Deutschland — Die See als Basis für streitkräftegemeinsame Operationen

Das Konzept »Basis See«:
Stre­itkräftege­mein­samer Ein­satz aller Kräfte der Marine

Wenn sich diese Ein­sicht bei uns in Deutsch­land bish­er nicht durch­set­zen kon­nte, so sind wir in der Marine schnell geneigt, die Ursache beim Wider­stand ander­er Teil­stre­itkräfte zu suchen. Zusät­zliche Schiffe kosten Geld, das man gern sel­ber aus­geben möchte. Vielle­icht machen wir es uns in der Marine aber zu ein­fach, hier die einzige Begrün­dung dafür zu sehen, dass wir uns mit entsprechen­den Pla­nun­gen nicht haben durch­set­zen kön­nen. Wir sind der Ansicht, dass es um Fähigkeit­en der Gesamt­stre­itkräfte geht, die gemein­sam zu fordern sind. Das set­zt voraus, dass diese den Wert der Fähigkeit­en erken­nen und höher bew­erten als konkur­ri­erende Projekte.

Hier befind­en wir uns wohl in ein­er Art Teufel­skreis. Die Vorteile des Wirkens von See sind außer­halb der Marine kaum bewusst. Uns aber fehlt die Ausstat­tung, um anderen zu zeigen, was möglich wäre. Deshalb erken­nt die anders uni­formierte Mehrheit der ver­ant­wortlichen Plan­er die Vorteile nicht, und wir wiederum bekom­men nicht die Ausstat­tung. Wir sprechen bei dieser Tagung darüber, dass einige unser­er Fähigkeit­en selb­st inner­halb der Marine nicht aus­re­ichend bekan­nt sind. Wie sollen sie dann außer­halb ver­standen und gewürdigt werden?

Das ist sicher­lich eine etwas vere­in­fachte Darstel­lung des Prob­lems, und es kommt bei­des zusam­men, die man­gel­nde Ken­nt­nis und die Konkur­renz der Teil­stre­itkräfte. Weil die Marine die Konkur­renz nicht aufheben kann, muss es ihr also darum gehen, die Unken­nt­nis zu über­winden und Erfahrun­gen zu schaf­fen. Sie muss das Bewusst­sein für die mar­iti­men Möglichkeit­en der Stre­itkräfte aktiv fördern. Das gilt für die Bun­deswehr sel­ber, aber min­destens genau­so für die Poli­tik, die eben­falls wenig Ken­nt­nis von den oper­a­tiv­en Vorteilen mar­iti­men Wirkens hat. Dafür benötigt die Marine zunächst eigene ein­heitliche Auf­fas­sun­gen über den stre­itkräftege­mein­samen Ein­satz von Seestreitkräften.

Diese Fest­stel­lung war der Aus­gangspunkt für den FüM, das Konzept »Basis See« zu entwick­eln, an dem man sich inner­halb und außer­halb der Marine ori­en­tieren kon­nte. Es sollte die Möglichkeit­en und Vorteile beschreiben, die ein Ein­satz von See aus gegenüber anderen Wegen zu bieten hat. Es ging uns darum, zu zeigen, was mit unseren bere­its vorhan­de­nen Mit­teln möglich ist, was unsere Ver­bün­de­ten zusät­zlich kön­nen und was wir mit akzept­ablem zusät­zlichem Aufwand wür­den erre­ichen kön­nen. Dabei kon­nte es nicht in erster Lin­ie um Amphibik gehen, son­dern um das Wirken von See im weitesten Sinne.

Da ein Papi­er allein aber nicht aus­re­ichen wird, all­ge­meines Ver­ständ­nis für das The­ma zu weck­en, müssen außer­dem, wo immer möglich, prak­tis­che Erfahrun­gen und direk­te Berührungspunk­te geschaf­fen wer­den. Um eine Diskus­sion­s­grund­lage zu schaf­fen, haben wir zunächst im Jahr 2006 unter dem Titel »vor­läu­fige Konzep­tionelle Grund­vorstel­lun­gen Basis See« (vKGv) ein Marinepa­pi­er geschrieben. Auch diese vKGv waren bere­its ein­mal mit den anderen Abteilun­gen des Min­is­teri­ums abges­timmt wor­den, um auf das The­ma aufmerk­sam zu machen.

Wir haben die »Basis See« definiert als: »Den konzep­tionellen Ansatz zur Nutzung der See, um eigene Kräfte im Rah­men stre­itkräftege­mein­samer Oper­a­tio­nen über und von See rechtzeit­ig, flex­i­bel und weit­ge­hend unab­hängig ver­legen, bere­i­thal­ten, führen, schützen und unter­stützen zu können.«

Im Feb­ru­ar 2007 fand an der Führungsakademie das erste Sym­po­sium See- und Seeluft­stre­itkräfte statt. Es stand unter dem The­ma Basis See und bot Teil­nehmern aus allen Teil­stre­itkräften, der SKB und dem San­itäts­di­enst Gele­gen­heit, sich mit der Materie ver­traut zu machen. Bei dieser Gele­gen­heit haben wir viel über den Bedarf der anderen gelernt.

Auch wenn unser Vorge­hen neu war, stell­ten wir schnell fest, dass es inhaltlich Vieles gab, worauf wir zurück­greifen kon­nten. Dazu gehörten vor allem die eben genan­nten Erfahrun­gen, Konzepte und Pro­jek­te im Bere­ich von Bünd­nis­sen und Part­nern. Auch in Deutsch­land sel­ber gab es bere­its eine Anzahl von Aktiv­itäten, die sich mit der Zusam­me­nar­beit zwis­chen der Marine und anderen Teilen der Bun­deswehr im Ein­satz beschäftigten.

Viele hat­ten ihren Ursprung auf der Arbeit­sebene, wie zum Beispiel Evakuierungsübun­gen im SEF bere­its Mitte der neun­ziger Jahre. Häu­fig gin­gen sie auch auf Anstöße junger Stab­sof­fiziere zurück, die etwas Neues aus­pro­bieren woll­ten. Zu diesen Anre­gun­gen gehörten nicht nur das Cen­tre of Excel­lence for Oper­a­tions in Con­fined and Shal­low Waters, das COE, son­dern auch der Vorschlag eines Heere­sof­fiziers im Führungsstab der Stre­itkräfte, die EU Bat­tle­group durch eine Marinekom­po­nente zu ergänzen.

Um zu ver­hin­dern, dass diese Ini­tia­tiv­en ver­sande­ten, benötigte man ein Konzept, mit dem verdeut­licht wer­den kon­nte, dass sich mit real­is­tis­chem Aufwand neue mil­itärische und poli­tis­che Hand­lungsmöglichkeit­en erschließen lassen. Lassen Sie mich auf einige dieser Pro­jek­te einge­hen, die man den ver­schiede­nen Fähigkeit­skat­e­gorien zuord­nen kann. Dabei spie­len Erprobun­gen im Rah­men von Con­cept Devel­op­ment and Exper­i­men­ta­tion, CD&E, eine wichtige Rolle.

Der Anschaltver­such Link 16, der Anfang 2004 zwis­chen Marine und Luft­waffe unter Beteili­gung des Heeres stattge­fun­den hat­te, war Aus­gangspunkt für stre­itkräftege­mein­same Exper­i­mente in den CD & E‑Vorhaben Com­mon Arrange­ment 04 und Com­mon Umbrel­la 06. Bei diesen Vorhaben wurde die Führung von Luft­stre­itkräften von Bord ein­er Fre­gat­te aus erprobt. In dieselbe Kat­e­gorie Führungs­fähigkeit gehört das CD&E‑Projekt »Führen von See«, mit dem Erken­nt­nisse über die Möglichkeit­en der seegestützten Führung von Lan­d­op­er­a­tio­nen von Fre­gat­ten aus gewon­nen wer­den sollen. Es soll 2008 abgeschlossen werden.

Die Möglichkeit­en der Nachricht­engewin­nung und Aufk­lärung von See aus zeigen sich ganz aktuell am Ein­satz eines Flot­ten­di­en­st­boots vor der libane­sis­chen Küste. Darüber hin­aus kön­nen See- und Seeluft­stre­itkräfte von der Hohen See aus Infor­ma­tio­nen über Ereignisse an Land gewin­nen und in ein Gesamt­lage­bild einbringen. 

Marineforum - Korvette K-130 MAGDEBURG (Foto: PIZM) Das CD& E‑Vorhaben »Stre­itkräftege­mein­same Tak­tis­che Feuerun­ter­stützung« dient der Verbesserung der Wirk­samkeit im Ein­satz. Dabei geht es darum, die Fähigkeit von Seestre­itkräften, präzise und abstands­fähig von See an Land zu wirken, weit­erzuen­twick­eln. Mit dem Flugkör­p­er RBS-15 auf K 130 und dem auf F 125 vorge­se­henen 127-mm-Geschütz befind­en sich die dafür benötigten Mit­tel in der Beschaf­fung. Mit den Fre­gat­ten der Klasse 125 und dem 2. Los U 212A verbessert die Marine zudem ihre Fähigkeit zum Kampf­schwim­mere­in­satz ent­lang fremder Küsten mit vielfälti­gen Handlungsmöglichkeiten.

Bere­its jet­zt beson­ders deut­lich gewor­den sind die Möglichkeit­en von Seestre­itkräften zur Verbesserung der Unter­stützung und Durch­hal­te­fähigkeit im Ein­satz. Hier sind es vor allem Ein­satz­grup­pen­ver­sorg­er mit ihrer leis­tungs­fähi­gen Logis­tik und einem Mari­neein­satzret­tungszen­trum MERZ. Die Ein­sat­zl­o­gis­tik der Marine trägt auch zur logis­tis­chen Unter­stützung eines stre­itkräftege­mein­samen Kontin­gents bei. Die Abstützung auf schwim­mende Plat­tfor­men ist vor allem bei »Expe­di­tionary Oper­a­tions« wertvoll, also Ein­sätzen, bei denen zunächst kein Host Nation Sup­port ver­füg­bar ist.

Eine unser­er Beobach­tun­gen ist, dass bei sehr kleinen Ein­satzkontin­gen­ten die Unter­stützungsauf­gaben über­pro­por­tion­al viel Per­son­al binden, das wiederum durch zusät­zliche Kampftrup­pen geschützt wer­den muss. Dieses Erforder­nis ent­fällt bei der Ein­schif­fung dieser Ele­mente. Damit kann die Zahl der an Land einge­set­zten Sol­dat­en ins­ge­samt ver­ringert werden.

Daraus haben wir abgeleit­et, dass das Konzept Basis See beson­ders für kleinere Oper­a­tio­nen geeignet ist. Gle­ich­wohl muss an dieser Stelle darauf hingewiesen wer­den, dass es der Marine nicht darum geht, die Auf­gaben der SKB oder des Zen­tralen San­itäts­di­en­sts zu übernehmen. Ihr Beitrag ist es vielmehr, Plat­tfor­men bere­itzustellen, die deren Kräften den Ein­satz ermöglichen oder erle­ichtern können.

Schiffe kön­nen in erhe­blichem Maße zur Über­lebens­fähigkeit und zum Schutz eines Ein­satzkontin­gents beitra­gen. An Bord eingeschiffte Unter­stützung­sein­rich­tun­gen sind weniger gefährdet als solche, die an Land einge­set­zt wer­den. Das dort einge­set­zte Per­son­al arbeit­et zudem in einem sauberen Umfeld mit reduzierten gesund­heitlichen Risiken. Diese Alter­na­tive bietet sich zum Beispiel für einen Teil der logis­tis­chen und san­itäts­di­en­stlichen Auf­gaben an.

Hinzu kom­men aktive Schutz­maß­nah­men durch Seestre­itkräfte. So kön­nen Flu­gab­wehrfre­gat­ten einen Luftraum von mehreren hun­dert Kilo­me­tern Radius über See und über Land überwachen und einen Beitrag zur Kon­trolle dieses Raumes leis­ten. Damit tra­gen sie zur Oper­a­tions­frei­heit der Stre­itkräfte bei, wenn bodenge­bun­dene oder luft­gestützte Luftvertei­di­gungssys­teme nicht einge­set­zt wer­den kön­nen oder diese erst noch ver­legt wer­den müssen.

Eine Reduzierung des foot­prints ist nicht nur wegen der gerin­geren Gefährdung attrak­tiv, son­dern kann auch poli­tisch gewün­scht sein. Ins­beson­dere in Afri­ka, ein­er Region, die immer mehr in den Blick­punkt rückt, wird der Ein­satz europäis­ch­er Sol­dat­en aus his­torischen und poli­tis­chen Grün­den vielfach mit Skep­sis betra­chtet. Das Prinzip der African Own­er­ship sieht vor, Kon­flik­te vornehm­lich mit eige­nen Kräften des Kon­ti­nents zu lösen. Externe Hil­fe ist dort willkom­men, wo die eige­nen Mit­tel nicht aus­re­ichen. Sie sollte so unauf­fäl­lig wie möglich erfol­gen. Die See ist eine ide­ale Basis, um Oper­a­tio­nen in der Küsten­re­gion entsprechend diesen Prinzip­i­en flex­i­bel zu unterstützen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle auf die erforder­liche Mobil­ität zu sprechen kom­men. Sie stellt das wohl schwierig­ste The­ma im Zusam­men­hang mit der Basis See dar, weil es hier auch um geeignete Plat­tfor­men für See­trans­porte geht. Das ist jedoch nicht der einzige Aspekt von Mobil­ität. Seestre­itkräfte sind in sich mobil. Ihre beson­dere Bewe­gungs­frei­heit auf der Hohen See habe ich bere­its erwäh­nt. Sie sind auch jet­zt schon in der Lage, in sehr begren­ztem Maße andere Kräfte und Mit­tel an Bord zu nehmen, wie z. B. Spezialkräfte, San­itätsper­son­al oder Logistik.

Das volle Mobil­itätspoten­zial der Basis See kann man jedoch nur auss­chöpfen, wenn man über beson­dere Trans­port­mit­tel ver­fügt. Die Bun­deswehr hat sich ver­traglich den Zugriff auf zivilen See­trans­portraum gesichert. Dieser Gesicherte Gewerbliche Strate­gis­che See­trans­port, GGSS genan­nt, ist jedoch nur in einem weit­ge­hend bedro­hungs­freien Umfeld und bei hin­re­ichen­der Hafen­in­fra­struk­tur möglich. Diese Voraus­set­zun­gen wer­den bei Ein­sätzen in weniger entwick­el­ten Kon­flik­tre­gio­nen nicht immer gegeben sein. In einem solchen Fall benötigt man eine Gesicherte Mil­itärische Seev­er­lege­fähigkeit oder GMSV. Sie wird mit mil­itärischen Plat­tfor­men und Umschlag­mit­teln sichergestellt. Mit ihrer Hil­fe kön­nen Kräfte vor einem Ein­satz in der Region, jedoch außer­halb eines Staates und sein­er Hoheits­gewäss­er bere­it­ge­hal­ten werden.

Ein wertvolles Ergeb­nis des Sym­po­siums im Feb­ru­ar bestand darin, gemein­same Vorstel­lun­gen für eine real­is­tis­che Größenord­nung für GMSV zu entwick­eln. Aus der Aus­rich­tung auf kleinere Oper­a­tio­nen leit­et sich ab, dass die GMSV auf eine nationale Evakuierung­sop­er­a­tion oder die Unter­stützung ein­er EU Bat­tle­group auszuricht­en ist. Wir gehen davon aus, dass dafür etwa 800 Sol­dat­en mit ihrer Ausstat­tung an Bord unterge­bracht wer­den müssen.

An dieser Stelle sei mir eine Bemerkung zur allfäl­li­gen Beschaf­fung der dafür benötigten Plat­tfor­men ges­tat­tet. Es ist Auf­gabe der Marine, die mar­iti­men Fähigkeit­en der Bun­deswehr bere­itzustellen. In Zeit­en, in denen alle großen Pro­jek­te der Bun­deswehr gesamt­planer­isch abge­wogen wer­den, ist es auch Sache der Marine, die mar­iti­men Fähigkeit­en im CPM-Prozess zu vertreten. Sie darf nicht darauf warten, dass andere als Bedarf­sträger auftreten.

Dabei möchte ich aber noch ein­mal deut­lich machen, dass das Konzept Basis See nicht vor­rangig dazu dient, neue große Schiffe für die Marine zu begrün­den. Vielmehr geht es zunächst darum, mit vorhan­de­nen Mit­teln neue Fähigkeit­en aufzubauen und den Wert des Ansatzes unter Beweis zu stellen. Erst in einem weit­eren Schritt haben weit­erge­hende Forderun­gen Aus­sicht auf Erfolg.

Mit den KGv Basis See ver­fügt die Marine über ein vom Gen­er­alin­spek­teur gebil­ligtes Konzept für den stre­itkräftege­mein­samen Ein­satz aller ihrer Kräfte. Damit ist sie anderen Bere­ichen der Stre­itkräfte deut­lich voraus und ver­fügt über eine solide Grund­lage für die Weit­er­en­twick­lung ihrer Fähigkeit­en im Gesam­trah­men der Bundeswehr.

Team GlobDef

Seit 2001 ist GlobalDefence.net im Internet unterwegs, um mit eigenen Analysen, interessanten Kooperationen und umfassenden Informationen für einen spannenden Überblick der Weltlage zu sorgen. GlobalDefence.net war dabei die erste deutschsprachige Internetseite, die mit dem Schwerpunkt Sicherheitspolitik außerhalb von Hochschulen oder Instituten aufgetreten ist.

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