Bisher aber hat die Deutsche Marine keine entsprechenden Anweisungen erhalten. Deutschland hat sich damit in eine diplomatische und bündnispolitische Zwickmühle manövriert.
Die deutsche Politik war bisher mehrheitlich der Auffassung, dass das deutsche Recht solchen Aktivitäten entgegenstünde. Pirateriebekämpfung sei Polizeiaufgabe, nicht Sache der Marine. Womit die paradoxe Situation entsteht, dass die Grenzpolizei See die Befugnis, aber nicht die Mittel und nicht die örtliche Präsenz hat, und die Marine die Mittel und die örtliche Präsenz, aber nicht die Befugnis. Ein Beispiel dafür, dass sich eine heute bestehende Gefahrensituation mit dem hergebrachten begrifflichen Handwerkszeug der äußeren und inneren Sicherheit, der Aufteilung nach Polizeiarbeit und Militäraufgabe nicht mehr erfassen lässt.
Man beruft sich zur Begründung der Untätigkeit gern auf sog. einfaches unter dem Grundgesetz stehendes Recht, weil es scheinbar eine klare und eindeutige Antwort auf die Frage des Dürfens gibt: Die behördliche Zuständigkeit für die Strafverfolgung – d.h. Festnahme – von Seeräubern wird im Deutschen Recht geregelt im Seeaufgabengesetz (§ 1 Nr. 3 sowie § 4 Abs. 1–3) und im Range noch darunter in der „Verordnung zur Bezeichnung der zuständigen Vollzugsbeamten des Bundes für Aufgaben nach der Strafprozessordnung auf dem Gebiet der Seeschifffahrt“ (Zuständigkeitsbezeichnungs-Verordnung See, ZustBV-See) vom 4. März 1994 (beide Regelwerke sind unter www.gesetze-im-internet.de verfügbar).
Die Zuständigkeit der Strafverfolgung durch Festnahme liegt nach der ZustBV-See auch „seewärts der Begrenzung des deutschen Küstenmeeres“ bei der Bundespolizei-See. Daraus folgert man eine rechtliche Schranke der Zuständigkeiten für die Deutsche Marine, egal, wo auf dem Globus deren Einheiten gerade operieren. Was allerdings kaum überzeugt, denn mit dem Seegebiet, für das in dieser Vorschrift eine Zuständigkeit ausgewiesen wird, kann sinnvollerweise nur dasjenige Seegebiet jenseits der deutschen Seegrenzen gemeint sein, in dem die Boote der Bundespolizei-See regelmäßig Seeraumüberwachung betreiben. Sehr großzügig ausgelegt könnten dies maximal die internationalen Gewässer von Nord- und Ostsee sein. Der ganze übrige Rest der Weltmeere ist sicher nicht gemeint, weil es keinen politischen Willen geschweige denn eine rechtliche Vorschrift gibt zu einer entsprechenden Ausdehnung des Operationsgebietes der Bundespolizei See. Deshalb ist die ZustBV-See auf Einsätze am Horn von Afrika oder an anderer weit von Deutschlands Küstengewässern entfernter Stelle nicht anwendbar.
Die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag hat sich ein Arbeitspapier vorlegen lassen, in dem eine andere Argumentationslinie zum gleichen Ergebnis führt: „Das Seeaufgabengesetz spricht zwar der Bundespolizei die Zuständigkeit zur Pirateriebekämpfung seewärts des deutschen Küstenmeeres zu. Eine ausschließliche Kompetenzzuweisung ist jedoch aus den genannten Gesetzen nicht eindeutig ersichtlich. Insbesondere in Verbindung mit § 6 des Bundespolizeigesetzes (BPolG), wonach „unbeschadet der Zuständigkeit anderer Behörden oder der Streitkräfte die Bundespolizei auf See außerhalb des deutschen Küstenmeeres die Maßnahmen zu treffen hat, zu denen die Bundesrepublik Deutschland nach dem Völkerrecht befugt ist“, ergibt sich, dass die Bundespolizei auf See auch neben anderen Behörden oder der Streitkräfte zuständig ist. Aus dem Umkehrschluss folgt, dass die Marine ebenso neben der Bundespolizei außerhalb des deutschen Küstenmeeres zuständig sein kann.“
Der Ausübung der Befugnisse zur Strafverfolgung durch die Deutsche Marine in entfernten Seegebieten stehen Seeaufgabengesetz und ZustBV-See also nicht entgegen.
Vor allem aber beruft man sich gern auf das Grundgesetz, das angeblich der Bekämpfung der Piraterie entgegenstehen soll.
Angelpunkt ist Artikel 87a Grundgesetz:
(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. …
(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.
Eine ganz explizit formulierte Befugnis findet sich im Grundgesetz tatsächlich nicht. Doch gleich mehrere Artikel im Grundgesetz stehen dem Einsatz gegen Piraten keineswegs im Wege, sondern weisen den Weg zur Berufung auf das Völkerrecht.
Artikel 24 des Grundgesetzes sei hier zuerst erwähnt:
(2) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; …
Artikel 24 Absatz 2 Grundgesetz ermöglicht den Beitritt zu Verbünden von Staaten, die sich gegenseitig und kollektiv dazu verpflichten, die internationale Sicherheit zu bewahren. Durch den Beitritt anerkennt die Bundesrepublik die daraus resultierenden Befugnisse und Verpflichtungen. Er legitimiert damit auch einen Einsatz der Deutschen Streitkräfte, soweit dies zu den Befugnissen und Verpflichtungen gehört. Die UN ist der Prototyp des gegenseitigen kollektiven Sicherheitssystems, die Resolution 1816 ist das Mandat zum Einsatz von Streitkräften.
Artikel 59 Grundgesetz ist ein weiteres verfassungsrechtliches Bindeglied zum Völkerrecht:
(1) Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten.
Deutschland darf völkerrechtliche Verträge abschließen, bis hin zum Anschluss an kollektive Sicherheitssysteme, die eine große Vielzahl von Staaten erfassen, dies ergibt sich aus der Zusammenschau mit Artikel 24 Grundgesetz. Wenn die Verträge Befugnisse und Verpflichtungen enthalten, anerkennt die Bundesrepublik diese als vertragschließende Partei. Deutschland hat das SRÜ ratifiziert. Also darf die Bundesrepublik die aus dem SRÜ resultierenden Befugnisse ausüben. Damit hat sich Deutschland in Obligo begeben, zur größtmöglichen internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Piraterie zu beizutragen. Diese Befugnisse und Verpflichtungen gelten über die Dauer des UN-Mandats aus der Resolution 1816 hinaus, allerdings räumlich begrenzt auf die internationalen Gewässer.
D.h. Deutschland muss einen Beitrag leisten zur Beendigung der Bedrohung der Schifffahrt vor Somalia durch Piratenbanden. Einen Beitrag leisten heißt, es kann abgewogen werden, welchen Beitrag man leisten will und kann. Doch eine komplette Verweigerung des Mit-Tuns ist eben kein Beitrag. Verweigert sich Deutschland weiter, steht nicht allein die Frage der politischen Glaubwürdigkeit im Raum, sondern auch die der Vertragstreue. Andere gehen mit gutem Beispiel voran, wie etwa Dänemark, die Niederlande und demnächst auch Schweden.
Artikel 25 Grundgesetz schließlich postuliert die Geltung auch der allgemeinen Regeln des Völkerrechts für die Organe der Bundesrepublik:
Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor …
Nun ist sich die juristische Fachwelt darin einig, dass völkerrechtliche Verträge wie das SRÜ keine allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind. Dies hat auch das Auswärtige Amt im Mai auf eine Anfrage von Dr. Rainer Stinner (MDB) festgestellt. Weiter hat das AA aber auch festgestellt, dass die Vorschriften des Artikels 105 SRÜ zur Pirateriebekämpfung gewohnheitsrechtlich überlieferte Regeln darstellen – die auch ohne Aufnahme in das SRÜ allgemein anerkannt sind. Dieser Hinweis findet sich auch in der Antwort der Bundesregierung auf eine „Kleine Anfrage“ der Abgeordneten Dr. Stinner, Homburger, Hoff et.al. vom Mai 2008 (Bundestags-Drucksache 16/9286). Solches Völkergewohnheitsrecht befugt und verpflichtet die Bundesrepublik, weil sie sich in Artikel 25 des Grundgesetzes eben diese Bindung auferlegt hat.
Also: Artikel 25 Grundgesetz steht der Bekämpfung der Piraterie durch Organe der Bundesrepublik nicht entgegen, sondern enthält vielmehr die Befugnis und Verpflichtung dazu. Auch diese Befugnisse gelten über die Dauer des UN-Mandats aus der Resolution 1816 hinaus, allerdings räumlich begrenzt auf die internationalen Gewässer.
Für die Pirateriebekämpfung bedarf es im Übrigen keines Mandats des Deutschen Bundestages. Es liegt nämlich kein Fall des Artikels 87 a Grundgesetz vor. Diese Vorschrift erfasst nur solche Einsätze, die als bewaffnete Unternehmung „militärisches Gepräge“ (Bundesverfassungsgericht) aufweisen. Bei der Pirateriebekämpfung handelt sich aber gerade nicht um einen Konflikt mit fremden bewaffneten Streitkräften, sondern um eine Aufgabe zur Bewältigung eines „Grey-Area-Phenomenon“, deren Erfüllung allerdings den Einsatz robuster, d.h. militärischer Mittel voraussetzt.
Auch wenn die Pirateriebekämpfung kein Fall des Artikels 87a Grundgesetz ist, so gilt doch, dass dieser Artikel den Dreh- und Angelpunkt für Fragen des Streitkräfteeinsatzes im Grundgesetz bildet. Ihm kommt aufgrund seiner Entstehungshintergründe und wegen seiner verfassungssystematischen Stellung eine große Bedeutung zu.
Artikel 87a Grundgesetz fordert, dass Streitkräfte nur eingesetzt werden dürfen, soweit das Grundgesetz es explizit zulässt:
Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.
Dem Erfordernis der Ausdrücklichkeit ist mit den oben erläuterten Verweisen des Grundgesetzes in den Artikeln 24, 25 und 59 auf völkerrechtliche Verpflichtungen Genüge getan, soweit in den danach einschlägigen völkerrechtlichen Normen Befugnisse oder Pflichten zum Einsatz bewaffneter Kräfte explizit enthalten sind. Sowohl das SRÜ als auch die Resolution 1816 enthalten hinreichend konkret formulierte Befugnisse und Verpflichtungen.