schon in der Analyse des Koso­vokrieges fest­gestellt, scheuen west­liche Staat­en eigene Ver­luste. (72) Die Akzep­tanz ein­er Inter­ven­tion würde so unter­miniert und wie in Soma­lia gese­hen, führt dies let­ztlich sog­ar zum Abbruch ein­er solchen Inter­ven­tion. Ander­er­seits hat man in Ost-Tim­or gese­hen, dass der Ein­griff 1999 erst nach dem Ein­lenken der indone­sis­chen Regierung und dem Welt­sicher­heit­sratbeschluss zu Ost­ti­mors Unab­hängigkeit erfol­gte. Aus­tralien schick­te seine Trup­pen erst dann, als die völk­er­rechtliche Legit­i­ma­tion vorhan­den war. Die Inter­ven­tion war damit in den Augen der Aus­tralier nun durch­führbar, denn sie besaßen nun die Unter­stützung der Welt­ge­mein­schaft. (73) Anders ver­hielt es sich im Koso­vo: Der Ein­griff erfol­gte hier — wie gezeigt — ohne direk­te Legit­i­ma­tion des Welt­sicher­heit­srates. (74) Aber auch hier stand die Min­imierung eigen­er Ver­luste ganz oben auf der Agen­da Liste mil­itärisch­er Ein­satz­pla­nung. (75)

Daher kommt auch diese Ein­schränkung hinzu, wenn es um die human­itäre Inter­ven­tion geht.
Die moralis­che Betra­ch­tungsweise wird eben ergänzt eine Nutzen-Kosten­ab­wä­gung, die recht prak­tisch ori­en­tiert ist. Diese Über­legun­gen beziehen sich nicht nur auf die eige­nen Inter­essen, son­dern auch auf mögliche Ver­luste und Erfol­gschan­cen (76) ein­er solchen Inter­ven­tion, wie auch der zu ver­wen­de­ten Mit­tel (77).

3.3.) Der Staat im Dilem­ma innen­poli­tis­ch­er und außen­poli­tis­ch­er Zwänge

Human­itäre Inter­ven­tio­nen bauen auf der uni­versellen Gültigkeit von Men­schen­recht­en auf. Nur taucht immer wieder das Prob­lem auf, dass die Men­schen­rechte in ihrer genauen Def­i­n­i­tion und Umfang immer wieder umstrit­ten sind. Je nach Kul­turkreis vari­ieren sie und es existieren stets auch unter­schiedliche Wahrnehmungen human­itär­er Krisen. Der Grund liegt darin, dass die Maßstäbe für jene Krisen immer wieder unter­schiedlich ange­set­zt wer­den. Es ist schw­er einen generell akzept­ablen uni­versellen Maßstab zu find­en, wenn nicht gar unmöglich auf­grund realpoli­tis­ch­er Hin­dernisse und unter­schiedlich­er Ansicht­en. Jene Hin­dernisse tra­gen dazu bei, dass der uni­verselle Charak­ter in der Empirie immer wieder in Mis­skred­it gerät. Daher kommt es zu jen­er – so stark kri­tisierten – selek­tiv­en Anwen­dung von human­itären Maßstäben und daher auch zum selek­tiv­en Ein­griff bei Menschenrechtsverletzungen.(78)
Diese Selek­tiv­ität, die wohl u.a. auch in fall­spez­i­fisch unter­schiedlich aus­gerichteten Inter­essen und Macht­möglichkeit­en wurzelt, unter­höhlt aber den moralisch uni­versellen Anspruch jen­er Inter­ven­tio­nen und auch der Men­schen­rechte. In dem einen Fall wer­den sie vertei­digt, in dem anderen Fall nicht. Chom­sky weißt beispiel­sweise pointiert auf die unter­schiedliche Behand­lung von Kosovoal­banern und Kur­den hin.(79) Dieses offen­sichtliche Missver­hält­nis bietet für Kri­tik­er human­itär­er Inter­ven­tio­nen natür­lich eine große Angriffs­fläche. Dieser Umstand trägt auch zu dem ersten, oben genan­nten Kri­tikpunkt mit bei: Diese fehlen­den Prinzip­i­en und die fehlende Kon­se­quenz in der Vertei­di­gung von Men­schen­leben (80) erregt bei vie­len Kri­tik­ern wohl nicht immer zu Unrecht den Ver­dacht, dass human­itäre Gründe eben nur vorgeschal­tet sind bzw. für andere Zwecke miss­braucht werden. 

3.4 Grundle­gende Bedin­gun­gen für human­itäre Inter­ven­tio­nen

Let­ztlich liegt das Prob­lem darin, dass das hehre Motiv allein – Men­schen­leben zu schützen – nicht aus­re­icht, um human­itäre Inter­ven­tio­nen durchzuführen.
Die reine moralis­che Legit­i­ma­tion und die echt­en Hand­lungs­be­din­gun­gen und Motive scheinen eben unter­schiedliche Dinge zu sein. Bes­timmte Rah­menbe­din­gun­gen müssen daher als notwendi­ge Bedin­gung erfüllt sein: Die Kosten-Nutzen-Rela­tion muss stim­men und das Instru­men­tar­i­um für solche Inter­ven­tio­nen muss auch vorhan­den sein. Immer­hin ver­fügt nicht jed­er Staat bzw. nicht jede Staaten­gruppe über die Fähigkeit­en der USA bzw. der NATO.
Macht­poli­tis­che Inter­essen und human­itäre Über­legun­gen dür­fen des Weit­eren nicht kol­li­dieren, wie schon gezeigt. Die Inter­ven­tion sollte daher in die son­stige außen­poli­tis­che Zielset­zung des Staates passen. Wichtige ist dabei, dass keine vital­en staatlichen Inter­essen ver­let­zt wer­den.
Dies sind die von mir for­mulierten all­ge­meinen Voraus­set­zun­gen, die außen­poli­tisch erfüllt sein müssten. Zudem muss innen­poli­tisch noch ein stark­er öffentlich­er Druck erzeugt wer­den, damit von dieser Seite eine human­itäre Inter­ven­tion auch unter­stützt wird. (81) Der Live-Effekt, wie die ganze öffentliche Parteinahme, spielt hier­bei eine große Rolle. Die Entschei­dungsträger wer­den in ihrer Entschei­dung für eine Inter­ven­tion durch die Öffentlichkeit bee­in­flusst. Bericht­en die Medi­en viel über eine human­itäre Katas­tro­phe, so baut sich über das tägliche Miter­leben der Gräuel eine emo­tionale Verbindung zu den Opfern auf. Dadurch ergreift die Öffentlichkeit Partei und falls die übri­gen Rah­menbe­din­gun­gen auch erfüllt sind, so ist die öffentliche Anteil­nahme let­ztlich die hin­re­ichende Bedin­gung bzw. der Aus­lös­er für weit­erge­hende Aktio­nen. Diese Entwick­lung kon­nte man in Bosnien nach dem Artilleriean­griff auf Sara­je­vo 1995 (82) und im Koso­vo nach dem Mas­sak­er von Racak 1999 (83) beobacht­en. Daneben sollte auch eine gewisse moralis­che Ver­ant­wortlichkeit bei den han­del­nden Poli­tik­ern vorhan­den sein.
Also müssen – grob gesagt – zumin­d­est diese drei eben behan­del­ten Bedin­gun­gen erfüllt sein, damit human­itäre Inter­ven­tio­nen möglich sind. 

Team GlobDef

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