Humanitäre Interventionen — Ausdruck einer neuen Menschenrechtsbasierten Ordnung?

1.) Human­itäre Inter­ven­tio­nen im Wider­spruch zwis­chen dem Par­a­dig­ma der Sou­veränität von
Staat­en und der Uni­ver­sal­ität von Men­schen­recht­en

Inter­ven­tio­nen sind keine Erfind­un­gen des 20. oder gar erst des 21. Jahrhun­derts. Inter­ven­tio­nen fan­den als gewalt­same Ein­griffe in fremde ter­ri­to­ri­ale Hoheit­en schon statt, lange bevor über­haupt der Begriff des „Völk­er­rechts“ entwick­elt wor­den war. Inter­ven­tio­nen sind Teil kriegerisch­er Hand­lun­gen und damit Teil der Men­schheits­geschichte (1).
Aber es gibt eine recht neue Dimen­sion von Inter­ven­tio­nen; neu in der ihrer Legit­i­ma­tion und in ihrer Zielset­zung: Die human­itäre Inter­ven­tion. Definiert wird sie fol­gen­der­maßen: „In der völk­er­rechtlichen Entwick­lung ver­ste­ht man unter ein­er human­itären Inter­ven­tion die zwis­chen­staatliche Anwen­dung von Gewalt zur Gewährleis­tung bzw. Wieder­her­stel­lung der Men­schen­rechte in einem sou­verä­nen Staat“. (2)
Noch 1945 war in der Char­ta der Vere­inigten Natio­nen im Artikel 2 der Verzicht auf gewalt­sam-kriegerische Mit­tel( Zif­fer 4) und das Gebot der Nichtein­mis­chung in die inneren Angele­gen­heit­en der Staat­en (Zif­fer 7) fest­gelegt wur­den. Die ver­stärk­te Aufmerk­samkeit für Artikel 1 der UN-Char­ta und die dort und in der Präam­bel beton­ten Men­schen- und Frei­heit­srechte kann dann zum Zusam­men­stoß dieser bei­den Prinzip­i­en führen, wenn der Schutz der all­ge­meinen Men­schen­rechte infolge schw­er­er Men­schen­rechtsver­let­zun­gen nur durch den Ein­griff ins inner­staatliche Geschehen sichergestellt wer­den kann. (3) Dies hat eine Dilem­ma­ta Sit­u­a­tion zum Ergeb­nis, die eine sehr kon­tro­vers geführte völk­er­rechtliche und poli­tik­wis­senschaftliche Debat­te ange­facht hat, wann und inwieweit über­haupt human­itäre Inter­ven­tio­nen zuläs­sig sind bzw. was hin­ter diesem Phänomen steckt. Diese Form der Inter­ven­tion ist nach Beendi­gung des Kalten Krieges als Zeichen ein­er neuen sich entwick­el­nden gerecht­en Weltin­nen­poli­tik sowohl gefordert und vertei­digt, aber auch als Erschei­n­ung neokolo­nialer Macht­poli­tik ver­dammt wur­den (4). Macht­poli­tis­che und geostrate­gis­che, aber auch nor­ma­tiv-juris­tis­che und moralis­che Aspek­te und ihre kon­tro­verse Behand­lung zeich­nen diesen Diskurs aus, der für die weit­ere Gestal­tung der Inter­na­tionalen Poli­tik — angesichts der zunehmenden inner­staatlichen Kriege und failed states — von zunehmender Bedeu­tung sein wird (5). Allerd­ings ist diese Debat­te so neu nicht, wie man gern glauben kön­nte. Schon im 19. Jahrhun­dert zeich­neten sich erste Debat­ten über Human­ität und im Gegen­satz dazu über Sou­veränität ab, die auch ihre Quellen in ersten human­itär einge­färbten Inter­ven­tio­nen hat­ten. Der Griechis­che Unab­hängigkeit­skrieg (1821–1830) kön­nte dafür als Beleg gel­ten. Die europäis­chen Großmächte trotzten nach lan­gen bru­tal­en Kämpfen zwis­chen Griechen und Türken dem dama­li­gen Osman­is­chen Reich die Unab­hängigkeit eines griechis­chen Staates ab (6).

1.1.)Allmählich abnehmende Bedeu­tung des Nichtein­mis­chungs­ge­bots

Das Nichtein­mis­chungs­ge­bot, fest­gelegt in der UN-Char­ta im Artikel 2, war und ist eine der Grund­sätze für die Inter­na­tionale Poli­tik. Dieses Gebot baut auf der Sou­veränität der Staat­en auf, die das erste Mal im West­fälis­chen Frieden von 1648 der­art fest­ge­hal­ten wurde und zum
kon­sti­tu­ieren­den Fak­tor für das entste­hende Staaten­sys­tem wurde. Sou­veränität kann hier­bei gle­ichge­set­zt wer­den mit dem ter­ri­to­r­i­al gebun­de­nen Gel­tungsanspruch des Staates, der nicht ver­let­zt wer­den darf durch äußere Ein­mis­chung .(7)

Gewaltverzicht und die Ver­ban­nung bzw. die Eli­m­inierung von zwis­chen­staatlichen Kriegen waren die Ziele, als dieser Grund­satz in der neuen UN-Char­ta nach Beendi­gung des Zweit­en Weltkrieges fest­geschrieben wurde. Den lei­d­vollen Erfahrun­gen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhun­derts soll­ten nun Tat­en fol­gen. Das Sys­tem der einge­gren­zten (Anmerk. T. Wach) Kollek­tiv­en Sicher­heit beruhte daher auf einem Sys­tem gle­ich­berechtigter sou­verän­er Staat­en, die ihre Kon­flik­te friedlich lösen soll­ten ohne offene Gewalt. (8) Inter­ven­tio­nen als For­men der Inter­es­sen­geleit­eten Durch­set­zung von außen­poli­tis­chen Zie­len soll­ten der Ver­gan­gen­heit ange­hören, da durch die Koop­er­a­tion und die kollek­tive Sicher­heitsstruk­tur die real­is­tis­che Annahme über den archais­chen Charak­ter der Staaten­welt begeg­net wer­den sollte (9). Die Koop­er­a­tion würde die Macht- und Inter­essen­leitung der Nation­al­staat­en ein­bet­ten und so auch Inter­ven­tio­nen the­o­retisch über­flüs­sig machen. Inter­ven­tio­nen wären daher als Ein­mis­chung in die Ver­hält­nisse ander­er Staat­en durch die UN-Char­ta und vorherige Vere­in­barun­gen de jure verurteilt und dies träfe auch für die Human­itären Inter­ven­tio­nen zu. (10)
Allerd­ings hat die empirische Real­ität andere Fak­ten zu tage gebracht: Die recht­sphilosophis­che Debat­te zu diesem The­ma wird immer wieder über­holt durch neue Entwick­lun­gen und durch neue Zielset­zun­gen, die von west­lichen Staat­en immer wieder pos­tuliert wer­den ( so auch von Bun­de­saußen­min­is­ter Josch­ka Fis­ch­er). (11) Während des Kalten Krieges gab es eine auf­fäl­lige Zurück­hal­tung bei der Legit­i­ma­tion von Inter­ven­tio­nen mit human­itären Grün­den, obgle­ich sie dur­chaus auf der Hand gele­gen hät­ten. (12) Das Inter­ven­tionsver­bot — zumin­d­est gültig für Inter­ven­tio­nen mit human­itär­er Begrün­dung – wurde beachtet und andere Gründe für die Legit­i­ma­tion der eige­nen mil­itärischen Aktion gesucht und gefun­den. Im Rah­men der UN-Char­ta wur­den andere Gründe zur Legit­i­ma­tion angeführt. 

Prob­lema­tisch war dabei damals, dass die genaue Def­i­n­i­tion human­itär­er Gründe let­ztlich eine sub­jek­tive Ermes­sungs­frage ist. Viele Staat­en scheuten sich daher u. a. auch deshalb diese als Legit­imierung für ihr eigenes Han­deln zu benutzen: Die Bedeu­tung der Human­ität erfuhr schon damals allerd­ings eine allmäh­liche Aufw­er­tung und so herrschte eine gewisse Angst vor den unklaren neuen Begriffsinhalt.(13)
Eins wird aber trotz­dem deut­lich: Das Ver­bot von Inter­ven­tio­nen hat an Boden ver­loren nach dem Ende des Kalten Krieges.(14) Zum einen erfol­gte ihre Legit­imierung anhand von Kapi­tel 7 der UN-Char­ta durch den UN-Sicher­heit­srates und durch die sin­guläre Inter­ven­tion in Staat­en unter human­itären Grün­den durch inter­na­tionale, mul­ti­lat­erale Insti­tu­tio­nen und Organ­i­sa­tio­nen mit
Man­dat des Sicher­heit­srates, aber auch ohne Man­dat des Sicher­heit­srates. So geschehen beispiel­sweise im Fall des Koso­vo Krieges, der als beson­der­er Fall später nähere Behand­lung find­en wird. Aber auch mit UN-Man­dat wur­den ver­mehrt Ein­griffe in staatliche Sou­veränitäten vorgenom­men, so mit der Sank­tion­ierung der Arpaithei­d­spoli­tik in Südafri­ka oder mit der Kur­den­res­o­lu­tion zum Schutz der Kur­den im Nordi­rak vor Sad­dam Hus­sein beispiel­sweise. (15)

1.2.) Der uni­ver­sal­is­tis­che Gedanke der Men­schen­rechte als west­lich­er Traum – Demokratie,
Sicher­heit und Frieden für alle?

Die Bedeu­tung der Men­schen­rechte und ihres Stel­len­wertes steigerte sich mit dem Abbröck­eln des Sou­veränitäts­ge­botes fast gle­ichzeit­ig — man kön­nte fast meinen beinah dialek­tisch. Ihre Ver­ankerung in der UN-Char­ta bedeutet eine enorme Aufw­er­tung, ins­beson­dere da nicht nur die klas­sis­chen Frei­heit­srechte, son­dern auch weit­erge­hende Rechte im sozialen und wirtschaftlichen Kon­text anerkan­nt wur­den. Dazu gehören Min­dest­stan­dards in der Befriedi­gung ele­mentar­er men­schlich­er Bedürfnisse, die durch den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen sichergestellt wer­den sollen. In diesem Zusam­men­hang ist auch wichtig, dass die UN als Ziel ihrer Friedenssicherung nicht mehr nur einen neg­a­tiv­en Friedens­be­griff ver­wen­det. Frieden ist daher nicht mehr nur die bloße Abwe­sen­heit von Krieg und Gewalt. Sta­bile und funk­tion­ierende soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Struk­turen, in denen die Men­schen­rechte anerkan­nt wer­den, gehören auch untrennbar zu dem neuen Ver­ständ­nis von Frieden. (16)
Nicht umson­st sprach Präsi­dent Bush senior 1991 von ein­er neuen Wel­tord­nung, in der neue Ide­ale als Zielset­zun­gen die Agen­da bes­tim­men soll­ten. (17) Demokratie und Men­schen­rechte erhiel­ten ins­beson­dere nach dem Ende des Kalten Krieges einen mehr und mehr uni­ver­sal­is­tis­chen Anspruch von Seit­en der west­lichen Welt. Die Bewahrung und die Sich­er­stel­lung von Men­schen­recht­en haben damit — zumin­d­est nor­ma­tiv und pos­tu­la­tiv – einen höheren Stel­len­wert erhal­ten in der inter­na­tionalen Poli­tik. Nicht zulet­zt wur­den dazu eigens Son­der-UN- Kon­feren­zen abge­hal­ten, in denen die Bedeu­tung der Men­schen­rechte noch mal betont wurde:
So markierte die UN-Son­derkon­ferenz von Wien zum The­ma Men­schen­rechte hier­bei eine beson­dere Zäsur, da hier der uni­verselle Gel­tungsanspruch der Men­schen­rechte in Verbindung mit Demokratie und Entwick­lung betont wurde. 18 Ander­er­seits zeigte sich auch ganz deut­lich, dass eine nicht uner­he­bliche Anzahl von Staat­en — ins­beson­dere solche mit mehrheitlich moslemis­ch­er Bevölkerung — diesen vom West­en beförderten uni­versellen Anspruch der Men­schen­rechte recht skep­tisch gegenüber­ste­hen und teil­weise im Detail auch inhaltlich abwe­ichende Posi­tio­nen vertreten. (19)
Damit stellt sich aber unweiger­lich die Frage, wann nun aber genau eine Ver­let­zung von Men­schen­recht­en vor­liegt und wann dafür – wenn über­haupt — die Inter­ven­tion in die inneren Angele­gen­heit­en eines Staates als legit­imiert ange­se­hen wer­den kann. Denn die Vorstel­lun­gen über den genauen Begriff­s­in­halt der Men­schen­rechte scheinen doch stark zu variieren. 

1.3. Ein Kurz­er Überblick. Resul­tierende the­o­retis­che Grun­dan­nah­men: Restrik­tion­is­ten und Anti-
Restrik­tion­is­ten

Auf­grund der von mir im Vorhinein geschilderten gegen­läu­fi­gen Grund­prinzip­i­en bilde­ten sich zwei unver­söhn­lich gegenüber ste­hende nor­ma­tiv-juris­tis­che Annah­men aus:
Zum einen die Restrik­tion­is­ten als Geg­n­er, die unter allen Umstän­den die Ver­wässerung des Gewaltver­bots durch human­itäre Inter­ven­tio­nen ver­hin­dert sehen wollen und ander­er­seits die Anti-Restrik­tion­is­ten als Befür­worter, die eine diame­trale Posi­tion ein­nehmen.
Der Ein­griff in durch Bürg­erkriege und kor­rupte, total­itäre Regime heimge­suchte Staat­en muss zum Schutz der dort gequäl­ten Men­schen erfol­gen, wenn die Men­schen­rechte dort grob ver­let­zt wer­den. Dies sei eine moralis­che Verpflich­tung, die die Befür­worter der Inter­ven­tio­nen so beto­nen. Die Anti-Restrik­tion­is­ten argu­men­tieren auch, dass die Sou­veränität von Staat­en keines­falls zum qua­si Ali­bi für die Ver­let­zung der Men­schen­recht­en wer­den darf. Dieses Nichtein­mis­chungs­ge­bot darf unter keinen Umstän­den so weit aus­gelegt wer­den, dass unter ihrem Deck­man­tel die Men­schen­rechte ver­let­zt wer­den und human­itäre Katas­tro­phen ein­fach hin­genom­men wer­den. Ander­er­seits argu­men­tieren die Restrik­tion­is­ten wohl nicht ganz zu Unrecht, dass Staat­en nur ihrem eige­nen Vorteil verpflichtet sind und so diese human­itären Gründe bloß als Vor­wand für macht­poli­tis­che Inter­essen genutzt wer­den. (20) Daher wird der laut ihnen hehre human­itäre Zweck zum bloßen Vor­wand für die Inter­ven­tion in andere Län­der. Das Sou­veränitäts­ge­bot wird dabei unter­höhlt, eben­so wird das Gewaltver­bot weit­er verwässert.

Die Fes­tle­gung human­itär­er Inter­ven­tion­s­gründe würde daher – wie schon ange­sprochen – eine sub­jek­tive Fes­tle­gung sein, die von der Macht des jew­eili­gen Staates abhän­gen würde. So hat es beispiel­sweise Ulrich Beck pointiert gesagt. Damit würde aber der steti­gen Ver­rechtlichung der inter­na­tionalen Poli­tik ent­ge­gengewirkt. Ander­er­seits unter­stellt man von der geg­ner­ischen Seite, dass ger­ade durch die Set­zung vertei­di­gungswert­er human­itär­er Nor­men und Fes­tle­gun­gen (über deren Set­zung aber noch zu debat­tieren wäre) ver­lässliche und klare Ver­hal­tensregeln von Staat­en und in Staat­en geschaf­fen wür­den. Auf diese Weise kön­nte ein hoher zivil­isatorisch­er Fortschritt erre­icht wer­den, gle­ich­sam als Vor­griff auf einen kos­mopoli­tis­chen Zus­tand ein­er „Weltin­nen­poli­tik“, wie sie Haber­mas pos­tuliert hat (21). Diese Sichtweise stützt sich auch deut­lich auf die alte christliche Lehre des ius­tum bel­lum, des gerecht­en Krieges, der durch den ius­ta-causa seine Legit­i­ma­tion erfährt. Die uni­verselle Gel­tung von Men­schen­recht­en wäre demzu­folge jen­er gerechter Grund, für den Krieg möglich wäre und nötig wäre. (22)
So stellt sich im groben die nor­ma­tiv-juris­tis­che Diskus­sion da, von der ich jet­zt allerd­ings Abstand nehmen will. Let­ztlich drück­en sich hier moralisch-nor­ma­tiv­en Posi­tio­nen aus, die so in der kom­plizierten empirischen Real­ität nicht immer ihren Wider­hall find­en: Dies hat­te schon Mün­kler fest­gestellt, als er tre­f­fend die The­o­riede­bat­te um Haber­mas, Chom­sky und Beck kri­tisierte in seinem Buch „Die neuen Kriege“. (23) Dem will ich mich nur zu gern anschließen.
 

Team GlobDef

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