Ansprache des Inspekteurs der Marine anlässlich der 51. Historisch-Taktischen Tagung der Flotte

Bis heute in Teilen dif­fus und unvoll­ständig

Lassen Sie uns kurz zurückschauen: Vor ziem­lich genau einem Jahr haben wir uns in diesem Kreis u.a. mit Fra­gen der Umgestal­tung der Wehrpflicht zu W6 beschäftigt, der Gesamt­stre­itkräf­teum­fang von 250.000 Sol­dat­en war noch nicht infrage gestellt. Die Neuor­gan­i­sa­tion des BMVg stand noch nicht auf der Tage­sor­d­nung, war allerd­ings durch Fes­tle­gun­gen in der Koali­tionsvere­in­barung in einem gewis­sen Umfang zu erwarten. Hin­sichtlich der über­pro­por­tionalen Ein­satz­beteili­gung der Deutschen Marine blick­ten wir vor­sichtig auf eine mögliche Ergänzung unseres Dien­st­postenum­fangs, auf ein Auf­brechen des überkomme­nen Pro­porzes zwis­chen den Teilstreitkräften. 

Das war die Aus­gangslage zu Beginn des Jahres 2010. Hier­auf waren wir eingestellt. Hier­auf galt es, die Arbeit auszuricht­en. Hier­aus erwuch­sen auch Erwartungen. 

Dann nah­men die Ereignisse, wie wir bei der Marine sagen, Fahrt auf. Ich ers­pare Ihnen die kom­plette His­to­rie und Chronolo­gie. Viele von Ihnen haben die Entwick­lun­gen, zumin­d­est in Teilen, über das Jahr mitver­fol­gt. Auch wenn wir uns von­seit­en der Marine­führung bemüht haben, belast­bare Infor­ma­tio­nen zeit­nah weit­erzure­ichen, ist das Bild bis heute in Teilen dif­fus und unvoll­ständig geblieben – für uns alle! 

Die Kabi­nettsklausur vom 6./7. Juni, der Ergeb­nis­bericht der Struk­turkom­mis­sion »Vom Ein­satz her denken« vom 26. Okto­ber, die Auf­stel­lung des »Arbeitsstabes Umbau Bun­deswehr« unter Leitung von Staatssekretär Dr. Otrem­ba am 5. Novem­ber, die Bun­deswehrta­gung in Dres­den am 22. und 23. Novem­ber und schließlich die Kabi­nettsitzung am 15. Dezem­ber, in der die Eck­punk­te zur Neugestal­tung der Bun­deswehr gebil­ligt wur­den, waren die markan­ten Meilen­steine über das abge­laufene Jahr. 

Oft kon­nte man die abfäl­lige Bemerkung hören: »Armee nach Kassen­lage!« Aber: Die Refor­müber­legun­gen allein auf eine Finanzvor­ga­belin­ie zu reduzieren bedeutet einen allzu verengten Blick auf die struk­turellen Defizite. Die Gründe – wie unser Vertei­di­gungsmin­is­ter for­mulierte – sind vielschichtiger Natur: »Inef­fiziente Struk­turen inner­halb der Bun­deswehr, fehlende Klarheit in den Ver­ant­wor­tungs­bere­ichen, drama­tis­che Unter­fi­nanzierung [sowie] ver­al­tete und lang­wierige Abstim­mung­sprozesse […]« machen die tief greifend­ste Reform der Bun­deswehr notwendig. Dazu kommt die demografis­che Entwick­lung unser­er Gesellschaft ins­ge­samt, die eine grund­sät­zliche Neube­w­er­tung notwendig macht. 

Und es war die Real­ität der Ein­sätze selb­st, die uns scho­nungs­los Gren­zen und Defizite unseres Sys­tems vor Augen führte. Auch tru­gen die vom Vertei­di­gungsmin­is­ter angewiese­nen (haus­in­ter­nen) Defiz­it­analy­sen und die zusam­menge­fassten Ergeb­nisse der exter­nen Struk­turkom­mis­sion unter Leitung von Dr. Frank-Jür­gen Weise zu dieser klaren Bestand­s­analyse bei. Die verk­nappten Ressourcen (men, mon­ey, materiel) erlaubten auf keinen Fall ein »weit­er so!« Dies war uns allen eigentlich seit ger­aumer Zeit klar. 

An den grund­sät­zlichen Auf­gaben der Bun­deswehr wird sich nichts ändern. Aber – kün­ftig müssen Ein­satzkontin­gente ein­fach­er lage- und bedro­hungs­gerecht zusam­mengestellt wer­den kön­nen. »Im Kern«, so der Gen­er­alin­spek­teur der Bun­deswehr, »geht es darum, auf heute kaum definier­bare kün­ftige Her­aus­forderun­gen mit größt­möglich­er mil­itärisch­er Flex­i­bil­ität [zu] antworten und der Poli­tik ein möglichst bre­ites Spek­trum an Hand­lung­sop­tio­nen anbi­eten zu können.« 

Der Vertei­di­gungsmin­is­ter for­mulierte es in Dres­den so: Vom Ein­satz her denken heißt – »Unsere Bun­deswehr muss noch pro­fes­sioneller, noch schlagkräftiger, noch mod­ern­er und attrak­tiv­er wer­den als heute.« D.h., Ein­satzfähigkeit, Durch­hal­te­fähigkeit und Zukun­fts­fähigkeit unser­er Stre­itkräfte, wie wir es bere­its im Leit­bild unser­er Deutschen Marine fest­geschrieben haben, sind mehr denn je die Bes­tim­mungs­fak­toren, die nach­haltig und robust unter­füt­tert wer­den müssen. 

Wo ste­hen wir zu Beginn des Jahres 2011?

Kon­turen ein­er neuen Bun­deswehr lassen sich erken­nen, belast­bare Struk­turen allerd­ings noch nicht. Wesentliche Merk­male wer­den sein: 

  • Die Wehrpflicht wird zum 1. Juli dieses Jahres ausgesetzt.
  • Der Stre­itkräf­teum­fang wird auf bis zu max­i­mal 185.000 Sol­dat­en (davon 15.000 frei­willige Kurzdiener/FWD) reduziert werden.
  • Das Zivilper­son­al reduziert sich auf einen Umfang von ca. 60.000 bis 65.000
  • Die Inspek­teure der TSK und Mil­itärischen Organ­i­sa­tions-Bere­iche (Mil-Org) wer­den keine min­is­terielle Instanz mehr sein.
  • Der Per­son­alkör­p­er des (neuen) BMVg wird deut­lich unter 2.000 liegen.

Der vom Vertei­di­gungsmin­is­ter anlässlich der Bun­deswehrta­gung in Dres­den skizzierte »Lev­el of Ambi­tion« für die »neue Bun­deswehr« wird auf der Grund­lage neuer Vertei­di­gungspoli­tis­ch­er Richtlin­ien und ein­er über­ar­beit­eten Konzep­tion der Bun­deswehr weit­er aus­buch­sta­biert wer­den. Diese Arbeit­en wer­den par­al­lel zu den Pla­nung­sprozessen zur Umstruk­turierung des Min­is­teri­ums und der nach­ge­ord­neten Bere­iche laufen. Ein neues Weißbuch, seinem Kern und Selb­stver­ständ­nis nach vielle­icht eher eine Nationale Sicher­heitsstrate­gie, wird folgen. 

Es geht zügig weit­er: In diesen Tagen wird der »Arbeitsstab Umbau Bun­deswehr« dem Vertei­di­gungsmin­is­ter Maß­nah­men zur Neugestal­tung des Min­is­teri­ums zur Bil­li­gung vorstellen. Danach erfol­gt die Fein­aus­pla­nung zur Umgliederung des Min­is­teri­ums. Am 25. Jan­u­ar, also in zwölf Tagen, wer­den die Inspek­teure der TSK und der MilOrg-Bere­iche dem Min­is­ter die ersten Entwürfe bzw. Skizzen für die Umor­gan­i­sa­tion und Neustruk­turierung ihrer Ver­ant­wor­tungs­bere­iche vor­tra­gen. Die fol­gende Fein­aus­pla­nung wird par­al­lel und abges­timmt mit den Entwick­lun­gen inner­halb des Min­is­teri­ums laufen; sie bedin­gen einan­der. Erst zum Schluss bindet ein Ressort- und Sta­tion­ierungskonzept die Pla­nun­gen ab. Min­is­ter und Gen­er­alin­spek­teur rech­nen damit im Som­mer des Jahres. Und, natür­lich wer­den Stan­dortkonzepte nicht auss­chließlich nach betrieb­swirtschaftlichen Erwä­gun­gen erar­beit­et. Bewährtes oder auch funk­tionale, attrak­tive und soziale Aspek­te müssen eben­so Berück­sich­ti­gung finden. 

Wer hätte das alles vor einem Jahr gedacht?

Was bedeutet dies für uns als Marine? Welche Vor­gaben und Zahlen­werke sind zugrunde zu leg­en? Welchen Teil des Kuchens kön­nen wir erwarten? Wie pack­en wir die vor uns liegende Arbeit an, wie sind wir aufgestellt, mit welch­er Sub­stanz kön­nen wir uns ein­brin­gen? – Fra­gen über Fra­gen. Aber es gibt auch schon einige (vor­sichtige) Antworten. 

Wir müssen uns mit unseren Ideen und Ansätzen an über­ge­ord­neten Forderun­gen messen lassen. Hierzu rufe ich die Worte des Gen­er­alin­spek­teurs anlässlich der Bun­deswehrta­gung in Dres­den in Erin­nerung: Die Marine soll einen bre­it­en Mix an unter­schiedlichen Plat­tfor­men vorhal­ten: Fre­gat­ten mit Bor­d­hub­schraubern, Korvet­ten mit Unmanned Are­al Vehi­cles, U‑Boote, Minenkampfein­heit­en, MPA und spezial­isierte Einsatzkräfte. 

Kün­ftig soll sich die Marine mit ihrem bre­it­en Fähigkeitsspek­trum noch stärk­er auf stre­itkräftege­mein­same Oper­a­tio­nen aus­richt­en und ihre Fähigkeit­en aus­bauen, Kräfte an Land zu unterstützen. 

Der Ansatz, eigene Kräfte über und von See ver­legen, bere­i­thal­ten, führen und unter­stützen zu kön­nen, sei kon­se­quent von allen Bere­ichen aufzunehmen und umzuset­zen. Dem­nach könne die See auch zur Basis für Lan­d­op­er­a­tio­nen wer­den, oder eine schwim­mende Plat­tform in die inte­gri­erte Luftvertei­di­gung einge­bun­den werden. 

Damit, mit diesen Forderun­gen und Ker­naus­sagen, unter­stützt der Gen­er­alin­spek­teur aus­drück­lich, was wir uns über die ver­gan­genen Jahre konzep­tionell erar­beit­et haben und auch, wie wir unsere materielle Entwick­lung Rich­tung Zukun­ft gestal­ten wollen. »Vom Ein­satz her denken«, die promi­nente Über­schrift zur Bun­deswehrreform, ist für die Marine nicht neu. 

Unter diesem Leitgedanken (ergänzt durch: »Von See her denken«) hat sich unsere Marine in den zurück­liegen­den Jahren kon­se­quent den Anforderun­gen und Vor­gaben der Trans­for­ma­tion gestellt. Leis­tungs­fähigkeit, robuste Auf­gaben­er­fül­lung im nationalen wie im inter­na­tionalen Kon­text und das Prinzip der Stre­itkräftege­mein­samkeit waren und sind wesentliche Bestimmungsgrößen. 

»Klein­er wer­den« bedeutet nicht »Schlechter wer­den«

Flot­til­len­struk­tur, Unter­stützungs­bere­iche, Schul- und Stützpunk­t­land­schaft wie auch die Höheren Kom­man­dobe­hör­den wur­den neu aus­gerichtet, ges­trafft und noch sorgfältiger aufeinan­der abgestimmt. 

Die Tat­sache, dass in den ver­gan­genen fünf Jahren nahezu alle unsere schwim­menden und fliegen­den mar­iti­men Sys­teme in man­datierten Ein­sätzen und im Rah­men ein­satz­gle­ich­er Verpflich­tun­gen zum Ein­satz gekom­men sind, bestätigt das vorge­hal­tene Fähigkeitsportfolio. 

Aber, die entsch­iedene Umfangsre­duzierung der Bun­deswehr wird natür­lich auch an der Marine nicht spur­los vorüberge­hen. Auch wir sind gehal­ten, unseren Kon­so­li­dierungs­beitrag zu leis­ten; und, auch wir wollen uns erneuern und weit­er­en­twick­eln. Es gibt gute Gründe, pos­i­tiv nach vorne zu schauen. »Klein­er wer­den« muss ja nicht bedeuten »schlechter wer­den«. In dem anste­hen­den Umbau liegen auch große Chancen. 

Und damit lassen Sie mich einen konkreten Blick auf die Zahlen wer­fen. Gegen­wär­tig pla­nen wir (auf ein­er ser­iösen Grund­lage) mit einem oper­a­tionellen Pla­nung­sum­fang von 13.400 Marine­di­en­st­posten. Im Ver­gle­ich dazu nen­nt die heutige Soll­struk­tur im »Organ­i­sa­tions­bere­ich Marine « nach Per­son­al­struk­tur­mod­ell 15.330 Dien­st­posten. Die kün­ftige Zahl der Marine­u­ni­formträger wird deut­lich höher sein als diese 13.400 Dien­st­posten, denn hinzu kom­men ja noch Schüler­stellen und der Marinean­teil in der Stre­itkräfte­ba­sis; bei­de Größen sind allerd­ings noch nicht abschließend spez­i­fiziert. Das bedeutet, dass wir im entschei­den­den, im ein­satzrel­e­van­ten Per­son­al­bere­ich (nur) eine Kürzung von etwa 12,5 Prozent erfahren. 

Ja, wir wer­den klein­er, aber mit dieser im Ver­gle­ich zu den anderen Teil­stre­itkräften mod­er­at­en Reduzierung wird der starre Pro­porz der Ver­gan­gen­heit endlich Geschichte! Zudem anerken­nt man die Bedeu­tung ein­er Marine in der heuti­gen und kom­menden Zeit, die wir, zu Recht, das »mar­itime Jahrhun­dert« nennen. 

Konzep­tionell kön­nen wir unsere neue Marine solide hin­ter­legen: mit der ZVM 2025+, den Zielvorstel­lun­gen für die Marine nach 2025. Dieses Doku­ment, 2008 erstellt, bleibt in sein­er Grund­sub­stanz und ‑aus­rich­tung erhal­ten, wird jedoch in den kom­menden Wochen ent­lang der Über­ar­beitung der Vertei­di­gungspoli­tis­chen Richtlin­ien (VPR) und der Konzep­tion der Bun­deswehr (KdB) fort­geschrieben. Weit­er­hin mit den »Konzep­tionellen Grund­vorstel­lun­gen Basis See – Die See als Basis für stre­itkräftege­mein­same Oper­a­tio­nen« – einem Doku­ment, das die Unter­schrift des Gen­er­alin­spek­teurs trägt und in sein­er Sub­stanz das enthält, was durch ihn selb­st in Dres­den von der Marine der Zukun­ft gefordert wird. Und schließlich mit den »Konzep­tionellen Grund­vorstel­lun­gen Mar­itime Sicher­heit«, die sich in der min­is­teriellen Schlussze­ich­nung befind­en und einen ressortüber­greifend­en und multi­na­tionalen Ansatz präsen­tieren, also mod­ern und zukun­fts­gerichtet sind. 

Die skizzierte Basis erlaubt uns auch, nein, fordert von uns, uns materiell weit­er zu entwick­eln. Damit sehe ich die Weichen gestellt, unter anderem, für das Joint Sup­port Ship: Es ste­ht für mehr Stre­itkräftege­mein­samkeit, für See­trans­port und ‑ver­lege­fähigkeit, aber auch für Anlan­dun­gen unter Bedro­hung bzw. ohne intak­te Hafeninfrastruktur. 

Mit der Korvette K131 (Arbeits­be­griff) wollen wir mehr Ein­satzflex­i­bil­ität über Mis­sion­s­mod­u­lar­ität schaf­fen. Mit dem Mehrzweck­ein­satzschiff (eben­falls ein Arbeits­be­griff) wollen wir über ein Mut­ter­schiff einen Mix von unbe­man­nten Sys­te­men zum Ein­satz brin­gen und somit eine weit­ere Ein­satzflex­i­bil­ität und Leis­tungssteigerung erwirken. Es gilt, diese Pro­jek­te, die unsere Zukun­fts­fähigkeit aus­machen, planer­isch so vorzu­bere­it­en, dass sie bei sich entspan­nen­der Haushalt­slage zügig real­isiert wer­den kön­nen. Je eher, desto besser. 

Team GlobDef

Seit 2001 ist GlobalDefence.net im Internet unterwegs, um mit eigenen Analysen, interessanten Kooperationen und umfassenden Informationen für einen spannenden Überblick der Weltlage zu sorgen. GlobalDefence.net war dabei die erste deutschsprachige Internetseite, die mit dem Schwerpunkt Sicherheitspolitik außerhalb von Hochschulen oder Instituten aufgetreten ist.

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